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erhob sich wieder, nachdem sich die erste schweigende Spannung gelöst hatte; die Unterhaltung nahm ihren Fortgang.

      Auf einer der seidenen Polsterbänke der Fensterwand zwischen den gelben Damastvorhängen saß Frau von Bernhard, eine baltische Klavierlöwin, die auf der russischen Gesandtschaft wohnte; sie hatte durch ihr Lorgnon die Vorgänge beobachtet und wendete sich jetzt mit etwas enttäuschtem Gesicht zu ihrer Nachbarin, der Baronin Ertmann, die bereits angefangen hatte, durch ihren genialen Vortrag der Beethovenschen Klaviersachen in der Gesellschaft zu brillieren:

      »Also das ist Euer berühmter Beethoven?! Hm! Habe ihn mir ganz anders vorgestellt!«

      Die Ertmann sah sie fragend an: »Wie denn?«

      »Nun – nicht so klein und unscheinbar. Eben anders.«

      »Klein und unscheinbar?« Die Baronin schüttelte lächelnd den Kopf. »Gerade das finde ich nicht.«

      »Dieses häßliche braune Gesicht voll Pockennarben! Und wie unmanierlich sein ganzes Gebaren und Benehmen ist! Dann die Kleidung! Ganz und gar unpassend für diesen gewählten Kreis. Sehen Sie doch den Altmeister Haydn dagegen!«

      Richtig, da war Papa Haydn, der an der Schmalseite des Saales stand und in einem Gespräch mit einem zierlichen behenden, quecksilberartigen Männchen vertieft war, ein Grandseigneur dagegen, ganz Rokoko mit reich gestickter Weste, braunem Staatsrock, großen Silberschnallen an den Schuhen; auf einem Seitentischchen lagen seine tadellos weißen Handschuhe, gleichsam unentbehrliches Attribut neben dem Dreimaster.

      »Und wer ist denn das exotische Männchen, mit dem sich Haydn so angelegentlich unterhält? Ja, der mit der Perücke und dem dünnen Zopfschwänzchen? Ein kleiner Diavolo, der lebhaft gestikuliert und die Augen überall hat?«

      »Ach so, der Hofmusikkapellmeister Salieri?«

      »Ah, der Italiener? Dachte mir's doch! Alle sind so sorgfältig nach der Hofmode gekleidet – nur Euer Beethoven scheint sich emanzipiert zu haben: fast vulgär; neben diesen großen Meistern sieht er doch wirklich sehr unscheinbar aus«, wiederholte die kritische Baltin.

      »Wenn Sie ihn spielen gehört haben, werden Sie ihn mit anderen Augen ansehen«, gab die Ertmann zurück.

      »Ich gestehe, daß ich nun doppelt neugierig bin – sehen Sie doch, wie die Fürstin die Hände zu ihm erhebt, als ob sie ihn bitten wollte, und er tut, als bemerkte er es nicht – – – ein ganzer Reigen von Damen, die auf einen Blick, auf ein Wort von ihm zu warten scheinen, aber er ist geizig damit, fürwahr, stolz ist er nicht wenig; ich finde das unerträglich – – –«

      Tatsächlich schien die Fürstin Christiane auf den Augenblick zu warten, da sich der Meister nach ihr umwenden würde; ein Kranz von Damen um sie harrte gleichfalls einer solchen gnädigen Audienz; augenscheinlich Enthusiastinnen, die ihm irgend etwas Schönes sagen wollten; aber er war in die Notenblätter vertieft und schien völlig entrückt.

      Dann ging sein Blick verloren über den Saal – lauter bekannte Gesichter, bis sein Auge plötzlich in größerer Nähe an einigen Erscheinungen haften blieb, die ihm völlig neu und ungewöhnlich waren.

      Die Hohe, Schlanke, mit dem römischen Gesicht, die schweren Flechten schlicht ums Haupt gewunden wie eine Krone, fesselte seine Aufmerksamkeit. Wer mag die sein?!

      Blick tauchte in Blick – nur eine Sekunde lang. Zwei dunkle Strahlen, die sich rätselhaft ins Herz senkten und eine seltsame Unruhe weckten. Sie schlug die Augen nieder.

      Fast verwirrt glitt sein Blick ab und wanderte zur Nachbarin. Himmel, wer ist diese Zarte mit den feuchtschimmernden, träumenden Mignon-Augen?!

      Wieder sah er zur anderen hin, und blickte bald auf die eine, bald auf die andere, indessen die beiden schönen Mädchen sich zulächelten und dann in anscheinend gutgespielter Unbefangenheit sich zur Fürstin wendeten, die nun einer älteren Dame mit hoher schneeweißer Frisur ein flüchtiges Wort gab.

      Er glaubte zu bemerken, daß die beiden Mädchen sich im leisen Geflüster mit seiner Person beschäftigt hatten; er wollte schon unwillig werden und sich in den Hintergrund zu »Falstafferl« zurückziehen, denn er liebte das Begafftsein nicht – da bemerkte er endlich die Fürstin, die ihm mit dem Fächer einen leichten Wink gab.

      Sofort stand er an ihrer Seite.

      »Ich möchte Sie bekanntmachen, lieber Meister, neue Verehrerinnen Ihrer Kunst«, sagte die Fürstin leichthin und deutete mit dem Fächer auf die Matrone und die beiden Mädchen: »Gräfin Brunszvik und ihre Töchter Theresa und Josephine – – – die jungen Damen sind mit der Eilpost hergereist von dem Landsitz in Ungarn und rechtzeitig erschienen, um das Konzert nicht zu versäumen – – –«

      Der Künstler reichte etwas derb der alten Dame die Hand – nein, Hofmann war er wirklich nicht, trotz des kurkölnischen Hofes zu Bonn, wo er aufgewachsen war –, dann schüttelte er Josephine und schließlich Theresa, jener mit der Haarkrone, ebenso stumm als kräftig die Hand.

      Schmal und zart lag Theresens Hand in seiner starken Faust. Wieder ruhte Blick in Blick, ganz kurz; er wollte etwas sagen, aber die Worte versanken, und er wartete, daß sie ihre Lippen öffnen werde; aber sie senkte nur die langen Wimpern wie einen Schleier und stand hold verwirrt da, ohne die Hand zurückzuziehen, die er plötzlich losließ. Theresa lächelte. Ein leises, fast spöttisches Lächeln, das sich weghob zu Josephine hin. Er bemerkte es und kam sich recht plump und ungeschickt vor, eine ungemütliche Situation, der er damit ein Ende machte, indem er sich ziemlich brüsk umwendete, auf das niedrige Podium sprang und »Falstafferl« zurief: »Anfangen, anfangen!«

      Dann nahm er selbst am Klavier Platz und schlug einen Ton an, für die anderen das Zeichen, daß es losging.

      Man setzte sich zurecht: im Halbkreis saßen ihm zunächst, so daß sich ihre Blicke begegnen mußten, wenn er aufsah, Theresa und Josephine mit ihrer Mama und Christiane. Aber er sah nicht auf. Den Löwenkopf mit der dichten ungeordneten Mähne gesenkt – er trug keine Perücke wie der alte Haydn oder wie der Satanskünstler von einem Salieri – das Gesicht verschlossen, finster, so saß er da und lauerte wie auf dem Sprung.

      Atemlose Stille im Saal. Dann brach die Tonflut hervor, nie gehörte Klänge, die aus ungeahnten Urwelten zu quellen schienen, wildes Sehnsuchtsweh, das in Klüften und Felsen von Einsamkeiten hallte und schrie, höher und höher schwellend, als wollten sie Götterthrone stürmen und die Himmlischen bedrängen. Das Lächeln über den ungeschlachten Meister versiegte, der Olymp bebte in seinen Grundfesten, die herrliche Umwelt zerfloß, zerschmolz in einer einzigen Träne, die er an den Wimpern der Gräfin Theresa schimmern sah, als er geendet und plötzlich aufblickte.

      Nun war an ihm die Reihe zu lächeln. Ein Lächeln so fremd, so wunderbar wie ein Strahl aus einer anderen fernen sagenhaften Welt; ein Lächeln von ergreifender tragischer Schönheit über der wilden heroischen Landschaft seines Gesichtes.

      Die Ertmann hatte sich zu ihrer Nachbarin gebeugt: »Nun, was sagen Sie jetzt?«

      »Was ich sage? Unbegreiflich, unbegreiflich! Es ist wahr, ich sehe ihn jetzt mit anderen Augen an. Ich war blind, jetzt bin ich sehend geworden'«

      Und sie sah ihn jetzt noch neugieriger an als je zuvor.

      Das erste, das zweite Trio rauschte vorüber. Aber am höchsten griff das dritte in C-Moll, der spezifisch Beethovenschen Tonart. Pathetisch, männlich kraftvoll, heroisch, voll ungebändigter Leidenschaft, voll auflehnendem Trotz. Eine neue, gänzlich unbekannte Empfindungswelt.

      Die andächtige Ergriffenheit ließ es nicht zu, am Schlusse der Aufführung zu applaudieren. Man hätte es als eine Entwürdigung des Werkes und der weihevollen Stimmung empfunden, in die alle Hörer versunken waren. Nur ganz allmählich löste sich der Bann, und das Erwachen aus dem Traum der Musik war zunächst peinlich und voll Verlegenheit. Alle Worte waren schal, kein Ausdruck fand sich.

      Der Hausherr machte der Ratlosigkeit entschlossen ein Ende, indem er mit lauter Stimme Papa Haydn anrief. Er, der Altmeister, sei berufen, dem jungen Genius den Dank und den schuldigen

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