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müssen.

      Die Ärzte sind alle schon wach, freuen sich nachträglich über die ruhige und friedliche Nacht. Keine Schlägerei. Alkoholvergiftungen könnten noch kommen. Carlina sitzt mit Meggy, Urs, Gesche und ihrer Halbschwester Leila am Küchentisch und erzählt das Brückenerlebnis. Die Hospitalchefin Kim kocht Kaffee. Oder was man heutzutage so Kaffee nennt. Die Mischung ist die Beste die zu bekommen ist, aber geheim. Eine Sippe bezahlt mit dem Kaffeeersatz ihre Rechnungen. Meggy und Urs wussten noch wie richtiger Kaffee schmeckte, haben es aber vergessen. Elfriede, die Älteste, weiß auch nicht mehr wie Kaffee schmeckte. Sie liegt noch im Bett.

      Carlina beschreibt die Gesichter der Bierbrauer, als die Tanks davonschwammen. Als alle ausgelacht haben wird sie von Leila gefragt: „Was ist eigentlich mit unserer Mutter los? Du wohnst doch mit ihr zusammen. Ich habe sie diese Woche kein einziges Mal im Sportheim oder beim Fußballplatz gesehen. Sonst hat sie doch immer den jungen Männern auf die Beine geschaut.“

      „Hab ich sie auch gefragt. Was mit ihr los ist“, meint Carlina. „Sie sei an etwas ganz wichtigem dran, ist ihre Standardantwort. Und sie tut auch sehr geheimnisvoll. Sie scheint aus Pilzen ein neues Medikament zu basteln. Das muss man sich mal vorstellen. Eine Frau mit zweiundneunzig Jahren bastelt mit giftigen Pilzen. Aber kann man ihr das verbieten?“ Mit hilfloser Geste schaut sie in die Runde.

      Urs, der als zweitältester Elfriede am längsten kennt, schüttelt energisch seinen Kopf. „Wer sich mit ihr unterhält spürt ihre Geistesgegenwart. Leider unterhält sie sich in letzter Zeit nicht mehr gerne. Gegen, sagen wir, vor einem Jahr, ist sie richtig einsilbig geworden.“

      „Kommt mir auch so vor“, bestätigt Carlina. „Bevor ich Antwort bekomme, dauert es. Aber nicht weil sie mental träge ist. Sie überlegt, ob sie die Höflichkeit aufbringen soll mir zu antworten. Im Rat hört sie meistens nur noch zu. Nur wenn ihr was gegen den Strich geht wird sie lebendig.“

      „Der Rat sollte verjüngt werden“, meint Leila. „Da gehören junge Leute rein, die die eigene Generation vertreten.“ Das Thema interessiert heute niemand.

      „Wenn ich daran denke, wie Elfriede früher mit der Geige Stimmung gezaubert hat“, schwelgt Meggy in Erinnerungen, „manchmal auf dem Tisch stehend, und wie schön sie gesungen hat, dann sollte man das Altwerden verbieten.“

      Carlina ist anderer Meinung. „Da ständig neue schöne junge Menschen nachkommen, ist es nur gerecht, wenn die vorherige Generation vergeht und den Jungen Platz macht. Ich werde bald dreiundfünfzig, ich habe damit kein Problem.“

      „Du wieder mit deinen Weisheiten“, stöhnt Kim, die gerade die Tassen auf den Tisch stellt. „Dabei betrifft dich das gar nicht. Du alterst überhaupt nicht. So wie du jetzt aussiehst, bist du schon auf die Welt gekommen. Du bist lediglich noch etwas gewachsen. Und wenn du hundert bist, wirst du immer noch so aussehen.“

      Sie lachen, Carlina lacht mit. Leila ist die ältere und sieht mindestens doppelt so alt aus. Sie fragt: „An was liegt das eigentlich? Aus medizinischer Sicht.“

      Carlina schmunzelt. „Das liegt an der inneren Einstellung. Die wirkt auf das Äußere. Man darf sich über nichts Aufregen und man darf nichts an sich ranlassen. Außerdem haben mich keine Männer verschließen.“

      Gesche klatscht eine flache Hand auf ihre Stirne. „Das muss es sein. Dieses Übel ist uns allen wiederfahren.“ Die Frauen Kreischen, Urs klopft lachend auf den Tisch. Bei früheren Gelegenheiten, wenn sie auf ihre Frische angesprochen wurde, antwortete Carlina: „Schönheit vergeht. Aber da ich nicht schön bin, vergehe ich auch nicht.“

      Plötzlich tönt es aus der offenen Badezimmertür: „Sie spritzt sich ständig Weisheit in die Adern, das dehnt und verhindert Falten.“ Elfriede ist aufgestanden. Hat wohl schon eine Weile zugehört.

      „So wie Carlina aussieht, muss die Weisheit aus Stutenmilch bestehen“, freut sich Leila, dass ihre Mutter aufgestanden und gesprächig ist.

      „Jetzt im Ernst“, erhebt Carlina ihre Stimme. „Es liegt an der vernünftigen Lebensweise. Dazu gehört Beherrschung, und die habt ihr nicht.“

      „Spaßbremse“, sagt Elfriede.

      In dem Moment fährt ein Wagen vors Hospital. Darauf liegen drei Leblose. Die Ärzte gehen hinaus, Elfriede nimmt sich Kaffee. Die drei werden auf dem Karren untersucht, für gesund befunden und nachhause geschickt. Sie sollen die eigenen Betten vollkotzen.

      Am Nachmittag marschiert Carlina von Grissly kommend, mit ihm zusammen ins Sportheim zur Ratssitzung. Grissly mustert sie von der Seite, wie immer sehr genau, und entdeckt etwas, das er nie für möglich gehalten hat. Unter Carlinas langem Unterkiefer hängt es ein wenig. Das könnte möglicherweise einmal ein Doppelkinn werden. Er würde es ihr gerne unter die Nase reiben, weiß aber im Voraus, dass sie darüber hinweggehen wird, dass es sie vermutlich nicht einmal interessiert. Nie würde sie sich eitel zeigen. Ihre Person lebt von einer fluoreszierenden Ausstrahlung, die auch nur sie besitzt. Das lässt sie unantastbar wirken und durch ihre Größe und Breite wirkt sie eh schon mächtig. Weder Augen, Nase, Mund, Zähne und Ohren sind besonders groß, also auch nicht hässlich. Aber alles zusammen ist irgendwie nicht besonders schön. Ihre Arme und Beine sind zwar fettfrei und muskulös, aber doch nicht so formvollendet, wie man es bei einer liebreizten Frau gern hätte. Und ihre Figur ist auch nicht derart, dass man sich die Finger danach lecken würde. Einschüchternd und gewaltig, ohne dick zu sein. Die Gemeinschaft wartet darauf, dass ihre reine Haut im Alter Leberflecke bekommt.

      Nach dem Mittagessen wurden die zwei Tanks, die weiter unten an einem Sturmbruch hängen geblieben waren, aus dem Wasser gefischt und wieder an der Brücke befestigt. Sobald die Bruchsaler und die anderen Gäste reisefähig sind, können sie die Gegend verlassen. Der Rat sammelt sich, weil er beraten will, wer, wie, wann, die Schäden des Festes beseitigt. Wer nicht erscheint ist Elfriede.

      „Wird sie nun doch zu alt für den Weg?“, fragt Klara an Carlina gewandt.

      „Soll ich sie holen?“ bietet sich Buran an.

      „Sie hat es bestimmt nicht vergessen und könnte sich auch von einem Krankenpfleger herfahren lassen“, meint Carlina.

      „Die Stimmen, die einen Generationswechsel im Rat fordern, werden lauter“, behauptet Bernie, Ettenheims Vertreter, der gerne aufhören würde.

      „Ist mir bekannt“, sagt Carlina. „Aber das muss sukzessive geschehen. Mehr als zwei Neue würde ich nicht riskieren. Wir sollten erst beobachten, wie sich der Nachwuchs macht. Auf keinen Fall dürfen Junge die Mehrheit bekommen. Umso mehr Junge zusammen hocken, umso mehr Unsinn wird gemacht.“

      „Meine Meinung“, pflichtet Bernie ihr bei. „Solange Alte das Sagen haben, ist man vor bösen Überraschungen geschützt. Alte agieren zwar langsamer, machen aber weniger Schaden. Unerfahrene Junge probieren und riskieren viel. Das kann uns teuer zu stehen kommen. Aber ich hätte eine Nachfolgerin die Grips hat, besonnen ist und vernünftig.“

      „Wir müssen zuerst mit Elfriede reden“, will Carlina.

      „Solange du die Fäden hältst, kann nicht viel passieren“, glaubt Sigsig, der Chefmechaniker.

      „Richard im Rat zu haben, wäre bestimmt ein Gewinn. Er kann viel, weiß viel und ist Gewissenhaft“, regt Grissly an.

      „Das würde Proteste geben“, wiegelt Carlina ab. „Den Meisten ist er zu streng. Viele haben ihm die Hinrichtung der Marodeure nicht verziehen.“ Dann beugt sie sich über den Tisch und flüstert: „Einige die Dreck am Stecken haben befürchten sogar, dass, wenn Richard im Rat sitzt, sie eines Tages hingerichtet werden.“ Sie hebt noch den rechten Zeigefinger vor den Mund. Vermutlich waren das Vieraugen-Informationen.

      Der Rat regelt was zu regeln ist. Anschließend marschiert Carlina zum Ärztehaus, um mit ihrer Mutter über deren Nachfolge zu reden. Ob sie will oder nicht. So sehr die Gemeinschaft Elfriede auch vertraut, befürchten doch nicht wenige, dass sie Aussetzer bekommt. Carlina kann in fast jeden Menschen hineinsehen. Könnte aber von der eigenen Mutter nicht sagen, ob sie an ihrem Sitz klebt und bis zum Tod im Rat verweilen will. Gespannt was ihr Fehlen verursachte, betritt

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