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allerhand Gäste. Deshalb auch Ihre Tasche dort hinten. Sicherlich mit der Begutachtung seines neuesten Werkes, nicht wahr?“

      „Nun ja, wenn Sie mich so fragen“, erwiderte Tom, was dem vermeintlichen Scharfsinn dieses Wachtmeisters schmeicheln musste.

      „Habe ich mir doch gleich gedacht, denn Sie sehen so aus“, legte der Schutzmann noch einmal nach.

      „Ach ja, wirklich?“

      „Manchen Leuten sieht man einfach ihre Profession an, hahaha …“ An dieser Stelle lachte Tom sogar mit, denn das war einfach zu drollig.

      „Bitte benutzen Sie nur die offiziellen Straßen. Wir hatten in den letzten Tagen einige Sturmschäden und diese sind noch nicht überall geräumt“, setzte die Streife, zur Sachlichkeit zurückkehrend, hinzu.

      „Danke für den Hinweis. Ich werde mich bemühen.“

      „Sie können weiterfahren.“

      Tom stieg wieder ein, drehte das Radio an und ließ das Seitenfenster hochfahren. Scherzhaft salutierend fuhr er davon. Verkniffen schaute der Polizist ihm nach. Im Rückspiegel konnte Tom noch beobachten, wie sich dieser Kerl etwas notierte. Zweifellos würden jetzt neue Kennzeichen gebraucht. Er musste also umdisponieren.

      Die Sache mit diesem Dr. von der Ruh musste warten. Sein Schweigegeld könnte er sich auch später noch abholen. Das bedauerte er zwar, denn dessen dummes Gesicht hätte ihn schon interessiert. Doch zuerst musste ihm der Pole Budniak behilflich sein und das möglichst schnell. Anderenfalls würde alles gefährdet. Bei der nächstbesten Gelegenheit würde er diesen Windhund kontaktieren.

      An der nächsten Abzweigung bog Tom rechts vom sandigen Hauptweg ab und fuhr tief in den Wald von Resenis hinein. Hier erleichterte er sich endlich. Über die soeben erduldete nachlässige Kontrolle war er dankbar. Das hätte dumm ausgehen können. Was war er doch für ein Glückspilz.

      Wolkenbruch

      Die Schwere der Nacht übermannte Sina Brodersen und bettete sie, wie so oft, in ihre qualvollen Träume.

       Ich kann nicht, ich kann doch. Reichlich du, übermäßig ja, genug Begehren. Ich will schreien. Du verschließt meinen Mund. Warum quälst du mich? Du Dämon aus dem Dunkel, was habe ich dir getan? Du okkupierst meine Hand, meinen Körper, meine Seele und ergötzt dich an meinem Leid! Deine Hände sind so schrecklich groß! Du tust mir weh! Warum? Geh bitte fort und lass mir meinen Frieden! Ich bitte dich! Zwing mir nicht deinen Hass auf! Was uns trennt, ist größer, als was uns verbindet! Beschädige nicht deinen letzten Rest Anstand und Respekt. Bewahre dir deine Würde, damit du einst im Himmel deine seelische Ruhe finden kannst.

      „Das Wetter zeigt sich heute am 5. April von seiner böigen Seite. Die Regenwahrscheinlichkeit beträgt 70 Prozent. Aus unterschiedlichen Richtungen strömt …“

      Wie jeden Morgen weckte Sina der Sprecher von NDR 1. Murrend zog sie die Decke über den Kopf und verweigerte das Aufstehen. Aber der Tag startete wie immer erbarmungslos. Die Zeiger standen auf fünf Uhr morgens und forderten ihren Tribut, deren gnadenlose Härte Sina seit frühester Kindheit bekannt war. Müde schlug sie die Bettdecke zurück, schwang sich aus dem Bett und schlurfte ins Badezimmer. Ihr apricotfarbener Mops namens Boy schlief im Hundekorb auf der Diele. Als er ‚Frauchen‘ witterte, öffnete er seine braunen, treuen Hundeaugen, erhob sich und strich ihr begrüßend mit freudigem Hecheln um die Beine.

      „Na, wer kommt denn da?“ Sina kraulte verspielt sein rechtes Ohr, so dass sein Körper vor Wonne bebte. Speichel floss ihm aus dem knautschigen Maul und seine Augen blitzten. Er umstreifte sie immer wieder, darüber froh, ihre Nähe zu verspüren. Augenblicklich knuddelte sie ihm kräftig über den Rücken und zwickte ihm neckend in die Flanke. Dann aber schob sie ihn bestimmend zur Seite. Sie unterbrach dieses Spiel nicht oft, da sie Boys Wohlgefallen genoss, doch wenn sie es tat, dann aus einem ganz bestimmten Grund.

      In dieser Nacht war es wieder geschehen. Das seltsame Traumbild hatte sie genarrt und nicht mehr losgelassen. Es war der gleiche große Schatten, der sich ihr jedes Mal lautlos näherte und sie dann völlig bedeckte. Erbarmungslos drängte er sich auf und drohte ihr, gleich einem riesigen Kraken, den Atem zu nehmen. Manchmal war es so schlimm, dass sie schreien wollte, doch nicht konnte. Etwas verschnürte ihre Kehle. Völlig paralysiert schien sie wie gefesselt und war auch nur zur geringsten Gegenwehr unfähig. Es schien, als laste ein tonnenschwerer Fels auf ihrer Brust, der sie völlig niederdrückte.

      Ihr blieb nichts anderes übrig, als es zu ertragen und darauf zu hoffen, dass dieser Albtraum möglichst rasch von ihr wich. Aufgrund des fehlenden Zeitgefühls vermochte sie über die Dauer nichts zu sagen. In jedem Fall aber kam es ihr endlos vor. Spätestens wenn ihr Atem immer schwerer wurde und sie zu ersticken glaubte, erwachte sie und setzte sich schlagartig auf. Dann starrte sie schweißgebadet in die Dunkelheit und brauchte lange, wieder zur Ruhe zu kommen. Meist stand sie dann auf und nahm einen großen Schluck aus der Flasche des selbstangesetzten Schlehenlikörs.

      Das war ein altes Hausmittel ihrer Großmutter. Diese hatte seinerzeit ein schweres Leben geführt, da sie ihren Mann durch die Kriegswirren verlor und die beiden Töchter Gisela und Sinas Mutter Lore allein großziehen musste. Vielleicht hatte Großmutter gerade deshalb ein so tiefes Herz und war Sina in guter Erinnerung geblieben, anders als ihre eigene Mutter.

      Letztere hatte nur Geschäfte im Sinn und sich mit der Zeit zu einer Despotin entwickelt, die in ihrer Tochter nur ein lästiges Anhängsel sah. „Sina, wie oft soll ich dir noch sagen, dass der Hof kein Streichelzoo ist! Wenn du die Katze nicht wegjagst, ersäufe ich sie!“, hatte sie ihr angedroht, nachdem Sina ein vor Kälte und Hunger zitterndes Kätzchen auf dem Schulweg zugelaufen war. Selbst wenn der Mäusejäger für seine eigene Verpflegung sorgte und niemandem zur Last fiel, ging es ums Prinzip. Da ihre Tochter dieser Forderung nicht nachkam, hatte die Mutter kurz darauf das arme Tier in der Regentonne ertränkt. Nie vergessen würde Sina den Moment, als sie den kleinen leblosen Körper aus dem Wasser fischte. Doch da war es schon zu spät.

      Selbst gegenüber ihrem Mann war Lore nicht gerade zimperlich. Als sie einmal unerwartet nach Hause kam und ihn im angeheiterten Zustand vorfand, versetzte sie ihm sofort zwei schallende Backpfeifen. Daraufhin schloss er sich aus Feigheit im Bad ein und jammerte vor sich hin. Er war ohnehin ein hasenfüßiger Taugenichts, der den ganzen Tag nichts mit sich anzufangen wusste. Einer geregelten Arbeit ging er niemals nach und erwies sich selbst auf dem Hof als untauglich. Seine einzige Stärke bestand in sinnlosem Palaver, womit er hin und wieder in Kneipen Leute um sich scharte, die ihn dann wie ein Reptil bewunderten. Lore nannte ihn mal ein ‚verkommenes Element‘ und wollte ihn wiederholt rausschmeißen. Sie hätte das sicher auch getan, wäre sie dabei nicht steuerlich ungünstiger gefahren. Wieso er dennoch Zugang zu ihrem Herzen fand und Sina als Frucht dieser mehr als sonderbaren Beziehung hervorging, war ihr bis heute rätselhaft geblieben.

      Doch darüber mochte sie nicht weiter nachdenken. Sie tat das ohnehin viel zu oft und das jedes Mal mit dem gleichen Ergebnis – sie kam ins Heulen. Dann rannte sie in den Schuppen, versperrte die Tür und wollte für Momente ganz alleine sein, zumindest bis Boy wieder an der Tür kratzte. Der Mops war so drollig, dass sie schnell allen Kummer vergaß. Und als wüsste er um seine Wirkung, legte der Hund jetzt seinen Kopf schief und schaute sie treuherzig an. Dann tappte er in die Küche, blieb fordernd vor seinem Napf sitzen und erwartete sein verdientes Leckerli. Sina ließ sich aber nicht erweichen. In Gedanken war sie noch immer nicht ganz da.

      Sie ging ins Badezimmer und verriegelte die Tür. Eigentlich war das überflüssig, denn sie lebte hier allein und Boy hätte ihr ohnehin nicht folgen können. Dennoch tat sie es infolge eines unerklärlichen Reflexes. Das war schon manisch. Ebenso ihr ständiger Kontrollzwang, der sie dazu nötigte, die abgeschlossene Haustür zweimal abzuklinken. Das Misstrauen gegenüber sich selbst war ihre größte Schwäche.

      Auch wenn sie es als Unsinn abtat und sich damit verspottete, konnte sie es nicht verhindern. ‚Es ist nichts! Es ist nur ein Albtraum‘, tröstete sie sich, um ihren Gedanken eine andere Richtung zu geben. Zur Ablenkung schaltete sie das Radio ein. Sofort plärrten die neuesten Hits, die

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