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dem freundschaftlichen Beisammensein des Abends wurde fleißig musiziert, und der Meister phantasierte wundervoll auf dem Klavier.

      Schließlich sagte Amenda: »Jammerschade, daß solche herrliche Musik mit dem Augenblick verschwindet, in dem sie geboren.«

      »Du irrst«, sagte Meister Ludwig und wiederholte die extemporierte Phantasie ohne jede Abweichung.

      Im Vorzimmer wurde heftiger Wortwechsel hörbar, der Diener wollte einen robusten Mann abweisen, der indessen den Alten beiseite schob und mit kurzem Anklopfen ungestüm hereintrat: »Mein Geld muß ich haben, sonst haben Sie morgen die Kündigung.«

      Der Hausherr.

      Ach, daß diese gemeine Prosa den hochbeschwingten Augenblick stören muß!

      »Geld, Geld! Das ist leicht gesagt! Woher nehmen, wenn man's just nicht hat!«

      »Nun, das wird doch nicht schwer sein«, meinte Amenda, der sich ins Mittel legte, um einen unliebsamen Auftritt zu verhüten. Denn der Meister wollte Grobheit mit Grobheit erwidern und den ungebärdigen Mahner vor die Tür setzen. Amenda hieß den Mann, im Vorzimmer zu warten oder in einer Viertelstunde wiederzukommen.

      »Nun?!« wandte sich Meister Ludwig fragend und erwartungsvoll an Amenda.

      »Nichts leichter als das«, erwiderte dieser kaltblütig. »Ich gebe dir ein Thema auf: Freudvoll und leidvoll. Du hast eine Viertelstunde Zeit zur Variation.«

      Der Meister begriff nicht, was Amenda wollte, aber er ahnte einen dunklen Sinn und fügte sich.

      Als die Zeit um war, gab er ihm mürrisch das Blatt: »Da ist der Wisch!« So begann die Bekanntschaft mit Goethes Dichtung.

      Amenda ließ den Wirt wiederkommen und gab ihm das Blatt mit der Anweisung, sich das Geld bei den Verlegern Beethovens Steiner und Haslinger, den »Paternostergäßlern«, einzukassieren.

      Etwas mißtrauisch nahm der Hauswirt diesen sonderbaren Schein in Empfang; es war kurz nach sieben Uhr, wenn er sich beeilte, so konnte er den einen oder anderen Chef der Verlagsfirma noch antreffen.

      Es dauerte gar nicht lange, so kam der Mann hocherfreut zurück und entschuldigte sich wegen seines vorigen allzu aufdringlichen Benehmens; dabei tat er die Frage, ob er noch mehr solcher »Zettel« haben könne.

      Dem Bruder Karl glänzten gierig die Augen, als er eine solche schnell funktionierende »Notenpresse« sah.

      Ludwig erinnerte sich, daß ihn Karl angepumpt hatte; er ließ sich ein neues Thema aufgeben, und in einer weiteren halben Stunde hatte auch Karl seinen »Zettel«. »Das muß ich mir merken«, dachte er und empfahl sich eilends, in der Hoffnung, den Laden in der Paternostergasse noch offen zu finden.

      Die Freunde waren allein.

      Amenda machte eine betrübende Eröffnung.

      »Habe ich dir schon gesagt,« begann er, »daß ich im Begriffe bin, Wien zu verlassen?«

      »Nein, das darf nicht sein«, erwiderte der Meister erschrocken; »du kannst mich nicht allein zurücklassen in der großen fremden Stadt.«

      »Ich habe eine Anstellung in der Heimat«, erwiderte der junge Theologe, der dem Meister merkwürdig ähnlich sah, besonders wenn er lachte. Ähnliche Züge, ähnliche Seelen – das mochte der geheime Grund der tiefen Sympathie und des Vertrauens sein, das der sonst so leicht mißtrauische Meister für Amenda empfand.

      »Du bist nicht allein,« sagte der Theologe, »du hast viele Freunde, die größer und mächtiger sind als ich; was konnte ich armer Student denn dir sein, dem anerkannten, viel umworbenen Künstler, außer daß ich ein Empfangender war und dir dankbar bin dafür.«

      »Ich habe viele Bekannte, aber keine Freunde außer dir und etwa Stephan Breuning, Leonorens Bruder, der seit einiger Zeit auch hier ist, wie du weißt, und mir Wegeler, den Bonner Jugendfreund, ersetzt, der nun schon wieder in Bonn ist und mich verlassen hat wie du jetzt, der Glückliche!« Der Gedanke an Leonore stahl sich durch sein Gemüt, als er den Namen Wegelers und Steffens genannt hatte; sie waren ja ein unzertrennliches Bonnsches Kleeblatt gewesen. Und ein noch tieferer Schatten von Trauer senkte sich über ihn. »Jetzt bin ich arm und verlassen!«

      »Wieso, Freund?« tröstete ihn Amenda, »du sitzest mitten im Glück, verwöhnt von den Großen, ein Liebling der Frauen – ich wollte, ich wäre an deiner Stelle!«

      »Ach, unter diesen elenden egoistischen Menschen,« greinte der unzufriedene Künstler, der leicht zur Misanthropie neigte, »da ist allenfalls der Fürst Lichnowsky, der mir noch der liebste ist; er hat sich wenigstens generös gezeigt. Aber was sie tun, das geschieht doch auch wieder aus Eigennutz, und da kennen sie keine Rücksicht; wenn einem schon das Blut aus den Fingern spritzt, da heißt es trotzdem noch immer spielen, spielen, spielen, und schließlich trotzen sie es einem durch Bitten und Schmeicheln ab. Sie kümmern sich gar nicht darum, daß Phantasieren heißt: die Seele bloßlegen, daß man sich oft dabei wund und elend am ganzen Körper fühlt; für sie ist es ein bloßer Genuß – oh, wie ich diesen Genießerstandpunkt in der Kunst hasse, – wie ich ihn verachte!« –

      Und da er schon im Zuge war, so goß er gleich die ganze Schale seines Unmuts aus, gleichviel ob er im Recht war oder nicht.

      »Und was die anderen betrifft, wie etwa den Zmeskall, so weißt du, daß er mir ebensowenig wie alle übrigen gefallen kann, sie sind und bleiben zu schwach zur Freundschaft. Ich betrachte sie als bloße Instrumente, auf denen ich spiele, wie's mir gefällt; ich taxiere sie nach dem, was sie mir leisten. Seit ich mein Vaterland verlassen habe, bist du einer, den mein Herz erwählt hat und mit dem ich wie mit meinen Jugendfreunden das Vergnügen des Umgangs und der uneigennützigen Freundschaft teilen kann. Und nun gehst auch du, aber das muß eben sein – es ist nun mein Los, und das heißt: allein sein!«

      Amenda wunderte sich ein wenig über das harte Urteil, das der Meister über seine Wiener Freunde fällte; doch er wußte, daß er die Übertreibung liebe und daß ihm jene doch mehr waren als bloße »Instrumente«; es war eben Seelenbekümmernis über das Scheiden des Freundes, die aus ihm sprach: sein Gemüt war verfinstert. Ihn auf freundlichere Gedanken zu lenken, brachte Amenda das Gespräch nochmals auf die Frauen; Wegeler wollte wissen, daß der Meister »immer in Liebesverhältnissen« war und mitunter Eroberungen machte, die manchem Adonis, wo nicht unmöglich, so doch sehr erschwert gewesen wären.

      Er erinnerte ihn jetzt daran.

      Der Meister lächelte wehmütig. »Du weißt, wie ich über diese Dinge denke: die längste Liebe hat nicht sieben Monate gedauert, und betrachtet man's genau, so war's nicht einmal eine Liebe. Die müßte kommen im Sturm, wie eine Katastrophe, die den ganzen Menschen um und um stürzt, das Innerste nach außen – aber ich fürchte, ich bin zu vernünftig dazu, vielleicht auch zu bedenklich und zu sehr an die eine Frau Kunst verschworen, als daß ich den Kopf an eine andere verlieren könnte. Es müßte denn sein, daß sie mich inspiriert und selbst so eine Art Muse wird – aber das gibt es wohl nicht!«

      Er sann eine Weile nach und fügte in Erinnerungen verloren hinzu: »Einmal allerdings habe ich eine geliebt, die mir Herzensfreundin und Muse zugleich war: mit ihr wäre ich vielleicht glücklich geworden – vielleicht bilde ich mir das nur ein – genug an dem, sie gehört einem andern, du weißt ja: Leonore ... Wegeler irrt sich; seitdem ist mir Frau Venus beharrlich aus dem Wege gegangen; ist auch besser so – – –«

      Eine Pause entstand.

      »Kennst du die Komtessen Brunszvik?« fragte er plötzlich und ganz unvermittelt. »Ich glaube Theresa heißt die eine, Josephine die andere, die mit den Teufelsaugen.«

      Amenda verneinte; er kannte wohl den Bruder Franz Brunszvik und erzählte, daß er bei Lobkowitz viel geschwärmt habe von Meister Ludwig; übrigens sei er selten in Wien, meistens in Ungarn auf seinem Gut und in dem kleinen Palais in Ofen-Pest – –

      »Das hat mich neulich gepackt bei Lichnowsky, als ich sie zum erstenmal sah«, gestand Ludwig. »Ich dachte unwillkürlich an Leonore – ich bin immer

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