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Freiheit noch etwas anderes, das ihm unschätzbar war: Fenster, die weit über die Dächer in die Landschaft und in die Ferne blicken ließen. Das brauchte er, darum wohnte er so hoch. Auf Luxus machte er keinen Anspruch, er störte ihn nur. Seine Wohnung war ein Arbeitsraum. Er wohnte den Wolken nah, und die Glocken von Sankt Peter und Sankt Stephan waren seine lieben Nachbarn.

      »Mit dem Adel ist gut leben«, dachte er nun mit dankbarem Gefühl, als er die dunkle Wendeltreppe hinaufstieg und des verlaufenen Tages und aller früheren Wohltaten sich erinnerte, die er empfangen. »Aber man muß etwas haben, womit man ihm imponieren kann!«

      Als er sich die Treppe hinaufgetastet hatte und an seine Wohnungstür trat, stieß sein Fuß an etwas Weiches, Lebendiges, das sich sofort rührte.

      »Holla, was ist das?« Er strich rasch ein Wachshölzchen an und leuchtete einem Menschen ins Gesicht, der vor der Tür gelegen und eingeschlafen war.

      »Was zum Kuckuck, sind Sie es, Ries?«

      »Ja,« erwiderte der junge Mensch, »ich kam zu spät zu Lichnowsky, nachdem ich Zmeskall nicht zu Hause fand und erst nachmittags erreichen konnte. Da Sie noch nicht daheim waren, hielt ich es für das beste, hier zu warten, und wäre beinahe eingeschlafen. Es ist wohl spät geworden – – –«

      Der Meister mußte lachen, aber insgeheim war er doch gerührt über diesen Beweis dankbarer Anhänglichkeit. Also hatte doch ein menschliches Wesen auf ihn gewartet.

      »Hier bringe ich die gewünschten Sachen, den Spiegel, das Geld; und morgen wird sich Herzog, ein alter Diener mit guten Zeugnissen, vorstellen.«

      »Nun kommen Sie herein, Ries,« sagte der Meister, indem er aufschloß; »wir wollen sehen, ob sich noch ein Tropfen Wein in der Flasche und ein kleiner Imbiß vorfindet. Ich habe Hunger, und Sie werden auch ein paar Bissen nicht verschmähen.«

      Mit ein paar Handgriffen hatte Ries das Zimmer halbwegs in Ordnung gebracht und die Spuren der Morgentoilette hinausgeschafft, indem der Meister seine Vorräte musterte. Da standen noch ein paar halbgeleerte Weinflaschen umher, die Reste früherer Mahlzeiten, zwischen den Fenstern lag ein halber Laib Strachinokäse; ein tüchtiges Überbleibsel echter Veroneser Salami, eine ausreichende Krume Brot, wenn auch schon ziemlich hart geworden, fand sich vor, aber man hatte gute Zähne, und es dauerte nicht lange, so hieben die beiden wacker ein – es dünkte ihnen ein Göttermahl und schmeckte weitaus besser als an der reich bestellten Fürstentafel. Nach beendeter Mahlzeit erhob sich der Künstler und trat an das Klavier. Er vertiefte sich sofort in seine Notizen über die »Adelaide« und arbeitete die Komposition rein heraus.

      Als er nach einer Stunde aufsah, saß Ries noch immer da, aufmerksam und treu wie ein Hund. »Ja, zum Teufel, jetzt machen Sie aber, daß Sie fortkommen und sich tüchtig ausschlafen! Das Geld von Zmeskall können Sie behalten; morgen springen neue Quellen!« Er merkte gar nicht, daß Ries sich empfahl, denn er war schon wieder tief in seine Arbeit versenkt, die sein königlicher Reichtum und sein Segen war.

      III. Kapitel.

      Das Wiener Absteigequartier der gräflichen Familie Brunszvik war das kleine Adelshotel, das den Namen »Zum goldenen Greifen« führte und in der Kärntnerstraße lag, wo sich heute ungefähr das Hotel Erzherzog Karl befindet.

      Die Gräfin-Mutter saß in diesen traulichen Gemächern, die mit ihren weißen Tapeten und sparsamen Goldleisten, mit bestickten Klingelzügen und blumigen Sofas, mit den Glasschränken voll alten Porzellans und den unerdenklichen Tischchen in allen Formen, mit Vasen und kostbaren Uhren einen überaus behaglichen, vornehm fraulichen Eindruck machten.

      Die Menschen sahen gut aus in solchen Räumen, besonders wenn sie Stil hatten. Und Stil hatte die weißhaarige Gräfin, wie ihre beiden Töchter Theresa und Josephine, die in langen, fließenden Gewändern eine geradezu klassisch-griechische Linie aufwiesen. Die Damen waren mit Handarbeiten beschäftigt, dabei floß das Gespräch munter hin.

      Besuch war da, eine Kusine, die junge Komtesse Giulietta Guicciardi, eine hochblonde Teufelsschönheit, die erst kürzlich nach Wien gekommen war, als der Vater, Graf Guicciardi, von Triest hierher versetzt worden war und die böhmische Hofkanzlei zu leiten hatte.

      Auch der junge Graf Gallenberg war erschienen, trotz seiner großen Jugend schon sehr blasiert und durch seine Ballettmusik im Mozartstil, die sich in Paris großer Beliebtheit erfreute, bereits berühmt geworden. Er bildete sich nicht wenig darauf ein, obschon er sehr verächtlich von der Kunst und den Künstlern sprach. Er glaubte dies seinem Adelsrang schuldig zu sein, der zwei Klassen unterschied: eine, die in Musikenthusiasmus aufging, und eine andere, die alles Geistige verachtete und als nicht standesgemäß empfand. Hier galt nur das Pferd, die Jagd und das Weib. Der blutjunge Gallenberg hielt es mit beiden Gruppen.

      Er war augenscheinlich nur wegen der Gräfin Giulietta erschienen, der er wie ein Schatten folgte und auffallend den Hof machte. Sie behandelte ihn dafür ebenso auffallend schlecht und widerlegte damit aufs schlagendste das immer wieder auftauchende Gerücht einer bevorstehenden Verlobung.

      Theresa und Josephine erzählten von der anstrengenden Tag- und Nachtfahrt, die sie von ihrem Familienschloß Martonvásár in Ungarn nach Wien gemacht hatten; Giulietta und Gallenberg hörten zerstreut zu.

      »Die Straßen waren grundlos nach den letzten gewitterartigen Wolkenbrüchen,« erzählte Theresa, »die Erde ein See, alles unter Wasser – Wiesen, Äcker, Ödland; wir gondelten mit vier Pferden dahin, daß es unter den Hufen spritzte und schäumte, als ob wir mit neptunischen Rossen dahinsausten. Aber schön war der Abendhimmel über Land und Wasser wie nach der versickernden Sintflut: purpurn bis türkisgrün, so schön, wie er nur in Ungarn sein kann oder in der Campagna – – – Dann diese Monotonie der Ebenen und der Ödländer: hie und da ein einsames Strohdach, ein verlorner Brunnen mit hohem Gestänge; dann wieder gepflegte Parkbezirke mit weißem Schloßantlitz, halbverhüllt von dunklem Geäst – – –«

      »Hören Sie auf, Gräfin, Sie werden mir zu poetisch,« warf Gallenberg näselnd ein, »das hält man nicht aus.«

      »Es war auch poetisch«, sagte kühl Theresa.

      »Als es finster wurde, traute sich der Kutscher János nicht durch den Wald; er fürchtete sich vor den Räubern,« spann jetzt Josephine den Faden der Erzählung weiter, »da nahm ihm Theresa kurzerhand die Zügel aus der Hand, und fort ging's durch die pechschwarze Finsternis und über Wurzelknoten, daß man meinte, die Räder gingen entzwei; mir liegt die holperige Fahrt noch in allen Gliedern. Mir ist es immer ein Vergnügen, wenn etwas glücklich überstanden ist, und hinterher lachten wir den János tüchtig aus, der sich recht geschämt hat.«

      »Das lasse ich mir schon eher gefallen«, näselte wieder Gallenberg. »So hätte ich es auch gemacht.«

      »Sie hätten es gemacht wie János, des bin ich sicher, Gallenberg«, spottete Josephine.

      Und Giulietta rief fast sehnsüchtig: »O du! Das muß ja herrlich gewesen sein! Weißt du: je größer die Gefahr, desto lieber das Abenteuer! Das wäre mein Geschmack. Habt ihr keine Räuber gesehen? Nein?! Oh, wie schade!« Sie dehnte das Wort mit dem Ausdruck einer solchen Enttäuschung, daß man glauben konnte, es ginge ihr von Herzen. Alle mußten lachen.

      Die Gräfin-Mutter entsetzte sich über die Beschwerden solcher Reise; sie war seit einem Jahr nicht auf das Gut zurückgekehrt und hatte tausend Fragen.

      In dem graufließenden Gewand glich sie der fadenabschneidenden Parze; das weiße Spitzentuch um Hals und Schulter, die weiße Frisur, die feinen Linien und Fältchen des Gesichts, die brennend schwarzen Augen in der aschenhaften Blässe des Antlitzes, die strenge und doch schier ungezwungene Haltung gaben ihr die traditionelle Erscheinung eines wandelnden Ahnenbildes; in ihrer etwas eisigen Erstarrung schien sie übrigens älter, als sie sein mochte.

      Ob sich der alte slowakische Schäfer noch immer so betrinke, wollte sie wissen; und ob ihm der Schnaps endlich entzogen worden sei. Ob die Pfauenkücken wohl gedeihen und wie die Wintersaat stehe. Ob die Kübelpflanzen aus dem Glashaus ins Freie geschafft und auf dem Kiesweg zur Schloßauffahrt aufgestellt seien. Der März lasse sich

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