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hast. Schlimmer, er wird dich jagen lassen und erst mit deinem abgeschlagenen Kopf auf seinen Beinen Ruhe geben.« Er ging.

      »Onkel Sam?«, fragte John Claire Taylor aus, weder Lügen noch Ausreden duldend.

      Doch Claire Taylor wehrte sich mimisch.

      John blickte zu ihrem Sohn, der mit sich rang, wollte er doch weder Mutter noch John noch Sam White enttäuschen.

      »Onkel Sam«, rückte Carl Taylor schließlich mit der Sprache heraus, lediglich wiederholend, was bereits gesagt worden war.

      »Der Bruder von Clay?«, konkretisierte John skeptisch, doch er ahnte bereits, dass das Auftauchen dieses Fremden mit William Emeralds Tod zu tun hatte. Whiteman.

      Mutter und Sohn schauten sich traurig an.

      »Ja«, log sie erneut. »Der Bruder von Clay.«

      »Komisch«, sagte John. »War Clay ein Whiteman?«

      Claire Taylor biss sich auf die Lippe. »Wieso stellst du neuerdings so viele Fragen, John?«

      John nahm seine Sachen, legte etwas vom Kopfgeld auf den Tisch und humpelte hinaus. Wie er an Claire Taylor vorbeikam, blieb er stehen: »Danke«, hauchte er ehrlich, mit einem Klopfen auf das Eisenkorsett.

      Sie nickte, den Tränen nahe, und ließ ihn ziehen.

      John schlurfte über die First Street, vorbei an Kindern, Kutschen und Kübeln, vorbei an Männern, Mägden und Mätressen, über Sand, Staub und Steine, hinüber zum Heaven Hell, 2 weiße Pferde passierend, die Stufen hinauf in den Saloon, wo er durch die Ausgelassenheit und über Späne schnurstracks zur Treppe trottete. Joy Sin stand ihm im Weg. Am Geländer lehnte eine doppelläufige Flinte. Sie hielt die Hand auf. Ihre engen, verquollenen Augen löcherten ihn. Er konnte und wollte sie nicht anschauen, dafür verabscheute er ihre gelbhäutige Rasse zu sehr. Trotzdem gab er ihr den Rest des irrtümlichen Kopfgeldes für William Emerald.

      Sie zählte das Geld ab. »Deine Schulden und heute«, sagte sie mit starkem, zischelndem, näselndem Akzent.

      Die Passage war frei. Er schaffte sich nach oben.

      Vor einer verschlossenen Tür hielt er inne.

      »Kimama?«, rief er verhalten durch die Tür.

      Einen Augenblick später öffnete sie sich und ein Hänfling plusterte sich auf.

      »Kimama?«, griente der verächtlich, mit einem perfiden Grinsen zu den Wangen gezogen.

      John schwieg.

      »Darf ich vorbei?«, raunte der Schmalhans ungeduldig, erschöpft, erleichtert.

      Der Geruch von Seife, Parfüm, Männlichkeit, Eisen und benutzten Laken strömte aus dem dunklen Zimmer, das mit Vorhängen an den Fenstern vor dem Tag geschützt wurde.

      John mühte sich zur Seite. Die Wunde beeinträchtigte ihn, verursachte Schmerzen. Er stöhnte leise.

      Als der Hänfling an ihm vorbei war, blieb dieser stehen und stierte auf das auffällige Eisenkorsett unter Weste und offenem Hemd. »Kennen wir uns?«

      »Nein«, murmelte John.

      »Deine Stimme«, grübelte der Kurzgeratene.

      »Verpiss dich!«, antwortete John, ohne sich umzudrehen. Stattdessen trabte er ins Zimmer.

      »Wir sehen uns wieder«, giftete Ben Copper ungehalten, ging aber hinunter, um sich dem Fusel zu widmen.

      John haute die Tür zu und setzte sich aufs Kanapee, unter Schmerzen.

      »Ich komme gleich«, rief Mademoiselle Mallory aus einer Nische, wo Wasser rauschte und Mieder zwickte.

      John schälte sich aus dem Korsett. Haken, die man aneinanderpressen musste, um sie zu lösen - eine einengende Prozedur. Darunter kam blutiges Textil zum Vorschein.

      »Hey, Dainah Bozheena«, trat die Schönheit aus dem Winkel mit Kettengerassel und erschrak, als sie ihn so sah. »Dainah Bozheena, was ist passiert?«

      Sie ging zu ihm und untersuchte seine Wunde. Eine Eisenkette hatte ihren Knöchel im Griff, angeschlagen irgendwo im Boden. Sie trug aufreizende Kleidung, zu wenig für die Gesellschaft, selbst zu wenig für Geselligkeit. Ihre Aufmachung – Stoffmangel, viel Haut, Farbe im Gesicht – machte sie zu dem, was sie war: eine Hure.

      »Nur ein Streifschuss«, schmälerte John keuchend.

      »Leg dich«, zwang sie ihn auch physisch in die Liegeposition aufs Kanapee. Ohne die Verletzung und ihre Sorge wäre dies das Vorspiel gewesen.

      Dann zog sie ihn aus, wusch ihn mit einem Lappen und rieb auf seine nässende Naht eine Mixtur, die sie vorher anrührte – mit Kräutern aus verschiedenen Bottichen und Gesang von fremder Zunge. Anschließend ließ sie ihm ein Bad ein, dessen Wasserspiegel unterhalb der Verletzung blieb, entzündete Kerzen, die nebelten, half ihm beim Einstieg und legte seinen Colt Thunderer griffbereit neben die Wanne auf einen Hocker. Das Wasser färbte sich grün von der Mixtur und rot von seinem Blut, aber er genoss es – das warme Wasser, das sich um seine Beine und seinen Po schmiegte -, ohne die Augen zu schließen, die auf die Tür gerichtet waren.

      Mademoiselle Mallory streichelte ihn, seifte ihn ein und rasierte ihm die Stoppeln aus dem Gesicht. Dabei sang sie wieder die fremden Zeilen, die er nicht verstand, mit fremder Notation sowie Rhythmik, die seiner Kultur widersprachen. Als seine Barthaare um ihn herumschwammen und sein Gesicht frisch geglättet war, schob sie ihm eine schwarze Kaubohne in den Mund.

      Selig nahm er das Präsent entgegen. Mit jedem Kauen verflüchtigten sich die Schmerzen ein wenig mehr. Zusammen mit dem Kerzenrauch, ihrem Gesang und dem Tanz, den sie vor seinen Augen vollführte, tauchte er ab in eine Trance.

      Sie drehte sich, fächerte die Arme, wie in Zeitlupe. Sie spreizte die Finger, verborg ihr Gesicht, fuhr sich durch die Haare, zerzauste die schwarzen Strähnen, wackelte mit dem Popo und schlängelte sich wie eine stehende Schlange. Ihre Gesichtsbemalung mit den kunstvollen Schlangen auf Stirn, Kinn, Mundwinkel, Hals und Jochbein untermalte die traumatische Essenz.

      Als John mit offenen Augen träumte, sah er tausend Bisons auf sich zukommen - weiße Bisons, die Geistern ähnelten. Er spürte die Erschütterungen des Bodens. Das Beben. Und an der Spitze der Herde flatterte ein Schmetterling. Hinter sich vernahm er ängstliche Schreie, Schüsse, Peitschen und Pferde, Hufe, Wagenräder und Rufe. Er fühlte die Hektik in seinem Rücken, ließ sich davon aber nicht vereinnahmen. Stattdessen sah er nur die weiße Herde auf sich zukommen, wie eine Dampflok. Schließlich wurde er überrannt, jedoch nicht umgerissen. Vor seiner Nasenspitze hatte sich der Schmetterling postiert, als würde dieser ihn anstarren, warnen, anleiten oder anstacheln, und schützen. Zwischen den wütenden, weißen Geisterbisons roch er den starken Geruch der Tiere – ihr grasiger Atem, ihre herbe Verdauung, ihre derbe Lederhaut, die Natur, die Witterung, der sie ausgesetzt sind. Immer mehr rauschten an ihm vorbei. Wind. Sturm. Wie 2 Züge, die rechts und links vorbeischießen. Hinter ihm wurden Menschenkörper zertrampelt, Häuser umgerissen, wurde Handwerk zerschmettert. Und dann flog der Schmetterling in ihn hinein. Der Traum zersprang.

      Mademoiselle Mallory endete mit Gesang und Tanz.

      Neben Johns Colt Thunderer landeten weitere Kaubohnen, aus den Händen der bezaubernden, rassigen Rothaut.

      Johns apathischer Blick fixierte sich wieder, nach mehrmaligem Zwinkern. Er starrte sie sehnsüchtig an. Sie schüttelte nur mit dem Skalp.

      »Schlag es dir aus dem Sinn«, sprach sie. »Ich sehe mich, aber nicht dich. Uns gibt es nicht zusammen.«

      »Dein Pow-Wow«, stöhnte er, nicht überzeugt.

      »Nenn es nicht Pow-Wow, Dainah Bozheena. Es ist der Geist meines Stammes, der mir die Bilder zeigt. Es liegt an mir, die Bilder mit Leben zu füllen. Die Bilder zeigen den Ursprung, das Vergangene und das Kommende.«

      »Ich sehe auch Bilder.«

      Mademoiselle Mallory hob erstaunt die schwarzen Brauen, wodurch sich die

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