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für ein Geschäft tödlicher als Unpünktlichkeit.

      Gleichwohl war ihr auch ein wenig mulmig zumute. Eilte dieser Frau Blank doch der Ruf eines schwierigen Charakters voraus. Demnach galt sie als verschroben und eigensinnig. Einige behaupteten sogar, sie habe einen Sprung in der Schüssel. Dennoch blieb unstrittig, dass sie als Expertin für Nostalgie-Design einen ausgezeichneten Ruf genoss. Wen interessierte daher solches Geschwätz!

      Sina schaute auf die Uhr und erschrak. Ganze zwanzig Minuten hatte sie verloren. Die galt es jetzt wieder aufzuholen. Daher drückte sie auf die Tube. Boy schlief derweil.

      Hinter der nächsten Kurve in Ostenfeld leuchtete unvermutet das signalrote Haltelicht eines Bahnüberganges und die Schranken senkten sich zügig hinter dem Andreaskreuz. Diesen Übergang hatte sie eigentlich noch schaffen wollen. Sina reihte sich in die wartende Autoschlange, stellte den Motor aus und bemerkte vor sich einen Fiat Panda mit einer gehäkelten Klorolle in der Hutablage. Aus Erfahrung wusste sie, dass die Öffnungsphase nur sehr kurz war. Wenn ihr Vordermann nicht aus dem Knick kam, könnte es knapp werden.

      Der Zug kam aus Richtung Rendsburg und hielt unmittelbar am nahegelegenen Bahnsteig. Als sich die Schranke klirrend hob, hätte sie diese Pappnase im Panda am liebsten angeschoben. Aber Gott sei Dank kam sie mit rüber. Nun konnte sie wieder Zeit gutmachen. Bald darauf bog der Rover in der Ortschaft Westensee ein.

      Nun brach die Sonne endgültig durch die Wolkendecke. Von den Gletschermassen der Eiszeit geschliffen, von der Quelle der Eider gestempelt und vom Wetter geprägt, blätterte sich die Schönheit des östlichen Hügellandes vor ihr auf. Das tat ihrer Seele gut.

      Zur Linken fuhr sie an der mittelalterlichen Catharinenkirche vorbei, die auf der Rückseite mit der Sakristei und der Ahlefeldtschen und Bosseer Kapelle erhaben auf ihren Feldsteinen thronte. Selbst eine jahrelang schwelende Fehde um dieses prestigehafte Gotteshaus konnte dem ehrwürdigen Gebäude nichts anhaben. Raubrittertum, dänische Ahnen, Wallfahrtsort, einen angeblichen Goldschatz, der Pest und einer mutwillig gelegten Brandstiftung zum Trotz, leuchtete die Kirche mit silberner Turmspitze weit über das Land. Sina nahm sich vor, Heiligabend am Gottesdienst teilzunehmen. Laut Volkers Tipp bestach die Zeremonie durch das minutenlange Glockenläuten in die Weihnachtsnacht hinein. Allein bei dem Gedanken überzog sie eine Gänsehaut.

      Konzentriert starrte sie auf den abschüssigen Weg, schaltete in den zweiten Gang und fuhr in Richtung Ortsmitte. Sina beobachtete eine ältere Dame, die mit der rechten Hand ihren schwarzen Pudel an einer roten Leine führte, mit den Fingern der Linken ihren Lodenmantel vor der Brust zusammenhielt und auf den ortsansässigen Kaufmann zu tippelte. An der nächsten Kreuzung wies ein Schild in Richtung Töpferkunstgalerie. Langsam holperte ihr Rover über das Kopfsteinpflaster der Straße ‚Im Wiesengrund‘ dem ersehnten Ziel entgegen.

      Dort parkte sie am Grünstreifen, stieg aus und besah sich nochmals den Schaden. Alsbald erlöste sie den quengelnden Mops aus der Transportsicherung und setzte ihn auf den Boden. Sofort schnüffelte er los und platzierte seine Duftmarke an den nächstgelegenen Busch. Dann hängte sie sich ihre Handtasche über, nahm Boy auf den Arm und mit der anderen Hand die Tasche mit der Verhandlungsware. Danach begab sie sich zu dem kleinen, unscheinbaren, ein wenig windschiefen Haus, das mal wieder einen Farbanstrich vertragen konnte.

      Boy kläffte, als sie ihn an der Haustür herunterließ, und verriet somit ihre Ankunft. Noch bevor Sina den Klingelknopf drücken konnte, wurde die Tür geöffnet. „Guten Tag, Frau Blank. Sina Brodersen mein Name. Wir waren um fünfzehn Uhr verabredet“, begrüßte sie die Hausherrin und überspielte mit einer forsch entgegengestreckten Hand ihre Nervosität.

      „Aja. Kommen Sie nur herein“, erwiderte die grauhaarige Dame mit dem dunkelblauen Arbeitskittel und einer altmodischen Haarklammer über der Stirn. Sie machte eine einladende Geste. Wortlos schritt die Töpferin vorweg und führte ihren Gast in das nostalgisch eingerichtete Wohnzimmer.

      Dieses war zu Sinas Verwunderung neben allerlei antiquiertem Mobiliar mit einem Übermaß an Plüschtierchen, gehäkelten Deckchen und sonstigen Nippsachen aus Porzellan und Plastik vollgestellt, oder genauer gesagt: vollgemüllt. Frau Blank musste gar einige dieser Teile beiseiteräumen, um einen Stuhl freizumachen. Überraschenderweise prangten einige passable Gemälde an den Wänden, allerdings schief und verstaubt. Alles in allem war es so bedrückend eng, dass Sina erste Anzeichen ihrer Klaustrophobie bemerkte. Diese äußerten sich in kaltem Schweiß und leichtem Zittern. Nervös knibbelte sie an den Fingernägeln.

      Sie nahm mit sichtlichem Unbehagen Platz, wobei sie sofort bemerkte, dass die Hausherrin ihrem vorauseilenden Ruf durchaus gerecht wurde. Sie wirkte überaus pedantisch und untermalte ihr Reden mit sonderbaren, völlig überflüssigen Gesten. Ihr Gesicht hingegen schien angenehm, wobei man ihr die Sechzig noch nicht ansah. Ihre Haut war noch jugendlich straff und wies lediglich an der Augen- und Mundpartie einige Fältchen auf. Allerdings verbreitete sie eine große Unruhe, indem sie sich ständig umsah, unkontrollierte Verrenkungen machte und hin und wieder mit dem linken Mundwinkel zuckte.

      Auch schien sie es mit der Reinlichkeit nicht besonders genau zu nehmen. So entdeckte Sina sofort einige größere Flecken auf der schon bejahrten Couch. Weiterhin roch es ziemlich stark nach kaltem Rauch und feuchter Wäsche. Am meisten jedoch störten sie die langen, dunklen Spinnweben in den Ecken. Alles wirkte düster und altbacken. Außerdem dämpften die trüben Scheiben das Tageslicht merklich. Das war schon sehr befremdlich.

      Sina hob den Mops auf ihren Schoß. Ihr missfiel, dass die Gastgeberin sofort das Wort ergriffen hatte und unentwegt von Dingen schwatzte, die mit ihrem Besuch nur wenig zu tun hatten. Das war typisch für Leute, die unter chronischem Gesprächsmangel litten und nun die Gelegenheit ergriffen, alles Mögliche loszuwerden. Vor allem, was niemanden interessierte. So beklagte die Alte unter anderem die Folgen der jüngsten Maul- und Klauenseuche, schimpfte auf den Landarzt, der anscheinend seine Praxis nicht in Griff habe, und landete schließlich beim Jahresallzeithoch des Wasserstandes des Nord-Ostsee-Kanals und der damit verbundenen Schleusenproblematik. Kurzum, sie redete reichlich durcheinander, was sofort ein merkwürdiges Empfinden in Sina auslöste. Erst nach und nach gelang es ihr, das Gespräch, oder genauer, den Monolog dieser offenbar etwas überspannten Dame in die notwendige Richtung zu lenken.

      „Sie kommen also wegen der Gartenzwerge“, meinte die Töpferin schließlich und sah ihren Gast verschmitzt an. „Und in dieser Tasche sind die Exemplare, die Sie mir zeigen wollen!“ Doch bevor Sina etwas erwidern konnte, machte Frau Blank einen erneuten Schlenker. „Was ist denn das für ein Hund? Ist das überhaupt einer? Der sieht so komisch aus!“ Mit einem Ausdruck des Unwillens wies sie auf Boy, der achtsam auf Sinas Schoß saß und die Töpferin fortwährend anknurrte. „Beißt der etwa? Kriegt der überhaupt Luft, so wie der aussieht?“

      „Wo denken Sie hin, Frau Blank! Das ist Boy, mein Mops. Natürlich kriegt er Luft. Schließlich ist er ein ‚Freiatmer‘!“

      „Ein Freiatmer?“, wiederholte sie erstaunt und zog ein langes Gesicht. „Was es alles gibt!“

      „Und stellen Sie sich vor. Er ist das liebste und treueste Wesen auf der ganzen Welt“, versicherte Sina sogleich. „Und ich kann Ihnen versprechen, er ist völlig harmlos. Allerdings nur zu guten Menschen. Er spürt das nämlich.“

      „Na, dann muss ich mich ja vorsehen, bei meiner wilden Natur, hahaha“, scherzte die Hausherrin und wusste wohl selbst nicht, worüber sie lachte. „Darum knurrt er auch so. Verstehe!“ In diesem Augenblick erhob sich Boy und bellte. Anscheinend spürte er die Antipathie dieser Frau.

      „Er hatte heute einen schweren Tag“, sagte Sina zu seiner Verteidigung.

      „So so. Nun ja, jetzt sind Sie ja hier und das ist schön“, bemerkte Frau Blank. „Sie müssen wissen, dass ich seit dem Tod meines Mannes alleine bin und manchmal schon mit den Wänden rede. Wissen Sie, wie es ist, von ihnen erschlagen zu werden?“

      „Sie meinen, von den Wänden?“, fragte Sina irritiert.

      „Nein! Von denen, die durch die Wände kommen. Plötzlich sind sie da und reden mit einem, ohne dass ich sie sehen kann. Mit jemandem zu reden, den man nicht sehen kann, ist sehr schwierig. Obwohl ich das öfter tue, kann ich

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