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mal probieren,« meinte Czerny, »wenn es der Meister hören will.«

      »Nun, so probiert es, wenn Ihr wollt«, war die Antwort.

      Der Sänger begann, und Beethoven, eben noch finster und unruhig, wurde ernst; als das Lied zu Ende war und Czerny mit Krumpholz vor Begeisterung überfloß, sagte er ganz heiter:

      »Nein, nein, lieber Alter; die Adelaide werden wir schon nicht verbrennen!«

      Der junge Czerny hatte unterdessen Zeit, sich in dem Zimmer umzusehen. Es kam ihm recht wüst und zyklopenhaft vor. Ein wunderliches Durcheinander von Büchern, Musikalien und Briefen in allen Ecken und Enden, auf dem Klavier, am Fußboden und in den Winkeln. In einer Zimmerecke war ein kleiner häßlicher, rothaariger Mensch beschäftigt, in das Chaos Ordnung zu bringen; kostbare Originalmanuskripte, flüchtige musikalische Notizen, die Niederschriften unsterblicher Gedanken, gedruckte Noten, Korrekturbogen, die der Erledigung harrten, lagen wirr durcheinander und waren nun halbwegs gesichtet; aber der Meister, der ein bestimmtes Manuskript suchte, warf wieder alles kunterbunt durcheinander, darüber der kleine rote Kerl in unbändige Wut geriet und schrie, daß alles vergebliche Arbeit sei, und daß er sich einen anderen suchen möge, der ihm den Narren abgebe. Der Meister wieder beschuldigte den Famulus, daß er alles Wichtige und Kostbare verräume, so daß sich überhaupt kein Mensch mehr auskenne, und daß die scheinbare Unordnung nur eine Art höhere Ordnung sei, die Karl eben durch seinen blinden Eifer gestört habe. Es gab heftige Worte auf beiden Seiten mit dem Resultat, daß der Rothaarige davonlief.

      Aus dem Zusammenhang der Debatte und den aufklärenden Äußerungen des Meisters ging hervor, daß dieser Karl sein Bruder sei, Musiker und nun auch Beamter in der Staatsschuldenkassa; er habe ihn, ebenso wie den Bruder Johann, der in einer Apotheke untergekommen sei, nach Wien kommen lassen, um besser für beide sorgen zu können, nachdem er, der Meister, als der Älteste, schon in Bonn gleichsam die Vaterstelle an ihnen vertreten und für die Ausbildung und Erziehung sich bemüht habe. Aber es sei ein rechtes Kreuz mit den Brüdern. Er habe gehofft, dankbare Hilfe an ihnen zu finden, er brauche eben jemand zur Erledigung der Korrespondenz und der geschäftlichen Angelegenheiten, für die ihm weder Zeit noch Geduld bliebe, so wichtig sie auch sind; zuerst habe ihm Johann Sekretärsdienste geleistet, aber mit ihm ging's gar nicht, und jetzt sei Karl eingesprungen, dieser nervöse, aufgeregte Mensch, mit dem auf die Dauer ebensowenig auszukommen sei. Er müsse doch wieder selbst auf alle Dinge sehen, sonst ginge alles schief; das eine oder andere verschwindet, man wisse gar nicht wie – kurzum nichts als Ärger!

      »Das hat man von den lieben Brüdern! Eigentlich kann ich keinem vertrauen.« Mit diesem bitteren Wort schloß der Meister seine Klage. »Und ich brauche doch jemanden; der Alltag zerstört mich!«

      Der Meister, im übrigen wohl befriedigt von dem guten Eindruck, den »Adelaide« auf die begeisterten Zuhörer machte, war gnädig gestimmt und nahm den jungen Czerny als Schüler auf, obwohl er hinzufügte, daß der Unterricht für ihn eine harte Fron sei. »Was hat sich doch die gute Hofrätin Breuning in Bonn für redliche Mühe gegeben, mich in der Jugend bei der Stange zu halten,« äußerte er erinnerungsselig, »wenn ich beim Grafen Westphal, wo ich Stunden zu geben hatte, vor der Haustür wieder umkehrte, weil es eben manchmal beim besten Willen nicht ging. Aber sie beobachtete mich vom Fenster aus, und dann gab's immer eine Strafpredigt. Wenn aber manchmal gar nichts half, dann pflegte sie zu sagen: er hat eben heute wieder seinen Raptus! Das ist mir aus der Jugend geblieben, der Raptus; damit man es nur weiß, wenn ich ab und zu meinen Schüler unverrichteter Dinge wegschicken muß. Nun setz dich her, mein Junge!«

      Der Knabe spielte etwas vor aus Mozarts großem D-Dur-Konzert; der Meister rückte näher, spielte mit der linken Hand bei den akkompagnierenden Passagen die Orchestermelodie mit und äußerte sich wohl zufrieden.

      »Der Knabe hat Talent, schicken Sie ihn wöchentlich einigemal zu mir.«

      Krumpholz, sein Narr, war entzückt über den Ausspruch: drei Beglückte verließen das Haus.

      Nachmittags kam Bruder Karl wieder zurück, etwas kleinlaut. Aber es war schon Ferdinand Ries da und hatte sich, wie sooft schon, über den Haufen hergemacht, um halbwegs Ordnung zu schaffen, eine reine Sisyphusarbeit, denn alsbald war ja doch alles wieder durcheinandergeworfen. Meister Ludwig schickte den Bruder weg.

      »Laß das; das macht jetzt schon ein anderer!«

      Wieder ging Karl wütend davon.

      »Du kommst schon wieder,« rief er unter der Tür, »wenn du mich brauchst, aber dann kannst lange warten, bis ich nochmals einen Narren abgebe.« Und schlug die Tür krachend hinter sich zu.

      »Der betrügt mich doch nur, wie mich Johann betrogen hat«, äußerte der Meister mit schlimmem Verdacht; »nie mehr über meine Schwelle!« Er rang förmlich die Hände: »Ach wohin wird das noch führen, wenn man sich nicht einmal auf die eigenen Brüder verlassen darf!«

      Der Meister tat sich wirklich schwer mit dem Alltag.

      Einige Tage später war Bruder Karl wieder da. Ganz verändert; grinsend freundlich, schmeichlerisch.

      »Lieber Ludwig, wie geht's dir? Ich hab's gar nicht mehr ausgehalten vor Sehnsucht, dich zu sehen!«

      Gerührt über soviel Liebe, schloß Ludwig seinen Bruder in die Arme.

      »Herzensbruder, daß du nur wieder da bist! Du siehst ganz schlecht aus; fehlt dir etwas?«

      »Ach Ludwig, ich wollte dir eigentlich gar nichts sagen, um dir das Herz nicht unnötig schwer zu machen – aber, aufrichtig gestanden, freilich fehlt mir etwas: du weißt, der kleine Gehalt, und bis zum Monatsende ist weit; ich getraue mich gar nicht zu fragen: könntest du mir mit einer Kleinigkeit aushelfen?«

      »Aber natürlich, Herzensbruder! Ich bin zwar gerade auch nicht bei Kasse, und siehe, der Hauswirt hat einen Zettel heraufgeschickt wegen der schuldigen Miete; die 600 Gulden Jahresrente, die mir Fürst Lichnowsky ausgeworfen, erlauben auch keine allzu großen Sprünge – aber das tut alles nichts; abends kommt Freund Amenda, da wollen wir sehen, was sich vorläufig tun läßt.«

      Karl war schlau; er wußte, wie er den Bruder zu nehmen hatte, der dankbar war für ein bißchen Liebe, wenn es auch nur eine sehr interessierte Liebe war; er nahm sie für echt.

      »Aber dem Johann geht's doch gut in seiner Apotheke; hat dir der nicht beispringen können?« fragte der Meister.

      »Lieber Ludwig,« beteuerte Karl, »du weißt doch, was Johann für ein selbstsüchtiger, aufgeblasener Mensch ist. Dem um etwas zu kommen, da ist man schon beim Rechten!« Und nun legte er los und schimpfte in einem Atem über den abwesenden Bruder. Er wußte, daß auch Ludwig auf ihn nicht gut zu sprechen war, und redete dem Meister zu Gefallen.

      »Ja, ja,« sagte Ludwig, »ich kenne ihn; und in einigem hast du recht. Ein undankbares Geschöpf ist er, und das kränkt mich!«

      »Und gegen dich hat er es scharf,« schürte Karl, »daß du nichts Rechtes bist und auch nichts Rechtes werden wirst: er beurteilt eben alles vom Geldstandpunkt; wer nichts hat, der gilt ihm nichts!«

      Das brachte Ludwig erst recht gegen Johann auf: »So, also das ist seine Meinung! Der Elende, der alles, was er ist, mir zu verdanken hat! Seine Stellung, sein Einkommen, alles, was er ist und hat! Oh, dieser Mißratene! Sei nur guten Muts, Karl, du brauchst dich nicht erniedrigen vor ihm, ich werde für dich sorgen, wie ich früher gesorgt habe für euch beide!«

      Der Familiensinn und das Pflichtgefühl, ein großväterliches Erbe, waren stark in dem Meister, und Karl verstand es vortrefflich, diese Tugenden für sich auszubeuten.

      Abends kam wirklich der junge kurländische Theologe Amenda, der in Wien einige Studienjahre verbrachte und im Hause des Fürsten Lobkowitz Vorleser war. Dort hatte ihn der Meister kennengelernt und sofort eine warme Freundschaft zu ihm gefaßt. Amenda begleitete ihn oft auf Spaziergängen, verbrachte halbe Nächte in seinem Quartier, wo gemeinschaftlich musiziert wurde, denn Amenda war auch ein guter Violin- und Cellospieler; nebstbei war er Lehrer bei Mozarts Kindern, nachdem die Witwe Mozarts wieder geheiratet hatte und sich in guten Verhältnissen

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