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er getroffen hat zu bekehren. Stieß er auf Widerstand, fing er an beleidigend und ausfallend zu werden. Der Hohe Rat hatte irgendwann genug und verbannte ihn aus dem Land. Ich hätte nicht gedacht, ihn je wiederzusehen. Ohne das Wasser des Lebens dachte ich, wäre er längst tot.“ Custos schaut die alte Feldmaus lange an. Dann fragt er ihn.

      „Deumtineo, wieso bist Du zurückgekommen?“ Fast tonlos sagt dieser.

      „Weil ich bald sterbe, und vorher endlich meinen Glauben verbreiten möchte. Überall hat man mich weggejagt, keiner wollte von Gott und Teufel hören, alle glauben an MUS, an eine Frau, dass ich nicht lache.“ Bevor er sich wieder hineinsteigert frage ich.

      „Wie konntest Du denn so lange ohne das Wasser überleben?“ Er zuckt mit den Schultern.

      „Nun, Wasser des Lebens gibt es überall. Es ist gut versteckt, aber ich weiß es zu finden. Und es reicht, wenn man alle neunzig Tage davon trinkt. Aber seit ich zurückgekommen bin, habe ich keines mehr gefunden. Die Quelle des Lebens hier in dieser Mauer ist zerstört. Und ich weiß nicht mehr wo ich suchen soll. Ich habe jetzt schon zweihundert Tage nicht mehr getrunken, deswegen denke ich, ich werde sterben.“

      Custos sieht mich eindringlich an und schüttelt den Kopf. Offenbar hat er bemerkt, dass ich gerade vom See erzählen wollte. Also sage ich nichts. Er stellt sich vor Deumtineo und spricht zu ihm:

      „Deumtineo, Du bist vor sechstausend Tagen vom Hohen Rat verbannt worden. Der Bann ist nicht aufgehoben, also bist Du zu Unrecht in diesem Land. Geh jetzt, verlasse das Land auf dem schnellsten Weg, sonst wird die Göttin ein Urteil über Dich sprechen.“ Deumtineo sieht geschlagen aus.

      „Ich wollte doch nur meinen Glauben verbreiten und aus Deiner Quelle trinken.“

      „Aber Du ängstigst alle, denen Du begegnest, verstehst Du das nicht? Und, Du bist verbannt, hast Du das vergessen?“ Custos und Deumtineo schauen sich lange an, dann dreht Deumtineo sich seufzend um und verlässt den Bau ohne Abschied.

      Custos bittet meinen Mann.

      „Cito, geh ihm nach. Komm erst wieder zurück, wenn er über der Grenze ist. Ich bitte Dich, es ist wichtig. Wenn er nicht geht, wird die Göttin eine Urteil sprechen und das wird sehr hart für ihn werden.“

      Cito nickt und geht hinaus um Deumtineo zu folgen.

      „Custos, was war dass denn, klär mich bitte auf.“ Mutter hat ihren 'strengen Ton', das kenne ich noch aus meiner Kinderzeit, da sagt man am Besten gleich Alles. Custos verzieht schmerzlich das Gesicht.

      „Setzen wir uns, dann erzähle ich Euch alles.“

      „Deumtineo ist mein kleiner Bruder.“ Das schlägt ein wie der Blitz.

      „Dein Bruder?“ Es ist nicht zu fassen.

      „Du hast nie von deiner Familie gesprochen.“

      „Nein, Maxi, meine Familie ist schon seit langer Zeit tot und mein einziger Verwandter seit sechstausend Tagen verbannt, da gab es nichts zu erzählen.“

      Er schweigt einen Moment nachdenklich.

      „Nun, wie erzähle ich die Geschichte denn am Besten...Vielleicht fange ich mit seiner Geburt an. Deumtineo entstammt dem letzten Wurf meiner Mutter, sie war schon alt und von den drei Kindern, die sie bei diesem Wurf gebar, blieb nur er am Leben. Ich war schon fünfundvierzig Tag alt und in der Reife, aber er schloss sich mir an, warum, vielleicht suchte er einfach Gesellschaft, ich weiß es nicht. Deumtineo blieb mir jedenfalls auf den Fersen, wenn ich mich umdrehte war er da und schaute mich anklagend an. Dabei hatte ich ihm nie etwas getan, bloß seine Gesellschaft war mir lästig. Man muss dazu sagen, mit Fünfundvierzig ist alles was man nicht braucht, ein kleiner Bruder, der einem überall hin nachläuft. Ich interessierte mich für Mädchen und er war mir im Weg. Ich bin nicht stolz darauf, aber ich habe anfangs versucht ihn einfach nicht zu beachten. Aber auch wenn ich ihn schlecht behandelte, er ließ sich nicht davon abbringen, mir zu folgen. Ich schlich mich heimlich weg, aber er fand mich immer. Dann trat ich in die Klosterschule ein, und dachte das wars, jetzt bin ich ihn los, aber nein, sowie ich das Kloster verließ, tauchte er sofort wieder irgendwo auf. Eines Tages hatte ich genug davon. Ich sagte ihm, entweder er müsse mit mir im Kloster leben und lernen, oder er solle hier verschwinden und nach Hause gehen. Er entschied sich fürs Lernen und er hatte Erfolg, bestand jede Prüfung, trotz seine jungen Tage. Er ist sehr intelligent, aber hohe Intelligenz kann ganz leicht mit Wahnsinn gepaart sein, das weiß man ja. Aber was er nicht von MUS bekommen hatte, war eine Gabe, das machte ihn verrückt. Er versuchte es mit meditieren, er verbrachte Stunden in der Schwitzhütte, er betete darum, aber nichts half. MUS hatte ihm keine Gabe mitgegeben, und einfach so, konnte er keine erlangen. Er wurde immer besessener, ließ sich von jedem, der sich erinnerte, die uralten Geschichten erzählen, fragte alle aus und tobte vor Zorn, wenn man ihm nicht helfen konnte. Er wurde für die ganze Schule immer unerträglicher. Nachdem er es eine Zeit lang mit angesehen hatte, bat der Meister der Schule ihn zu gehen. Mit der Begründung, ohne Gabe sei er hier nicht richtig und wegen seines unberechenbaren Verhaltens auch nicht mehr willkommen. Das mochte der Auslöser gewesen sein, ich weiß es nicht, jedenfalls schrie und tobte er, es brauchte drei Mäuse um ihn festzuhalten und aus dem Bau zu werfen. Er schwor Rache und sein Gott würde ihm helfen, und wenn nicht, der Teufel. Wir waren alle betroffen, angesichts seines Verhaltens. Es war mir unglaublich peinlich, schließlich war er ja mit mir verwandt, mein kleiner Bruder. Aber niemand gab mir irgendwie die Schuld. Tausend Tage lang hörte keiner etwas von ihm, ich dachte er sei tot. Er hatte wie ich in der Schule aus der Lebensquelle getrunken, aber dass sie so lange wirken könnte, daran hätte ich nie geglaubt. Damals wusste ich auch noch nicht das, was ich heute weiß, es gibt einige Wasser des Lebens. Nun er war schlau und hat offensichtlich eine andere Quelle entdeckt. Jedenfalls tauchte er nach langer Zeit wieder auf und fing an sich einen Priester des einzig wahren Gottes zu nennen und alle zu verteufeln, die so wie wir waren. Langlebig. Der Hohe Rat schob dem, vor ungefähr sechstausend Tagen, einen Riegel vor, und verbannte ihn auf ewig. Er dürfe nie wieder ins Land zurückkehren, sonst würde MUS ihn schwer bestrafen. Seitdem habe ich ihn nicht mehr gesehen, bis heute.“

      Wir bleiben eine Weile stumm sitzen, um das Gehörte zu verarbeiten. Es ist eine unglaubliche Geschichte, und doch wahr. Cito hat sie leider verpasst, aber ich werde ihm heute Abend im Nest alles erzählen. Da fällt mir auf, dass er schon ziemlich lange weg ist.

      Eigentlich muss man sich um Cito keine Sorgen machen, er ist der Beste in der freien Wildbahn. Er kennt jede Gefahr und auch, wie man sie vermeiden kann. Trotzdem werde ich langsam unruhig, so weit ist es bis zur nächsten Grenze auch wieder nicht. Benedikte drückt meinen Arm.

      „Er kommt bald, keine Sorge.“ Wenn meine Tochter, das Orakel, so etwas sagt, bin ich augenblicklich beruhigt. Und tatsächlich streckt er kurze Zeit später den Kopf durch den Eingang.

      „Er ist tatsächlich gegangen, allerdings hat er die Ostgrenze genommen, deshalb hat es so lange gedauert,“ erklärt er mir, als er meinen, immer noch etwas besorgten, Blick sieht.

      *

      Deumtineo war immer noch wütend, er hatte soviel Zeit mit den Befragungen der Gemeindemitglieder vertrödelt. Und als er endlich erfahren hatte, was er wissen wollte, durfte er nicht aus dem See trinken. Er steigerte sich richtig hinein, er würde sich rächen, alle töten. Dann würde der See ihm gehören, und er würde bestimmen, wer daraus trinken darf. Das hatten sie jetzt davon, die Hohepriesterin hätte ihn nur aus dem See trinken lassen sollen, aber nein, sie hat ihn nicht einmal erwähnt.

      Er war über die Grenze marschiert, Richtung Süden, ohne Plan und Ziel. Er überlegte fieberhaft, wie seine Rache aussehen sollte. Er müsste jemanden finden, der die Drecksarbeit, in diesem Fall das Töten, für ihn übernehmen würde. Er musste irgendwie an diesen See kommen, dummerweise kannte ihn jetzt jeder dort in diesem kleinen Land, ungesehen würde er es kaum schaffen. Also werden einfach alle verschwinden müssen, vorzugsweise sollen sie sterben.

      „Guten Tag, wohin so eilig?“ Er war so in Gedanken versunken gewesen, dass er die Ratte, die am Wegrand saß, überhaupt nicht bemerkt hatte.

      „Äh, hallo, wer will das

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