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      Die Frau des Frühstücks-Cafè-Besitzers zog verschlafen ihre Joggingklamotten an. Ein prüfender Blick aus dem Fenster zeigte ihr, dass es noch leicht dämmrig draußen war und die Luft diesig-grau. Sie zuckte die Achseln. Seit sie ihr regelmäßiges Laufpensum aufgenommen hatte, machte ihr schlechtes Wetter nichts mehr aus.

      Eigentlich gab es sowieso kein schlechtes Wetter, fand sie, sondern nur unpassende Kleidung. Bei ihrem Zwiebellook, konnte sie nichts falsch machen. Sollte sie schwitzen, band sie einfach eine Jacke um die Hüften und schon war das Problem gelöst. Sie stopfte ihre langen, dunkelbraunen Haare unter ihre leichte Baumwollmütze, dann band sie die Bauchtasche um, steckte das Handy hinein und lief los. Wie immer startete sie am Bäckerladen und lief geradeaus, an der Therme vorbei, über die Straße, die den Übergang von der Elisabethenstraße in die Schwimmbadstraße markierte und folgte der Schwimmbadstraße bis zur Mündung zu >am Bahndamm<, wo sie sich nach der Einmündung zur Werkstraße, links hielt. Sie betrachtete das imposante Gebäude, das in diesem Jahr, neben einer Gärtnerei entstanden und genau gegenüber dem Eingang zum Minigolfplatz, an den Seen, gelegen war. Ein neues, großes Kurhaus, mit allen Schikanen, eine orthopädische Reha-Klinik für Menschen, die ein neues Knie bekommen hatten, oder sonstigen Gelenkersatz. Gleich daneben, anscheinend vom gleichen Träger, befand sich ein runder Flachbau, ein Seniorendomizil, da konnten sie gleich die, denen in der Gelenkklinik nicht mehr zu helfen war, aufnehmen und schön weiter abkassieren. Kopfschüttelnd dachte sie, dass es kaum zu glauben war, wie schnell der große Bau ausgelastet war. Dadurch, dass die Menschen immer älter wurden, verschliss ihr Körper natürlich auch mehr und der Markt für künstliche Gelenke, meist Knie, oder Hüfte, boomte. Dankbar glitt ihr Blick zu ihren eigenen Knien, die noch brav und treu, fast ohne zu mucken, ihren Dienst versahen. Demnächst, oder besser, irgendwann, wollte sie auf Nordic Walking umsteigen und sich einer Frauengruppe anschließen, die täglich im Park beim gemeinsamen Walken, etwas für ihre Gesundheit tat. Aber noch fühlte sie sich zu jung, um das Joggen ganz einzustellen. Sie war durch ihre Arbeit auch nicht so flexibel und wenn sie den Park verließ, begannen normalerweise die Damen erst mit ihrer Walkingrunde. Sicher konnte sie ihren Knien noch eine Weile zumuten, sie beim Laufen um die Seen zu tragen. Die erste Runde führte sie zu dem kleinen See, wo morgens die Vögel schon um diese Zeit ihr Frühkonzert anstimmten, das sie so liebte. In gleichmäßigem Trab umrundete sie den kleineren See und bog in den Weg zum großen See ein, wobei sie den Blick nicht vom Boden nahm, damit sie nicht in Enten- und Gänsekacke trat. Heute war der Weg zwar relativ sauber, weil die Brutzeit vorbei war und die Wasservögel meist am kleinen See brüteten, aber sie wollte kein Risiko eingehen, dafür waren ihre Turnschuhe einfach zu teuer gewesen. Als sie an einer der zahlreichen, weißen Bänke vorbeikam, geriet ein Fuß in ihr Blickfeld. Als sie, ohne sich etwas dabei zu denken, schon fast daran vorbeigerannt war, registrierte sie unbewusst, dass etwas daran seltsam war. Mit einem Ruck blieb sie stehen und hob den Blick. Ungläubig sah sie, dass der Fuß zu einem älteren Mann gehörte, der auffällig gut gekleidet war, mit einem dunklen Anzug und schwarz-weißen Tanzschuhen. Er saß zurückgelehnt da und hielt ein weißes Schild in Din-a-4-Größe in den weißen Händen. Automatisch entzifferte die Frau die großen Druckbuchstaben:

      „ICH BIN EIN GIGOLO-SCHWEIN UND VÖGLE VERHEIRATETE FRAUEN!“

      Dann erst bemerkte sie den Schnitt über der Kehle, mit den bereits getrockneten Blutflüssen, die sich ihren Weg am faltigen Hals entlang gesucht hatten und im Kragen des weißen Hemdes versickert waren - sah die bunten Blumen aus dem Hals ragen, als würden sie direkt dort herauswachsen und den entsetzten Gesichtsausdruck, die aufgerissenen, blicklosen Augen des Mannes. Als ihr lauter, panischer Schrei die Morgenluft zerriss, sorgte er dafür, dass die Enten und Gänse, die auf der Wiese mit den Köpfen unter den Flügeln geschlafen hatten, erschrocken aufflogen und ihrerseits laut aufschreiend gegen diese Ruhestörung protestierten.

      Z W E I

       Das Geschöpf:

      „Brichst du deines Nächsten Herz, folgt irgendwann dein eigner Schmerz!“

      Magda dehnte sich genüsslich und gähnte dabei laut. Automatisch tastete sie neben sich das Kopfkissen ab – nichts. Im Unterbewusstsein registrierte sie die außergewöhnliche Ruhe im Haus. Sie runzelte die Stirn. Wo war denn Herbert? Sie waren doch gestern tanzen gewesen. Sie hatten ein Tanzcafé in Bad König aufgetan – ein Geheimtipp von einer Bekannten. Etwas außerhalb auf der Höhe gelegen – Buchenhöhe, oder so ähnlich, hieß es. Gut besucht und doch genug Platz zum Tanzen da, so wie sie es liebte. Ein Lächeln trat in ihre Augen, als sie an ihre ersten Walzerversuche dachte. Herbert hatte sich gar nicht so blöd angestellt. Irgendwann hatte er zugegeben, dass er das Walzertanzen von seiner Mutter gelernt hatte. Es war wunderschön, in seinen Armen zu liegen und fühlte sich an wie Schweben. Sie lächelte verträumt. Langsam wurde sie wacher und sie versuchte sich zu erinnern, was sie irritierte.

      Sie setzte sich auf und warf einen Blick nach unten, wo normalerweise ihr Riesendackel Fränzchen, mit dem Aussehen eines Rauhaardackels, nur überdimensioniert, links neben ihrem Bett, in seinem Körbchen lag. Jedoch, kein Fränzchen zu sehen. Aha, ihre Männer waren bereits unterwegs! Gut so, fand sie und freute sich, dass Herbert sie schlafen gelassen hatte. Ächzend quälte sie sich aus dem Bett. Waren all die schmerzenden Stellen gestern auch schon da gewesen? Plötzlich erklang laute Musik – Bohemian Rhapsody, ihr Lieblingslied, von ihrer Lieblingsband Queen. Hatte sie nicht frei heute? Natürlich! Herbert und sie hatten heute beide Bereitschaft und wollten sich einen Tag zusammen gönnen, von denen es sowieso viel zu wenige gab, weil sie beide in ihrem Beruf oft sehr eingespannt waren. Während sie mühsam die Beine aus dem Bett schwang, sang sie laut mit. „Easy come, easy go, little hight, little low – anywhere the wind blows, doesn´t really matters“, sie nahm das Gespräch an. „Magda Wild!“ Annes aufgeregte Stimme drang an ihr Ohr. Mit gequältem Blick hielt sie das Telefon ein Stück weit weg.

      „Du weißt aber schon, dass ich heute frei habe“, sagte sie freundlich, mitten in die aufgeregte Tirade hinein. „Nicht frei, nur Bereitschaft“, erinnerte sie Anne hilfsbereit. „Ja, stimmt“, seufzte Magda resigniert, „man kann es ja mal versuchen!“

      Anne lachte laut. „In unserem Beruf kannst du das glatt vergessen.“ „Wohl wahr“, stöhnte Magda müde. „Jetzt werde mal wach, Chefin!“ Eddie rief laut aus dem Hintergrund und Ben pflichtete ihm bei: „Du wirst leider gebraucht, Magda!“. „Hab schon verstanden“, murmelte sie mit düsterem Blick. „Darf ich erst noch frühstücken?“ Sie nickte Herbert vielsagend zu, der eben, eine Brötchentüte schwenkend, im Türrahmen erschien. Sie deutete auf das Telefon und zuckte resigniert die Schultern. Herbert lächelte ihr beruhigend zu und Fränzchen wedelte freundlich und drückte sich an sie, damit sie ihn besser streicheln konnte. „Wollen wir mal nicht so sein“, riefen die Kollegen großzügig wie aus einem Munde. Anne hatte anscheinend auf LAUT gestellt. „Na dann!“, rief Magda. „Wenn wir uns die Bäuche vollgeschlagen haben, kommen wir!“ „Wir?“ Die Stimmen ihrer Mitarbeiter füllten den Raum. „Ja, wir!“ Magda zwinkerte Herbert grinsend zu. „Sag bloß, du hast deinen SEK-Tänzer noch bei dir?“ Anne kicherte schamlos laut. Würdevoll antwortete Magda: „Und wenn? Mein Tänzer ist privat und verwöhnt mich gerne.“ „Ja, ja!“, hörten sie Eddies lachende Stimme aus dem Hintergrund. „Bring ihn mit“, ergänzte Ben ernst. „Vielleicht kann er etwas zu unserem aktuellen Fall beitragen.“ „Dann lasst uns jetzt endlich essen“, gab Magda gut gelaunt zurück. „Sonst dauert es nur umso länger. Ihr wisst ja, bei jungen, frischverliebten Paaren dauert das seine Zeit!“ „Alles klar, Chefin, obwohl frischverliebt kann man das bei euch ja inzwischen nicht mehr nennen!“ Anne legte mit einem Knall auf und Magda setzte sich kopfschüttelnd an den Frühstückstisch, wo sie von Herbert lächelnd erwartet wurde. Sie nahm die Wiesenblumen auf dem Tisch im Marmeladenglas, den gut bestückten Brötchenkorb, die Kaffeekanne und die lustigen

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