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Zumindest ist das der Eindruck, der schnell entsteht, wenn man in Kontakt zu anderen Hundehaltern tritt. Sie wissen alles ganz genau, sind stets Herr der Situation und haben immer einen Kommentar parat, wenn ein fremder Hund nicht das tut, was er soll.

      Ansprüche an Hund und Halter im Wandel der Zeit

      Unsere Vorfahren nutzten den Hund als Arbeitstier. Er half dabei, die Herde beisammen zuhalten und den Hof vor Eindringlingen zu schützen. Je zutraulicher und zuverlässiger der Hund, desto größer waren seine Chancen, mit dem Menschen zu kooperieren und die Vorzüge der wechselseitigen Beziehung zu genießen.

      Der perfekte Hund von damals zeigte sich Fremden gegenüber aggressiv, er half bei der Jagd und verteidigte sein Territorium. Mit der Industrialisierung und Digitalisierung verloren seine Fähigkeiten jedoch an Relevanz und wurden zunehmend als störend empfunden. Der Hund von heute muss ein hohes Maß an Selbstbeherrschung aufbringen, um sich von seinem früheren Ich loszusagen. Was ihm dabei hilft, ist sein erstaunliches Talent, sich den wechselnden Umweltbedingungen anzupassen.

      Aber nicht nur der Hund muss sich variabel zeigen. Auch sein Halter hat allerhand damit zu tun, den Alltagsanforderungen gerecht zu werden. Konkurrenz im Berufsleben, die Globalisierung mit all ihren Möglichkeiten, Hektik, moderne Kommunikationswege und die ständige Erreichbarkeit, Selbstoptimierung, finanzieller Druck. Der stetige Wandel mag fortschrittlich sein, er verunsichert aber auch und hält das Stresslevel auf einem konstant hohen Niveau. Vor diesem Hintergrund erfüllt der Hund eine weitere, wichtige Funktion: In unserer zunehmend komplexen Welt ist er ein verlässlicher Ankerpunkt.

      Mit der Rollenverschiebung von Mensch und Tier veränderten sich auch die Gründe für den Hundekauf. Manch einer sucht gezielt nach hilfsbedürftigen Tieren, um Gutes zu tun. Ein anderer hofft auf soziale Bindung und der nächste nutzt seinen Hund, um Status und Etikette zu unterstreichen. Gerade der letzte Punkt geht jedoch häufig zulasten der Tiere. Begehrt ist was anders ist. Seltene Hunde sind aber oft ungesunde Zuchtmutanten (Anm.: persönliche Meinung des Autors). Viele von ihnen leiden gesundheitlich unter den Schönheitsmaximen der Menschen. Einige von ihnen können nur schlecht sehen oder erblinden im Laufe des Lebens, sie können ohne operativen Eingriff kaum atmen oder haben Schwierigkeiten beim Gehen. Wer sich einen Hund zulegt, sollte also genau überlegen, welche Motive er damit verknüpft und zu welchem Preis er seine Ziele erreicht.

      Verminderte Impulskontrolle im Zusammenhang mit körperlicher Betätigung

      Eine gestörte Impulskontrolle steht häufig im direkten Zusammenhang mit einem Mangel an Bewegung. Jedenfalls für Außenstehende, die immer einen gut gemeinten Rat auf den Lippen tragen. Sie legen dem Hundehalter nahe, den Hund systematisch zu beschäftigen. Dabei ist das oft genau der falsche Weg.

      Nicht selten fallen gerade die Hunde durch störendes Verhalten auf, die besonders gefördert werden. Leistungsorientierte Halter treiben ihre Vierbeiner zu Hochleistungen an und entwickeln ein Sportkonzept, das den Hund an seine körperlichen Grenzen bringt. Das Problem: Ein konstant hohes Erregungslevel widerspricht dem Naturell des Hundes. Dadurch kann er sich zu einem aufgedrehten und überreizten Tier entwickeln, das dem ständigen Drang unterliegt, auf Umweltreize zu reagieren.

      Der Halter steht damit in der Verantwortung, seinen Hund von ebendiesen Reizen abzuschirmen und ihm einen erholsamen Schlaf zu ermöglichen. Und das nicht nur in den Abendstunden, sondern über den ganzen Tag verteilt.

      Abgesehen davon setzt sich der Hundehalter selbst unter Druck, wenn er die sportliche Betätigung seines Gefährten allzu streng taktet. Schließlich muss er seinen Hund dabei begleiten, ganz gleich, vor welchen beruflichen oder privaten Herausforderungen er steht und in welchem gesundheitlichen Zustand er sich selbst befindet. Kann er die Anforderungen zeitweise nicht erfüllen, kommen Schuldgefühle auf und die eigene Erziehungstauglichkeit wird infrage gestellt.

      Die Ursachen für Verhaltensauffälligkeiten beim Hund verlaufen manchmal konträr. So kann ein unruhiger Hund sowohl an zu viel als auch an zu wenig Bewegung leiden. Gerade Wohnungshunde, die den ganzen Tag darauf warten, dass ihr Mensch nach Hause kommt, nur um dann schnell in den Garten geschickt zu werden, um dort die Notdurft zu verrichten, verlangen nach Beschäftigung. Sie sind physisch und kognitiv unterfordert und jagen neuen Impulsen freudig hinterher. Der Hund hilft sich selbst aus der Eintönigkeit hinaus, indem er monotone Bewegungsmuster durchbricht und stattdessen offensiv mit seiner Umwelt interagiert.

      Das Gute daran: Unterbeschäftigte Hunde lassen sich leicht in ihrem Verhalten korrigieren, indem der Alltag spannender gestaltet wird. Gemeinsame Spieleinheiten und abwechslungsreiche Laufrunden können schon zu einer spürbaren Veränderung beitragen. Aber wieder ist es der Hundehalter, der in der Verantwortung steht. Er muss sein Bedürfnis nach situativem Komfort zurückstellen und seinem Hund stattdessen neue Betätigungsfelder erschließen.

      Der Hund als Sozialpartner und Therapeut

      Für viele Menschen ist der Hund aber weit mehr als nur ein Accessoire oder ein sportlicher Begleiter. Er ist Freund, Partner oder Kind. Gerade in der heutigen Zeit schließt der Hund eine Lücke, die die Oberflächlichkeit sozialer Medien und die Unbeständigkeit realer Kontakte geschaffen hat. Der Hund steht für Eindeutigkeit und für ein unkompliziertes Beziehungsmodell. Er liebt bedingungslos und ist immer da, er kompensiert körperliche Distanz und hegt keine trügerischen Absichten. Wer sich in der schnelllebigen Welt verloren glaubt, findet in seinem Hund konstanten Halt. Er vereint Menschen, indem er den Gesprächseinstieg erleichtert und für eine Vielfalt an Gesprächsthemen sorgt. Gerade introvertierte Menschen profitieren davon.

      Teilweise geht die Vermenschlichung des Hundes aber so weit, dass eine symbiotische Beziehung zwischen ihm und seinem Halter entsteht. Der Hund wird dann als vollwertiges Familienmitglied angesehen. Er gibt die Tagesstruktur vor und darf sich verhalten, wie es ihm beliebt.

      Obgleich dem Hund heute ein höherer Stellenwert beigemessen wird als je zuvor, funktioniert dieses Rollenverständnis nicht. Ein Hund kann sich faktisch nicht auf Augenhöhe mit seinem Halter befinden, weil ihm nicht die gleichen Rechte zukommen und er nicht über dieselben Fähigkeiten verfügt. Er entscheidet nicht darüber, ob es ihm in seiner neuen Zwangsfamilie gefällt und hat auch in Alltagsfragen keine Entscheidungskraft. Zwar kann der Mensch eine Vorstellung darüber entwickeln, wie der Hund entscheiden würde, wenn er denn könnte. Dennoch ist die Entscheidungsgrundlage stets die eigene.

      Dessen ungeachtet erleben viele Menschen die Beziehung zu ihrem Hund als besonders intensiv. Sie haben das Gefühl, intuitiv verstanden zu werden.

      Grund dafür sind psychosoziale Ähnlichkeiten zwischen Mensch und Hund. Beim Verarbeiten emotionaler Informationen werden die gleichen Hirnareale aktiv. Außerdem sind beide Arten dazu in der Lage, die Stimmungen des jeweils anderen wahrzunehmen.

      Neben den Parallelen im Erfassen emotionaler Zusammenhänge können beide Spezies auch ähnliche Verhaltensstörungen ausbilden. Kein Wunder also, dass der Hund den Menschen immer wieder erfolgreich therapiert.

      Hunde können sich mit nahezu jeder Aufgabe arrangieren. Die Arbeit mit heftigen Emotionen kann aber in einer Überforderungssituation enden. Therapeut zu sein übersteigt das eigentliche Rollenverständnis des durchschnittlichen Haushundes und sollte deshalb speziell ausgebildeten Therapiehunden vorbehalten sein. Wer mit dem Gedanken spielt, einen Hund aufzunehmen, um körperlichen und seelischen Ballast abzuladen, sollte lieber alternative Möglichkeiten in Betracht ziehen.

      Impulsgesteuertes Verhalten liegt in den Genen

      Ob ein Hund zu impulsivem Verhalten neigt, kann rassespezifisch vererbt werden.

      Einige Hunderassen tendieren zu Auffälligkeiten, die man bei der Kaufentscheidung berücksichtigen sollte. So werden spezialisierte Jagdhunde, wie die Setter, vermutlich Probleme mit dem sicheren Rückruf haben. Arbeitshunde,

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