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Monstratorem. Anja Gust
Читать онлайн.Название Monstratorem
Год выпуска 0
isbn 9783753185286
Автор произведения Anja Gust
Жанр Языкознание
Серия Die Geschichte der Sina Brodersen
Издательство Bookwire
Sina zuckte nur mit den Schultern. Sie dachte nicht daran, dieser Hexe auch nur einen Deut mehr zu sagen, als sie zur Verrichtung ihrer Arbeit brauchte.
„Wirklich? Das ist sehr schade, denn ich könnte mir denken, dass sich der Besitzer bestimmt über eine Rückgabe freuen würde.“
„Möglich. Aber ich habe die Figur gekauft, mit allem, was dazu gehört“, erwiderte Sina, nahm ihr den Schlüssel aus der Hand und steckte ihn ein.
„Ich denke, das ist ein ganz besonderer Zwerg“, ließ die Blank nicht locker. „Nicht nur wegen des Schlüssels. Sieh nur, wie präzise dieses kleine Fach hier hineingearbeitet wurde. Und damit nicht genug – diese Einarbeitung deckt sich exakt mit der darüberliegenden Wölbung, als gehöre sie dazu, um den Gesamtausdruck der Figur noch zu verstärken. Darüber hinaus war das Versteck nur durch Zufall zu finden. So etwas Filigranes habe ich noch nie gesehen. Fast könnte man von einem Meisterwerk sprechen. Verkaufst du mir diesen Bartträger? Ich gebe dir 500 Euro in bar.“
Sina schluckte. Das war ein bestechendes Angebot. Dementsprechend war die Verlockung natürlich groß. Was könnte man sich dafür alles kaufen. Ganz davon abgesehen, dass es ihre dauernde finanzielle Schwäche etwas abmildern würde. Andererseits war klar, dass dieses Exemplar mit Sicherheit um ein Vielfaches wertvoller war. Nicht umsonst machte die Töpferin ihr ein solches Angebot. „Tut mir leid, Frau Blank. Der ist unverkäuflich.“
„Tabea – wir waren doch beim Du, oder?“, korrigierte sie die Hausherrin sofort, deren Gesicht plötzlich einen ganz anderen Ausdruck annahm. Jede Überheblichkeit war verschwunden. Dafür stand jetzt eine eigenartige Verwunderung.
„Ja, natürlich, Tabea“, willigte Sina notgedrungen ein.
„Darf ich dich mal drücken?“
„Wie bitte?“ Sina glaubte sich verhört zu haben.
„Ganz so wie früher.“
„Wenn es denn sein muss“, begann sie sich zu winden.
„Du kannst auch Nein sagen.“
Entsetzt starrte Sina die alte Schachtel an. Schließlich ließ sie es mit hochrotem Kopf über sich ergehen. Augenblicklich stieg ihr ein penetranter Geruch in die Nase. Nie und nimmer hätte sie gedacht, dass ihr so etwas passieren würde. Nicht auszudenken, wenn sie jetzt von jemandem gesehen würde. Sie fühlte sich in diesem Moment sehr unbehaglich. Die Luftnot wurde immer ärger. Fast schien ihr, als befände sie sich in einem absurden Spiel.
Tabea sah sie verwundert an und fragte: „Was hast du denn da?“
„Was denn?“, erwiderte Sina.
„Na, die Schwellung an deiner Stirn. Hast du dich dort gestoßen?“
„Ach so, das meinen Sie, ich meine natürlich du!“ Sina lächelte verlegen und nahm Boy wieder auf ihren Schoß, der langsam ungeduldig wurde. „Eigentlich ist es nichts“, winkte sie ab.
„Eigentlich? Wie meinst du das?“
„Nun ja. Du wirst es kaum glauben, aber ich habe mich tatsächlich auf der Herfahrt gestoßen.“ Und nun erzählte sie ihr von dieser unliebsamen Zusammenkunft, von diesem ‚Beinaheunfall‘, den sie gerade noch verhindern konnte. „Ein blauer Audi war es. Ich habe es gerade noch erkennen können. Dann war der Raser auch schon um die nächste Biegung verschwunden.“
„Komisch“, erwiderte die Töpferin daraufhin und wirkte mit einem Mal sehr nachdenklich.
„Was bitte schön ist daran komisch?“
„Nun, ich weiß nicht, wie ich es sagen soll, vielleicht ist das auch nur Unsinn. Etwa dreißig Minuten vor deiner Ankunft klingelte jemand an meiner Tür. Es war ein gutaussehender, überaus adrett gekleideter junger Mann. Ich habe ihn hier noch nie zuvor gesehen. Erst hielt ich ihn für einen Vertreter und wollte ihn wegjagen. Da fragte er mich plötzlich, ob ich ein Antiquariat betreibe und mich eventuell auf Gartenzwerge spezialisiert hätte. Ich guckte in diesem Moment nicht schlecht, denn meine Internetseite weist in keinerlei Form etwas zu meiner Privatanschrift aus. Jeder Kontakt, wie auch in deinem Fall, kommt immer erst nach vorheriger Absprache und Ankündigung zustande. Ansonsten bin ich aus Sicherheitsgründen weitestgehend anonym. Woher wusste dieser Mann also von meiner Privatanschrift?“
„Ja und? Was habe ich damit zu schaffen?“ Sina verstand nicht.
„Dieser Mann war in einem blauen Audi Kombi unterwegs und dem Wagen fehlte auf der Fahrerseite der Außenspiegel. Es war ein neuerer Bagatellschaden, da die Kratzer im Lack noch nicht verrostet waren. So was fällt mir immer auf, weil ich mir nicht nur Zwerge genauer ansehe. Da hat man einen scharfen Blick fürs Detail. Ich denke, der Schaden ist heute oder die letzten Tage entstanden. Der war noch keine Woche alt.“
Sina wurde hellhörig, denn das war in der Tat ein merkwürdiger Zufall. „Und der hat sich für Gartenzwerge interessiert?“
„Ja, durchaus. Kennst du den Kerl etwa?“, wollte die Blank sogleich wissen.
„Unsinn. Dabei wäre ich selber dringend daran interessiert zu wissen, wer das war, denn er hat mir nämlich ganz nebenbei ebenfalls den Spiegel abgefahren. Dieser Idiot.“
Die Blank schüttelte jetzt ihrerseits mit dem Kopf und verblüffte Sina mit der Aussage, er habe ihr sogar seinen Namen gesagt. Nach kurzem Nachdenken fiel er ihr wieder ein. „Tom Enders, Wenders oder Wanders, oder so“, rief sie erleichtert aus. „Tom aber auf jeden Fall. Da bin ich mir sicher. Ob er wirklich so heißt, weiß ich natürlich nicht. Aber warum sollte er mich belügen? … Was wirst du jetzt tun? Den Namen recherchieren oder eine Anzeige erstatten? Das ist sehr gefährlich. Man weiß ja nie, was das für ein Typ ist.“
„Ich weiß noch nicht“, erwiderte Sina. „Vielleicht lässt er sich tatsächlich ermitteln. Wenn er mit sich reden lässt und mir den Spiegel ersetzt, wäre das für mich damit erledigt.“
„Sei bloß vorsichtig. Irgendwie war der mir nicht geheuer.“
„Inwiefern?“
„Kann ich nicht sagen. Es war mehr ein Gefühl. Er hatte so komische Augen, weißt du? Solche, die selbst beim Lachen starr bleiben. Wenn du verstehst, was sich meine … Wie wollen wir jetzt verbleiben? Kommen wir wegen des Zwerges noch ins Geschäft?“, drängelte die Töpferin erneut.
„Ich werde mich zu gegebener Zeit noch einmal melden. Doch heute nehme ich erst einmal nur die Farbbestellung mit“, versprach Sina, setzte Boy wieder runter und stand auf. „Hat mich sehr gefreut, deine Bekanntschaft gemacht zu haben.“
„Gleichfalls. Es war schön, dich wiederzusehen.“
„Wo könnte man in der Gegend eine Kleinigkeit essen?“, fragte Sina.
„Oh, da solltest du in Billers Gasthof in Haßmoor einkehren und dort unbedingt die Kaiser-Wilhelm-Torte ausprobieren! Das ist etwas für Genießer.“ Sina nahm den Karton mit den vorbestellten Farben an sich, bezahlte und gab Tabea zum Abschied die Hand. Kurz darauf verriegelte diese die Tür zweimal hinter sich.
Mit geschulterter Tasche voller Exponate und dem Karton unterm Arm ging Sina zum Rover zurück. Boy wuselte derweil um ihre Beine. Sie war jetzt völlig durcheinander und kam nicht zur Ruhe. Was hatte das alles zu bedeuten? Vor allem aber, was sollte diese ekelhafte Umarmung? Was bildete sich die alte Schabracke bloß ein! Und dann dieser Sonntagsfahrer – es war wirklich mysteriös. Und woher, verdammt nochmal, kannte die Blank ihre Eltern? Und was sollten diese komischen Andeutungen? Aber wie Sina es auch drehte, irgendwie ergab das alles keinen Sinn.
Auf