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gutmütigen Grinsen im Gesicht kommt die Antwort: „Egal. Jugendschutz ist Jugendschutz! Lasst euch nicht erwischen!“

      Schwendt, Tirol, Österreich, Sonntag, den 09.02.2020

      Schon jetzt um diese Uhrzeit dominieren die Strahlen der Wintersonne die bergige Landschaft, bringen die Schneekristalle zum Funkeln. Es ist beeindruckend, wie der wärmende Fixstern allmählich hinter den am Horizont liegenden letzten Ausläufern des „Zahmen Kaisers“ emporsteigt. Ein malerisches Schauspiel, denkt sich Koch, der es sich auf dem kleinen Balkon gemütlich gemacht hat. Sehnsuchtsvoll gleiten seine Augen über die weiße Pracht, über die vereinzelten Häuser, deren Dächer meterhoch mit Schnee bedeckt sind, wobei es eigentlich verwunderlich ist, dass die Masse sie nicht zum Einstürzen bringt. Der Anwalt schaut hinunter auf die Fernverkehrsstraße, die von Kössen nach Innsbruck führt. Allen Niederschlägen trotzend hebt sich die schwarze Asphaltschicht vom Rest der Landschaft ab, und zwar so deutlich, als hätte die Flockenpracht am kleinen Bürgersteig innegehalten, nach links und rechts geschaut, die Straße überquert, um sich dann gegenüber erneut auszubreiten. Immer wieder ziehen die Räumfahrzeuge ihre Runden, schieben und türmen das Weiß an den Rand. Man stelle sich mal diese Schneefälle in Deutschland, speziell in der märkisch - oderländischen Umgebung vor! Nicht auszudenken! Wo doch schon ein paar einzelne Flocken Panik auslösen. Man beteuert sich gegenseitig, für den Winter gewappnet zu sein. Glück für uns Deutsche, dass ein solches Wetter in unserer Region nur sehr selten vorkommt. Übung macht den Meister - würden die Einheimischen der 823-Seelen-Gemeinde Schwendt einwenden, die 702 Meter über dem Meeresspiegel liegt. Falk Koch schaut wiederholt hinüber zu den majestätischen Felsen. Hoch oben auf dem Gebirgsplateau, mit bloßem Auge fast nicht erkennbar, ist eine kleine Berghütte. Der Anwalt lässt seiner Fantasie freien Lauf. Er stellt sich vor, jetzt mit Alisha dort oben zu sein, abgeschieden vom Rest der Welt. Eingeschneit, ringsum eine Wand aufgetürmten Schnees. Das Feuer im Kamin lodert. In Gedanken fährt er sacht durch ihre Haare, küsst sie.

      Die Wirklichkeit ist ernüchternd. Heute ist Sonntag, der letzte Urlaubstag. Damit steht fest, morgen geht es zurück in die Realität. Koch dreht sich um, geht ins Zimmer und schließt die Balkontür. Die „Kleine Bauernstube“ ist, wie er findet, rustikal und eher spartanisch eingerichtet. Das aus Eschenholz gefertigte Doppelbett, die Kommode, der Schrank und die langen gelben Fenstervorhänge vermitteln ein Gefühl von Geborgenheit. Wieder ertappt sich der Anwalt dabei, in seine Fantasiewelt der Berghütte zu entfliehen. Ja, und da liegt sie nun, seine Alisha, tief und fest schlafend. Er setzt sich zu ihr auf die Bettkannte und hält ihre weiche, warme Hand. Gähnend schlägt sie die Augen auf: „Guten Morgen, Maus.“ Sie lächelt: „Hey, du bist ja schon angezogen. Bist du schon lange wach? Ich habe nichts mitbekommen.“ „Kein Wunder, du hast ja auch lauthals geschnarcht“, grinst er sie an. „Wirklich? Oh mein Gott.“ „Nein, war nur Quatsch. Konnte einfach nicht mehr schlafen. Wie sieht es mit Frühstück aus?“ „Wie spät ist es denn?“ „Acht.“ Lächelnd fügt er hinzu: „Und da behauptest du immer, ich sei der Langschläfer.“ „Hey, wir haben Urlaub, auch wenn es der letzte Tag ist.“

      „Urlaub ist da, wo man sich zuhause fühlt“ - das steht auf dem kleinen Holzschild an der Rezeption. Und dieses Motto lebt man im „Schwendter Wirt“, jenem Hotel, das bereits seit Generationen von der Familie Schwaiger betrieben wird. Dementsprechend wird jeder Gast konsequent mit „Du“ angesprochen, was von vornherein ein „Dazugehörigkeits- gefühl“ erzeugt. Die nette, zuvorkommende Art, die der Gast als authentisch empfindet, die Sauberkeit, auf der man in diesem Haus ganz besonderen Wert legt, sowie die gastronomische Kompetenz führen dazu, dass die Mundpropaganda funktioniert. Familie Schwaiger braucht sich über Gästemangel wahrlich nicht zu beklagen. Das gilt insbesondere zu den Saisonzeiten, die mit Schneegarantie ihre Besucher lockt.

      Bevor Yassa Yücksel, Alishas Vater, nach Deutschland umsiedelte, hatte er als begeisterter Wintersportfan hier mehrmals Urlaub gemacht. Das war nun auch schon Jahrzehnte her. Später reichte das Geld nicht mehr, und nachdem er sein Bistro eröffnet hatte, auch nicht die Zeit. Obendrein hatte sich Yassa wegen der Ausrichtung der Hochzeit seiner Tochter enorm verschuldet. Aber als Brautvater nahm er das hin. Schließlich gehörte sich das nach türkischem Brauch. Schließlich liebte er ja sein „kleines Mädchen“ über alles, würde ihr jeden Wunsch erfüllen. Ein glückliches Händchen und ein willkommener Zufall kamen ihm zu Hilfe. Yassa, der im Allgemeinen sparsam lebte, keinen Alkohol trank, nicht rauchte und Glücksspielen eher ablehnend gegenüberstand, hatte ein Los gekauft. Und das gewann! Es war zwar nicht der Hauptgewinn, es handelte sich dennoch um eine ansehnliche Summe, mit der er seine Schulden tilgte, das Bistro umgestaltete und ein kleines Grundstück am Bötzsee kaufte. Auch für Falk und Alisha blieb etwas übrig, und er buchte kurzerhand diese Winterreise für die beiden. Nicht ohne Hintergedanken. Es gab für ihn keinen größeren Wunsch als ein Enkelkind. Vielleicht funktionierte es ja, wenn die beiden endlich zur Ruhe kommen. Langsam läuft die biologische Uhr ab …

      Nun saßen die beiden biologischen Endzeitlinge an dem großen runden Tisch des Frühstücksraums. „Wusstest du eigentlich, dass hier, genau an diesem Tisch, 1945 die Kapitulation Kitzbühls unterzeichnet wurde?“, fragt sie. Ihr herzhafter Biss in ihr Brötchen entlockt ihm ein Lächeln. „Von wem haste das denn?“ Alisha deutet mit dem Finger auf ihren vollen Mund, schluckt fast würgend den letzten Bissen herunter: „Von Baba. Hat der mir erzählt, bevor wir abgefahren sind.“ Schmunzelnd entgegnet Falk: „Seit wann interessiert sich Yassa für Geschichte?“ „Täusch Dich mal nicht, Baba interessiert sich für fast alles.“ „Krieg ist jedenfalls scheiße“, sinniert Koch, in Anspielung auf das Kriegerdenkmal hinter der Kirche, das aus einer übermannshohen ans Kreuz geschlagenen Jesusfigur besteht. Auf beiden Seiten sind die Namen gefallener Soldaten aus dem Ort eingraviert. Links die Opfer von 1914 bis 1918 und gegenüber die Gefallenen des Zweiten Weltkrieges. Alles junge Männer, die im Friedensfalle ihr Leben noch vor sich gehabt hätten, Familien gegründet und vielleicht ihr Glück gefunden hätten. Gleich neunmal taucht der Name Schwaiger auf, der Name der Familie, die dieses Hotel betreibt. Neun junge Männer gefallen für Kaiser, Führer und Vaterland.

      „Pling“ - Alishas Handy meldet sich. „Baba hat geschrieben. Gestern Nacht hat es am Haus Bötzsee gebrannt. Soll ein ganz schöner Auflauf gewesen sein.“ „Ihm ist aber nichts passiert?“ „Nein, sein Grundstück ist zu weit entfernt. Aber…“, Alisha macht eine Gedankenpause: „…bei den Gerüchten, die man so hörte, wundern würde es mich nicht.“ „Meinst du, jemand hat gezündelt?“ „Fest steht, dass viele den Nutzungsplan ablehnen. Hat auch Baba geschrieben. Der war gestern Abend noch auf so einer Versammlung. Soll ganz schön turbulent gewesen sein.“ Falk senkt seinen Kopf: „Wenn es sich wirklich um vorsätzliche Brandstiftung gehandelt hat, ist das alles andere als ein Kavaliersdelikt.“ „Sagt der Anwalt!“, fügt sie kichernd hinzu. „Außerdem sind die Schreihälse am Ende ganz schweigsam und demütig. Ich erlebe es immer wieder vor Gericht. Egal, ob angeklagt oder Kläger, am Prozesstag sind sie sooo klein mit Hut und verstecken sich hinter dem Rücken ihrer Anwälte. Aber davor, sooo eine Schnauze!“ „Hey, wir hatten vereinbart, nicht von Arbeit zu sprechen.“ Koch lacht: „Mach ich doch gar nicht, ist doch nur so dahingesagt. Übrigens, vorhin, als du noch schliefst, hab ich mir vorgestellt, wie romantisch es wäre, nur mit dir allein, hoch oben auf einem Berg, zu leben, abgeschieden von allen Schreihälsen.“ „Nur mit mir?“, spöttelt sie: „Das würdest du doch nicht lange aushalten, so gern wie du nach anderen Frauen schaust ...“ Falk Koch liebte seine Frau über alles und gewiss verfügte jeder Mensch über seine individuellen Fehler, er schloss sich davon selbst nicht aus, aber Alishas Eifersucht kannte anscheinend keine Grenzen. Obwohl er ihr keinerlei Gründe dafür gab. Manchmal genügte schon ein Blick auf andere Frauen, dass sie das Gesicht verzog. Noch schlimmer war es, wenn gutaussehende Klientinnen die Kanzlei betraten. Zum einen belustigte ihn ihr Verhalten, ja fühlte er sich sogar in seiner Männlichkeit bestärkt. Aber es nervte auch, worauf er sich jedes Mal den Spaß machte, sie mit entsprechenden Bemerkungen aufzuziehen. Grinsend antwortet er: „Du hast recht! Das blonde Zimmermädchen müsste schon mit dabei sein!“ Genussvoll beobachtet er, wie sie die Lippen zusammenkneift.

       § 23 Strafbarkeit des Versuchs

       (1) Der

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