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auf die Knie und staune noch immer über dieses träumende Land, das dort unten auf mich wartet, das schon immer in mir war, mich zu sich rief.

      Warum?

      Ein Traum von einem Land, einem Nebelland. Träume ich noch immer nur, hier oben zu stehen? Oder bin ich längst aus meinem Traum erwacht und wirklich hier und schaue voller Sehnsucht hinab?

      Träume gebären Träume. Und so schließe ich meine Augen und atme ein und atme aus und erblicke ihn wieder, sehe ihn vor mir, sich an den Felsen entlangwinden, in endlosen Bahnen hinabschlängeln, meinen Leuchtenden Pfad, der mich einst aus dem Alltagsleben rief, der mich noch immer ruft.

      Ich öffne meine Augen - nichts hat sich verändert. Ich lache, verharre noch ein wenig, atme dieses eine Bild ein, das niemals mehr wiederkehrt. Jetzt lebt es in mir.

      Und wiederum verwandeln sich die Dinge. Und nichts ist mehr wie zuvor. „Denn ich habe das Nebelland gesehen“, flüstere ich mir zu und weine.

      Stille.

      Leere.

      Eins mit allem.

      Irgendwann - es könnten Sekunden, Minuten, aber auch Stunden vergangen sein - stehe ich von dieser fremden, stillen, ach so bekannten Erde auf.

      Du bist erwacht in mir, denke ich, denn ich spüre dich, fühle dich und zittere. Denn ich weiß, dass Du durch meine Augen schaust. Du bist jetzt in mir, mein Schöpfer, mein Gott. Du bist in mir und gehst meinen Weg in meiner Welt mit mir und verrätst mir nicht, wer jetzt deinen Körper Dort Oben - wenn du denn einen Körper hast - bewohnt. Ob er leer und verlassen auf die Rückkehr Deiner Seele wartet? Du bist in mir, wir beide sind eins.

      Du antwortest nicht. Weil alles nur Illusion ist, nichts weiter als ein Traum?

      Und wäre es so, so bleibt mir die Erinnerung, die schon verblasst.

      Drei Silben, drei Worte spreche ich nun: „Ich bin ich!“

      So ist es. Aus mit den Träumen. Ich stehe auf, gehe zum Abhang, drehe mich um und beginne hinabzusteigen. Es ist, als wichen die Nebelschleier zurück, als neigten sich selbst die Krüppelkiefern vor mir. Spüre keine Kälte mehr. Mein Leuchtender Pfad, der mich hinabführt, hüllt mich wärmend ein. Vorsichtig seitwärts kletternd geht’s rasch vor... Verliere den Halt! Rutsche schneller und schneller. Falle ... noch nicht ins Tal hinab. Ein seltsam geformter Grat fing mich mit steinernen Hand.

      „Was nun?“, frage ich mich und schaue hinab und schaue hinauf und schaue hinab.

       Du aber, liebe(r) LeserIn, wunderst dich und fragst dich: „Warum klettert Manfred denn als Mensch da rum. Wieso verwandelt er sich nicht noch einmal in einen Raben? Muss das denn sein, ein Abstieg zu Fuß? Wenn einer schon Magier ist, dann sollte er fliegen und schwimmen und schweben, wo immer er kann. Der ist aber blöd. Oder ist der etwa lebensmüde?

       Stimmt. Klingt sehr logisch und überzeugend. Doch vieles hätte in unserer Welt anders sein können. Hätte, könnte, könnte sein - war es, ist es aber nicht. Denn es ist, wie es ist.

       Also schau einfach zu, wie es weitergeht, schweige und ...

       Sieh an, unser Magier hat wohl deinen Einspruch vernommen, der klettert ja gar nicht mehr!

      Jetzt reicht’s aber mit dem Gekrabbel, denke ich - warum erst jetzt und nicht schon früher? - und springe kopfüber von meinem Felsgrat hinab ins Tal. Mir voraus fällt blaues Licht, mein Leuchtender Pfad. Noch falle ich einfach nur, halte meine Arme nach hinten angelegt, falle und falle, während mein Körper schrumpft und sich wandelt, die Knochen hohl werden und sich verändern, braunes Gefieder mir wächst, wo vorher nackte Haut, Haare und Kleidung waren. Arme und Menschenhände sind nun Falkenschwingen. Rasend geht es mit angewinkelten Flügeln im Sturzflug hinab, so als wollte ich mich auf eine Beute stürzen. In letzter Sekunde breite ich meine Flügel aus und schwebe, lande sanft, kralle meine befiederten Fänge in Erde und Stein. Sehe an mir hinab und dort aus vierzehigen Fängen fünfzehige Menschenfüße werden und meine Beine wachsen.

      Ich schaue mich um - noch immer mit Falkenaugen, die schärfer sind als Menschenaugen es jemals waren, lausche schon mit Menschenohren und rieche mit einer Menschennase.

      Dort vor mir jenseits der Wiese liegt ein See.

      Ich schließe meine Augen und sehe die Sumpfschildkröten ein letztes Mal sich auf Ästen im Wasser und warmen Steinen am Ufer sonnen. Dann werden sie ihre Winterquartiere aufsuchen, sich eingraben und Monate ruhen.

      Enten sehe ich im Winter: Ein bunter Erpel balzt die grau gefleckte Entenfrau an. Am Abend wird er müde, schließt ein Auge, das andere bleibt offen. So ist er immer vor Katze, Fuchs und Wolf auf der Hut. Nun schläft die eine Seite seines Gehirns. Dann schließt er das andere Auge, und die andere Hälfte schläft. So geht es die ganze Nacht hindurch. Das ist der Halbschlaf der Einsamen und aller Enten am äußeren Rand der großen Schar. Die aber, die innen sitzen, das sind die stärkeren, die sich die besten Plätze eroberten, halten beide Augen geschlossen - sie schlafen vollständig und vollkommen.

      Ich aber öffne meine Augen und sehe nun wieder mit Menschenaugen weder Tau noch Spinnennetze und auch nicht den Tempel der weißen Kiefer. Denn sie alle sind meinem Blick verborgen. Was ich erblicke, sind die Silhouetten der gewaltigen Berge ringsum. Düster und schwarz sind sie hinter Nebeln fast verborgen. Was mögen sie behüten, was Menschenaugen niemals sahen - niemals sehen werden, weil es verboten ist?

      Dort vorn am Rande des kleinen Eichenwaldes taucht eine Wildschweinrotte auf. Eine Schar junger Raben fliegt heran. Wie mutig die sind, ja, Frechheit siegt! Einige reiten gar auf den Rücken der Allesesser. Die Halbstarken üben sich im Liebesimponiergehabe: schlagen Salto in der Luft, fliegen synchron.

      Ich schaue ihnen zu und denke - noch immer im Flugtaumelrausch - nur vier Worte, immer wieder und höre auch schon meine Lippen das Mantra summend flüstern:

      „Rabe sein im Frühling.

      Im Frühling Rabe sein.

      Rabe sein im Frühling.“

      Zeit rast. Herbst und Winter gehen dahin. Frühling. Es grünt so grün. Gelbe, weiße und rosa Blüten.

      Ich finde mich wieder im Körper eines fliegenden Raben, vielleicht tausend Flügelschläge von der Stelle entfernt, wo ich einst landete und wo wilde Schweine Eicheln aßen.

      Jetzt höre ich in weiter Ferne die Drachen erwachen. Sie lachen. Welch Gebrüll in Raben- und auch in Menschenohren! Letztere aber gibt es hier nicht. Jetzt nicht. Niemals nie für alle Zeit?.

      Noch immer hüllen mich Nebel ein.

      Höre die anderen singen, lausche dem Lied und den Worten aus schwarzen Schnäbeln: „Kroar kroar kroar.“ Verstehe: Es ist nicht mehr weit zum Zentrum des Nebellandes.

      Sehe einen großen Raben für Augenblicke aus den Nebeln hervor treten. Er fliegt nicht, sondern steht dort still und wartet. Er ist der Wächter, der Posten auf dem Pfosten!

      Öffne meine offenen Augen wieder der wirklichen Welt ringsum.

      Weiße Wolken umgeben mich gleich Nebeln. Oder verwandelt sich Nebel in Wolken? Sind Nebel und Wolken eins? Wasser sind sie, das aufsteigt, Wasser, das dahinzieht und hernieder nieselt/regnet/prasselt/strömt, Wasser, wie der Bach, der dort unten hörbar plätschert.

      Ist es ein Bach oder gar der Atem eines großen Tieres, das dort liegt und schläft und - schnarcht?

      Ist es das Lachen der Drachen, das die Berge jetzt vielfach in meine Rabenohren zurückwerfen?

      Regen fällt hier oben und unten - überall.

      Dann bricht wieder Sonn hindurch. So warm für mich, denn schwarz ist mein Gefieder, so nimmt es die Wärme auf. Schwarz ist mein breiter Schnabel,

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