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sich über Wasser zu halten. Aber die lähmende Kälte lässt das Blut stocken, lässt jede Bewegung erstarren.

      Mit einem Ruck hob Catherine den Kopf, stieg vorsichtig aus dem Wasser. Nein. Es ging nicht.

      Sie hatte damals gekämpft, um dem eisigen Wasser zu entkommen. Warum eigentlich? Es wäre besser gewesen, aufzugeben. Dann stünde sie nicht allein an diesem einsamen Strand in Cornwall. Es war eigentlich völlig egal, wo sie sich aufhielt, denn ihr Denken und Fühlen waren woanders, in einer anderen Welt. Wie eine Seifenblase, die in der Luft schwebte, ständig in Gefahr, zu zerplatzen. Sie hatte versucht, sich nichts anmerken zu lassen. Ihre Eltern und ihre Freunde hatten sich genug Sorgen um sie gemacht. Aber ihre Kraft war verbraucht. Sie konnte nicht loslassen und den dunklen Gedanken Einhalt bieten.

      Catherine setzte sich auf den Boden, zog die Beine an und starrte wieder auf das Meer hinaus.

      Der erste schöne Tag nach einer kalten, regnerischen Woche. Blauer Himmel, feine Federwölkchen, weit draußen ein schneeweißes Segel. Eine leichte Brise liebkoste ihre Haut und ihr Haar. Sie strich sich abwesend eine rotblonde Strähne aus dem Gesicht.

      Paul und Sarah hätte es hier gefallen, obwohl das Wasser wirklich zu kalt zum Baden war. Aber wenn das Wetter schön war, konnte man barfuß am Strand tollen, eine Sandburg bauen. Sie hätte ein Buch mitnehmen und zu lesen versuchen können. Ihr kleines, wissbegieriges Mädchen hätte sie mit seinen unzähligen Fragen gestört, aber das hätte ihr nichts ausgemacht. Es wäre tausend Mal besser gewesen als ganz alleine hier zu sitzen.

      Paul und Sarah waren gegangen und hatten sie zurückgelassen.

      Eine Welle von Übelkeit krampfte ihren Magen zusammen. Catherine schloss die Augen und versuchte, ihren Atem zu beruhigen.

      Einatmen, ausatmen. So wie es ihr der Psychotherapeut immer wieder erklärt hatte. Sie kniff die Augen zusammen, zeichnete mit der Zeigefingerspitze Linien in den Sand. Ein verschlungenes Muster, das sich im Kreis windete, zu einem Mittelpunkt führte. Es war eine gute Methode, sich abzulenken, auch wenn das Muster nie so wurde, wie sie es in ihren Gedanken sah. Sie versuchte sich vorzustellen, auf einer dieser Linien zu wandern. Beginnend vom Rand aus, in unzähligen Windungen, dem Mittelpunkt zustrebend. Alles lief auf diesen Mittelpunkt zu. Aber sie konnte ihn nicht finden. Sie wanderte auf einem Weg, der ins Ungewisse führte.

      Manchmal wünschte Catherine sich, zum Anfang zurückkehren zu können. Es ging nicht. Was einmal geschehen war, konnte nicht mehr rückgängig gemacht werden.

      Sie verharrte, wischte schließlich die Linien mit einer ungeduldigen Handbewegung fort und stand langsam auf.

      Es hatte keinen Sinn mehr, nachzudenken, zumindest jetzt nicht.

      Sie warf noch einen Blick auf die weiße Gischt der Wellen, die unermüdlich gegen die Steine schlug. Dann wandte sie sich ab und stieg mit langsamen Schritten den schmalen Pfad hinauf, auf den Rand der Klippen zu.

      Kapitel 4

      Yal Rasmon zog fröstelnd die Schultern hoch und starrte auf den großen Tisch und die acht Stühle, die noch immer leer waren. Der Rat der Weisen Magier ließ ihn warten. Eine Ewigkeit lang befand er sich schon im Großen Saal, war die Mauern entlang geschlendert und hatte versucht, nicht auf die Warnsignale zu achten, die sein Instinkt ihm sandte. Das Gefühl zu ignorieren, den dieser Ort immer noch in ihm hervorrief. Ein Gefühl der Ohnmacht und des Ausgeliefertseins.

      Es gab nicht einmal einen Stuhl in dieser Halle, der einem Besucher ein wenig Bequemlichkeit ermöglich hätte, nur die acht Exemplare, die dem Weisenrat vorbehalten waren. Yal hatte probeweise auf einem von ihnen Platz genommen. Auf dem Stuhl des Feuermagiers Madryl Ardolan. Aber er war sofort wieder aufgesprungen, als ihn eine Vision überfiel.

      Grässliche Schreie, ein Wesen, das bei lebendigem Leib verbrannte. Das Bild war so wirklichkeitsnah, dass er beinahe glaubte, den Geruch von verkohltem Fleisch und versengten Haaren zu riechen. Und gleich darauf war Dunkelheit in seinen Kopf gekrochen, wie immer, wenn er versuchte, sich an die Zeit zu erinnern, bevor er sich in Findward niedergelassen hatte.

      Findward gehörte zu dem Teil der irdischen Reiche, der von mehr Erdmagie durchdrungen war als jeder andere. Hier hatten sich vor Urzeiten die Hynnen angesiedelt, nachdem die Kriege sie aus Myn Fantrix vertrieben hatten und auch die magischen Wesen, die es geschafft hatten, dem Zorn des Großen Geistes zu entgehen. Vor allem aber war die Erdmagie mild und heilsam. Und eine solche Magie brauchte Yal Rasmon jetzt am meisten.

      Varruk Erasants Feuervogel hatte ihn überraschend erreicht und seit er die Nachricht empfangen hatte, grübelte er vergeblich darüber nach, was die Weisen ihm zur Last legen könnten.

      Eine Ratsversammlung der Magier bedeutete meist nichts Gutes. Magier waren Einzelgänger, jeder für sich in seinem eigenen Element und sie verfolgten selten ein gemeinsames Ziel. Natürlich wusste er, dass der Weise Rat zu dem Zweck gegründet worden war, eine neue Heimat für die magischen Wesen zu finden, aber dieses Vorhaben war ihm immer sehr vage erschienen, nur als Mittel zum Zweck für Varruk Erasant, um seine Machtgelüste zu befriedigen.

      Yal blieb stehen, atmete tief ein und aus.

      Das eintönige Schwarz der Mauern von Ranasor begann wie immer auf sein Gemüt zu schlagen. Selbst die bunten Glasfenster, einziger Schmuck in der kargen Halle, vermochten ihn nicht mehr aufzuheitern. Er war müde. Der Weg zum Ratssitz der Magier war weit, selbst wenn man als Flamme durch die Lüfte huschen konnte und er hatte seine tiefe Erschöpfung noch immer nicht überwunden. Diese seltsame Lethargie, die ihn befallen hatte und von der er nicht wusste, woher sie kam. In seinen Erinnerungen klaffte ein schwarzes Loch. Ein Auftrag – er hatte einen Auftrag ausgeführt. Aber welchen? Und für wen?

      Yal schüttelte den Kopf. Es brachte nichts, sich das Gehirn zu zermartern. Das einzige Ergebnis waren bohrende Kopfschmerzen und auf die konnte er verzichten, gerade jetzt, wo er dem Weisenrat gegenübertreten musste. Er würde wohl warten müssen, bis die Erinnerung von selbst wiederauftauchte oder derjenige, der seine Gedanken gelöscht hatte, es für richtig befand, sie ihm wieder zu schenken.

      Ein leises Geräusch holte ihn aus seinen Überlegungen. Sie kamen.

      Schemen, die sich nach und nach verfestigten, zu Gestalten aus Fleisch und Blut wurden.

      Alle waren sie da, bis auf einen.

      Madryl Ardolan, der Feuermagier, war tot.

      Er war vor sieben Monden gestorben, sein Körper war gefunden worden, fast bis zur Unkenntlichkeit verkohlt. Schwarze Schlieren tanzten vor Yals Augen und hinter seinen Schläfen begann es leise zu pochen. Er atmete tief durch, versuchte das flaue Gefühl in seinem Magen zu ignorieren.

      Die sieben Magier setzten sich. Varruk Erasant, der Älteste, wie immer prunkvoll herausgeputzt in seiner goldfarbenen Robe, warf ihm einen langen, scharfen Blick zu. Yal zuckte unwillkürlich zusammen, aber sein letzter Lehrmeister lächelte nur, wollte wohl seine Gedanken nicht lesen.

      Zu seiner Rechten hatte Irisana Reguvil Platz genommen, die Lichtmagierin und Herrin über die Inseln des Lichts. Sie musterte ihn unbewegt.

      Neben ihr saß ein weiterer Lichtmagier, Yal kannte ihn nicht.

      Dann war da noch Sel Dragmon, sein Mentor und Freund von Kindheit an. In den dunkelgrünen Augen des Erdmagiers lag ein warmes Lächeln. Aber Yal bemerkte auch die Besorgnis in seiner Miene.

      Der Stuhl zu Varruks Linken blieb frei. Yals Blick schweifte zum Sitzplatz daneben. Kurz stockte ihm der Atem, als er in die Augen der schönen Wassermagierin sah. Sie starrte ihn mit unverhohlenem Erstaunen an. Leichte Röte flog über ihr ebenmäßiges Gesicht. Sie setzte sich, ohne ihn aus den Augen zu lassen. Yal lächelte unverbindlich. Er konnte sich ihr Interesse nicht erklären.

      Die Erdmagierin Syluva Karamon nickte ihm zu. Er kannte die zierliche Frau von den Besuchen, die sie Sel Dragmon abgestattet hatte.

      Als der Letzte des Weisen Rates, ein Yal ebenfalls unbekannter Lichtmagier, Platz genommen hatte, bedeutete Varruk ihm mit einer Handbewegung, vorzutreten.

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