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kamen und einen Teil des enormen Grundstücks erwarben. Seitdem lebten die Lightons und die Fairchilds unzertrennlich Seite an Seite.

      Es gab nur wenige Bedingungen, an die sich alle Frauen ihrer Linien halten mussten. Eine davon war, dass sich alle Nachfahren nach einem Kodex richten mussten, auch die männlichen Familienmitglieder bildeten da keine Ausnahme. Der besagte unter anderem, dass keine Hexe ihre Fähigkeiten zu ihrem eigenen Nutzen anwenden durfte. Jede der Vorfahrinnen war schon einmal versucht, dagegen zu verstoßen. Doch da der Zusammenhalt untereinander sehr stark war, konnten die erfahrenen Frauen immer verhindern, dass es zu Schwierigkeiten kam. Und es gab die Regel, dass keiner etwas nach außen tragen durfte, dies konnte nur nach Absprache mit den Ältesten geschehen.

      Als Kind stöberte sie gern und viel in der Fairchild-Chronik. Dadurch erfuhr sie, dass, sobald eine Tochter ein Mädchen gebar, sie unbesorgt ihr Elternhaus verlassen konnte. Sie bedurfte ab diesem Zeitpunkt keines familiären Schutzes mehr. Wieso das so war, wusste keiner genau. Es wurde auch nie hinterfragt, schließlich stand es in den Büchern niedergeschrieben und sie lebten Jahrhunderte sehr gut damit. Warum also etwas ändern?

      Des Weiteren wurde zu keiner Zeit in den Schriften geklärt, warum alle Frauen ihren Familiennamen behielten und weitergaben. Wahrscheinlich hatte es sich wohl so ergeben und diese Tradition hatte bisher keine Nachfahrin gebrochen. Soweit sie wusste, waren die Männer in ihren Familien keine Hexen, hatten dementsprechend keine Fähigkeiten. Somit fand sie nie etwas über dieses Thema in den Chroniken. Allerdings vermutet sie, dass es auch Männer mit Begabungen gibt, begegnet ist sie leider noch keinem.

      Lilith und Sonja waren die Ersten, die ihr Elternhaus aus eigenem Antrieb und entgegen allen Regeln verließen. Das war ein großes Drama, jedoch wollten sie sich nicht weiter an ihre Familien binden. Schließlich lebten sie im 21. Jahrhundert und Kinder waren für beide kein Thema! Dafür mussten sie allerdings schwören, dass sie sich gegenseitig schützen und aufeinander achten würden. Kein Streit dürfte die beiden trennen. Dies wurde auch akribisch in den Büchern festgehalten, obwohl es Lilith sehr merkwürdig vorkam, tat sie es und unterschrieb zudem diese Vereinbarung mit ihrem Blut. Ab diesem Zeitpunkt durften sie nie wieder bewusst ihre magischen Fertigkeiten nutzen.

      Jede Hexe verfügt über unterschiedliche Gaben, die nicht strikt vererbt wurden. Einen ausgeprägten sechsten Sinn hatten sie jedoch alle – seit Anbeginn. Sie selbst besitzt telepathische Kräfte, sie kann ihre Gedanken auf andere Personen übertragen, auf die sie ein freies Blickfeld oder zu der sie eine starke Bindung hat. Somit wäre eine Übertragung auf den Sänger theoretisch nicht möglich gewesen, aber da sie sich wochenlang zuvor intensiv Videos sowie Bilder angesehen hatte, könnte sie tatsächlich eine Verbindung mit ihm eingegangen sein.

      Solch eine Art von Vereinigung mit einer Person entsteht nur, wenn man sehr starke Gefühle entwickelt, egal ob negative oder positive. Dies konnte sie bisher nur mit ihrer Familie, Sonja und Mia, der sie es nur zur Veranschaulichung zeigte. Bei Ethan hatte sie es nicht getestet, es würde allerdings heute nicht mehr funktionieren, da die Bindung zu ihm aufgehoben ist. Außerdem darf sie es ja auch nicht, denkt sie schmunzelnd. Hingegen entstand die Übertragung auf Chris völlig unbewusst. Niemals hätte sie gedacht, dass sie so starke Gefühle für einen ihr eigentlich Unbekannten empfinden könnte. Aber die Bande zu ihm war da, das steht nun unwiderruflich fest.

      Ihre angeborenen telekinetischen Fähigkeiten sind nicht so ausgeprägt. Dazu muss sie sich entweder sehr stark konzentrieren oder starke Emotionen befähigen sie dazu, Gegenstände zu bewegen oder gar zu zerstören – wie die Tasse. Die Wut auf sich selbst hatte sie hierbei übermannt. Theoretisch könnte sie ihre Gabe dazu nutzen, um die Menschen um sich herum zu beeinflussen. Doch sie hält sich, genauso wie die Freundin, an den Kodex. Niemals ist es ihr bisher in den Sinn gekommen, ihre Begabung zu missbrauchen. Damit würde sie auch jetzt nicht anfangen.

      Als kleines Kind hatte sie Sonja aus Versehen gedanklich befohlen, ihr ein Spielzeug zu geben, welches diese in den Händen hielt. Damals hatte sie aber noch nichts von ihrer Fähigkeit gewusst, weshalb sie nicht dem Kodex unterlag. Der Freundin passierte es hingegen öfter, dass sich ihre Gabe selbstständig machte. Ihre Empathie war anfangs schwer zu steuern. Immer wieder empfing sie die Gemütszustände der Menschen um sich herum, es machte sie fast wahnsinnig.

      Im Teenageralter wurde es sogar noch schlimmer. Die ganzen Schwingungen der Jungs ließen sie so manches Mal verzweifeln. Sie sagte einmal, dass sie es nicht abstellen konnte, das wäre wohl wie beim Gedankenlesen. Ihr Geist wurde mit den Emotionen der anderen überflutet. Jahrelang musste sie lernen und üben, damit umzugehen. Mittlerweile kann sie es auf Knopfdruck an- und abschalten. Aber der Weg dahin war lang und Sonja litt Qualen.

      Als sie vor der Konzerthalle standen, spürte sie dieses vertraute Gefühl eher als Lilith. Deshalb erstarrte sie auch sofort, sie hatte die Schwingung einer anderen Hexe empfangen. Dies können alle mit einer Begabung, aber mit ihrer ausgeprägten Empathie war sie dafür noch viel empfänglicher. Selbst wenn die Person dazu in der Lage ist, sich abzuschotten, kann sie sie sofort wahrnehmen. Nur ging diese Hexe beim ersten Aufeinandertreffen in der Menschenmenge unter und auf dem Rückweg zum Auto war niemand zu sehen.

      Einfacher war seit Anfang an ihre zweite Gabe zu handhaben - das Hellsehen. Dazu muss sie sich nur etwas anstrengen, um die Ereignisse zu sehen. Aber nicht in der Zukunft, wie manche glauben, sondern sie kann Dinge, die im Moment passieren, betrachten. Dabei ist es egal, wie weit sie sich von dem Ereignis aufhält. Hierfür braucht sie das Bild einer Person vor ihrem inneren Auge oder sie denkt an einen bestimmten Ort. Bisweilen passiert es ihr hin und wieder, dass sie schweißgebadet aus einem Traum erwacht und weiß, was beispielsweise soeben in Venezuela geschehen ist. Auch sie kann ihre Fähigkeit im Schlaf nicht kontrollieren. Das wurde ihr so manches Mal zum Verhängnis, wenn ein Mann neben ihr lag. Denn schließlich wusste dieser in dem Moment nicht, warum sie schreiend oder lachend erwacht.

      Manchmal bedauert es Sonja, dass sie nicht die Zukunft einer Person oder gar die Lottozahlen vorhersagen konnte. Im letzteren Fall würde sie aber unweigerlich gegen den Kodex verstoßen, der für sie ebenso wie für alle anderen Hexen gilt. Doch wenn sie über ihr Erbe, ihre Fähigkeiten reden, dann seufzt die Freundin lächelnd auf und wünschte sich, dass sie es könnte.

      Von ihren Müttern lernten sie die Kräuterkunde kennen und lieben, wie man die einzelnen Hexenfeste zelebriert, das richtige Räuchern und natürlich auch die Kerzenmagie. All die Dinge eben, die eine Hexe können und wissen muss. Die Natur wird selbstverständlich bis heute geheiligt und wertgeschätzt. Darum findet man gegenwärtig noch Altare in den Wäldern. Und auch sie hält sich so manches Mal an diesen heiligen Orten auf.

      Es ist bereits Mitternacht, als sie durchfroren hineingeht. Da sie zu keinem vernünftigen Entschluss kommt, geht sie hinauf, um sich hinzulegen. Im Bett wälzt sie sich noch lange hin und her. Morgen wird sie ihm schreiben, zumindest nimmt sie es sich vor. Mit diesem Gedanken kann sie auch endlich einschlafen.

      Aber auch am nächsten Tag findet sie nicht die richtigen Worte, als sie vor ihrem Notebook sitzt und ihm antworten will. Sie befindet sich in einer dermaßen verzwickten Lage, dass sie schlichtweg nicht mehr weiß, was sie machen soll. Am Tag darauf beschließt sie einfach alles zu riskieren und fragt ihn geradeheraus, was er denn geträumt hätte, sie hätte ebenfalls einen verwirrenden Traum gehabt - was ja stimmte.

      Seine Antwort lässt auf sich warten. Am Freitag schreibt er ihr endlich zurück. Nervös öffnet sie am selben Abend seine Antwort und liest:

      ›Hallo Lilith,

      es war merkwürdig. Ich hatte von dir geträumt, noch bevor ich dich vor der Konzerthalle traf. Klingt das nicht verrückt? Und du erzähltest mir in diesem Traum, dass du in einem Büchercafé arbeitest, mit Sonja zusammen. Nein, dass ihr eines besitzt. Du kannst dir also meine Verwunderung vorstellen? Was hast du denn geträumt? Ich hoffe doch nicht etwas so Unerklärliches wie ich.

      Es tut mir leid, aber ich werde ab morgen Abend für einige Tage nicht mehr online gehen können. Falls du mich also noch unbedingt erreichen willst, dann schreibe mir bis dahin. Ich werde trotzdem versuchen, ein Lebenszeichen von mir zu geben.

      Liebe Grüße Chris

      PS: Du ‚klingst‘

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