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der einer

      dieser Tage

      Ein Anhalter auf Abwegen

      Reiner Jansen

      © Reiner Jansen, 2020

      2.Auflage, im September 2020

      erschienen im Selbstverlag

      Impressum:

      Verantwortlicher: Reiner Jansen

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      Copyright Buchcover: Reiner Jansen

      Inhalt/Lektorat/Satz: Reiner Jansen

      Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form ohne schriftliche Genehmigung des Rechteinhabers reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme vervielfältigt oder verbreitet werden.

      Kapitel 1: Von ganz weit unten

      Der große Fisch lag scheinbar bewegungslos im tintenschwarzen Wasser. Die Nacht war gerade angebrochen, und sie verwandelte den Pazifik in ein Reich der Schatten und Schemen für all jene Lebewesen, deren primärer Sinn das Sehen war. Wie eingefroren wirkte der riesige Umriss seines Körpers, zu dem das Mondlicht nur mühsam durchdrang, so tief unten war er noch. Ohne äußere Bezugspunkte war seine Geschwindigkeit, mit der er mühelos durch den Ozean peitschte, kaum auszumachen. Nur minimale Bewegungen der Schwanzflosse verrieten die Dynamik der Szenerie.

       Er hätte ebenso gut völlig stillstehen können, ein schwerelos Treibender in diesem weitgehend unerforschten Universum des Meeres, in perfekter Harmonie mit den Gewalten der Natur. Weit unterhalb der sanften Hügel aus Salzwasser, wie sie nur auf dem offenen Meer bei leichter Brise auftreten, erfasste der Mondschein dieser klaren Nacht immer wieder seine so geisterhafte wie charakteristische Silhouette, die bleichen Umrisse eines furchteinflößenden Kolosses, dessen Länge es mit einem kleinen Segelboot aufnehmen konnte.

       Binnen weniger Minuten stieß er aus der schwarzen Tiefe herauf an die Grenze zwischen den Welten, über der die Gischt der Wellenkämme schäumte und die Luft vom Wasserdampf gesättigt war.

      Kaum wahrnehmbare Bewegungen seiner Schwanzflosse hielten den stromlinienförmigen Körper auf Kurs und Geschwindigkeit, von nun an immer knapp unter der Oberfläche, ohne dass seine Rückenflosse je die Grenzfläche zur Oberwelt durchbrochen hätte. Von der Seite betrachtet schimmerte das Wasser wie ein perfekter Spiegel, der nachsichtig einen glänzenden Firnis aus reflektiertem Mondlicht über das Grauen breitete, das sich unter ihm bewegte.

       Des Nachts, so sagen es die Meeresbiologen, gingen in diesem nassen Reich zahllose Räuber auf Beutezug. Die meisten Angriffe auf Schwimmer ereigneten sich in der Dämmerung, wenn die Nacht hereinbrach. Viel Schauerliches durchstreifte zu diesen Zeiten die endlosen Weiten dieser fast unendlichen Wasserwüste.

      Doch nichts stellte sich ihm in den Weg, niemand wagte das Duell.

      Er war zu groß.

      Und er wusste es.

      Doch was er war, das wusste er nicht.

      Nur dass er war, dass er existierte, wurde als selbstverständliche Tatsache vom schwachen Scheinwerfer seines Intellekts erfasst. Meist regierten die uralten Instinkte aus grauer Vorzeit seinen Körper.

      Ein ewiger Wanderer in einer begrenzten Welt, die größtenteils von Dunkelheit beherrscht wurde. Er war zufrieden damit. Warum auch nicht?

      Seine Augen waren daher von der Evolution schlecht behandelt worden.

      Die starren Linsen fokussierten das wenige Licht nur in einem engen Bereich. Doch in seiner Welt gab es ohnehin wenig zu sehen, so dass es keine Rolle spielte.

       Die blauen Irrlichter, die ihn von Zeit zu Zeit in der Tiefsee umspielten, mit ihm zu tanzen schienen, waren für ihn ohne Bedeutung.

      Sie sprachen nicht zu ihm.

       Seine eigentlichen Augen waren zwei Reihen gallertgefüllter Kanäle an seinen Flanken, die tief in seine Haut eindrangen und deren Boden mit Nervenzellen dicht besetzt war. Die Gallertsäule in diesen Kanälen ließ sich durch feinste Wasserschwingungen in Bewegung versetzen, wodurch der Fisch kleinste Druckänderungen in seiner Umgebung wahrnehmen konnte. Das sogenannte Seitenlinienorgan war seine primäre Schnittstelle mit der Außenwelt, eine Vorrichtung, deren Präzision im Laufe der Evolution ein unfassbar hohes Niveau erreicht hatte.

      Jedes Objekt, jedes andere Lebewesen sowie jedes natürliche Hindernis kündigte ihm sein Erscheinen durch Druckschwankungen an. In seinem Gehirn entstand daraus ein perfektes 3D-Bild seiner Umgebung.

      Am unteren Rand dieses Bildes zeigte sich seit einigen Minuten eine Störung, wie er sie sonst nie wahrnahm.

      Ein unterirdischer Wasserstrom brach sich an einem gewaltigen Hindernis: Der Kontinentalsockel gab sich die Ehre und trat aus der Finsternis der Tiefsee heraus, nicht ins Licht, nein, dafür war er noch zu tief, doch die Anzeichen waren unmissverständlich. Die frohe Kunde lautete: Es war Land in Sicht.

      Spätestens an diesem Punkt hätte der große Fisch an anderen Tagen seinen Kurs geändert und die Schelfregion gemieden. Er wäre auch nie so schnell aufgetaucht. Aber nicht so an diesem Tag.

      Heute war etwas anders als sonst. Er wollte nach oben. Ans Licht.

      Der Fisch verließ sein angestammtes Revier, gerade so als hätte ihn die Neugier gepackt, was es abseits der ausgetretenen Pfade wohl noch zu entdecken gäbe. Weitere Minuten vergingen, er fühlte den Meeresgrund nun immer rascher unter seinem Körper an die Grenzlinie drängen, es erfüllte ihn beinahe mit Euphorie so weit in unbekannte Gewässer vor-gedrungen zu sein. Die Doppelreihen gezackter Zähne waren zu keinem Grinsen fähig, aber die entsprechende Empfindung fand sich in seinem Kopf, hinter den blicklosen schwarzen Augen, und veranlassten ihn dazu die Schwanzflosse energischer zu schlagen.

       Zum ersten Mal durchbrach nun auch seine Rückenflosse die Wasser-oberfläche, den gezackten Kamm eines Riffes erspürte er nur wenige Meter unterhalb seines Bauches. Dahinter wurde das Wasser noch einmal tief. Dann befand er sich in der kleinen Lagune.

       Eine große Ruhe breitete sich über seinen Geist, als seine Sinneszellen ihm kaum mehr Aktivität meldeten. Die meisten Druckwellen wurden von der Riffkante zurück ins offene Meer reflektiert. Im flachen Wasser der Lagune herrschte eine Stille, wie er sie noch nie erlebt hatte. So mussten sich Fische im Aquarium fühlen. Er reduzierte seine Geschwindigkeit auf ein Minimum, um gerade noch atmen zu können, und genoss den neu gewonnenen Frieden. Das karibische Wasser umspielte seine raue Haut und bildete lustige kleine Wirbel hinter seiner Flosse.

      So ließ sich das Leben aushalten.

       Das verliebte Pärchen am Strand konnte er weder sehen noch hören. Die Druckwellen, die entstanden, als sie sich in dieser mondhellen Nacht arglos in das klare Wasser der Lagune stürzten, trafen ihn unvermittelt und wie ein Knüppelschlag. Sie sahen ihn nicht. Aber er sah sie. Fühlte sie.

       Die Entscheidung, was zu tun sei, wurde dem Fisch von seinen Instinkten abgenommen. Millionen von Jahren, immer dasselbe Motto:

      Fressen und gefressen werden. Leben und sterben lassen.

       Der gigantische schwarze Schatten bewegte sich auf die beiden Körper zu, die dicht nebeneinander her strampelnd in sein Reich eingedrungen waren, die klare Sternennacht über ihnen, zwei vom Liebesglück beseelte Menschen in den letzten Sekunden ihrer Existenz.

      Er dachte nicht lange über die Situation nach, es erschien ihm völlig natürlich. Mit einer kurzen Drehung seines Kopfes hatte er beide vor sich, als seine gewaltigen Kiefer auseinanderklappten und die Reißzähne im Mondlicht funkelten. Der Oberkiefer durchbrach die Wasseroberfläche und erzeugte einen künstlichen Wasserfall über die unteren Zahnreihen, ein Anblick, so schrecklich wie spektakulär, hätte es Zeugen gegeben.

      Ein kurzer Schlag mit der Schwanzflosse katapultierte den großen Fisch nach vorne und die Kiefer schlossen sich ruckartig um die Körpermitte beider Schwimmer zugleich, Gewebe und Knochen wie weiche

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