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prüfenden Blick in Ethans Richtung. Er hatte die Arme verschränkt und schien nur auf meine Entscheidung zu warten.

      Entschlossen schlich ich näher zur Hütte, bis ich direkt unter dem Buntglasfenster an der Rückseite kauerte. Mit klopfendem Herzen presste ich mich gegen die kalte Wand und wartete, bis mein Atem sich beruhigte. Dann wagte ich endlich, mich auf die beiden Stimmen zu konzentrieren – und konnte kaum fassen, was ich hörte.

      "Du weißt, dass du es ihr sagen musst", zischte Calideya. "Sie hat ein Recht, es zu erfahren."

      Ich vernahm Schritte, dann ein Seufzen. "Ich verstehe, was du meinst, aber ... manche Dinge sollten besser im Dunklen gelassen werden."

      "Nicht, wenn wir dadurch unschuldige Menschen in Gefahr bringen!" Calideyas Stimme wurde lauter. "Es wird Tote geben! Und sie wird den Preis dafür zahlen, wenn wir sie nicht warnen."

      "Und wenn wir sie warnen?" Sidonys Stimme war noch immer voller Ruhe. "Sie wird nie wieder Magie einsetzen, wenn sie um die Konsequenzen weiß. Ihr die Wahrheit zu sagen, bedeutet, das Land seiner Verdammnis auszusetzen, ist dir das bewusst?"

      "Wir können kaum von ihr verlangen, den Preis für unsere Freiheit zu zahlen", bestand Calideya. "Sie hat es verdient, die Wahrheit zu erfahren!"

      "Nein." Wieder waren Schritte zu hören. "Gladys sucht bereits nach einer Lösung. Wir können nicht ..."

      Die Stimme wurde leiser, undeutlich, als Sidony das andere Ende des Raumes erreichte.

      "... sie wird lernen, die Kontrolle darüber zu erlangen und niemand wird zu Schaden kommen."

      "Aber genau darum geht es doch!" Calideyas Stimme war schrill. Ich hatte sie noch nie so aufgebracht erlebt. "Wir können sie nicht schützen. Nicht diesmal."

      "Und du denkst, ihr Angst zu machen, ist der richtige Weg, um sie zu stärken?"

      "Ich denke, Evangeline sollte erfahren, worum es hier geht! Die Vision war eine Warnung. Wir werden keine zweite erhalten."

      Schockiert wich ich zurück.

      Ich fühlte mich als hätte man mir soeben den Boden unter den Füßen weggezogen. Nur ein paar Minuten, ein paar einfache Sätze und meine Welt geriet erneut ins Wanken. Von welcher Gefahr hatte Calideya gesprochen? Und was hatte sie damit gemeint, dass es Tote geben würde und ich den Preis zahlte? Wie kam sie überhaupt dazu, das mit Sidony zu diskutieren, anstatt mit mir?

      Heiße Wut begann, in mir hochzukochen. Brodelnd schoss sie durch meine Adern, sodass ich mich ruckartig aufrichtete. Ich würde die beiden zur Rede stellen. Sofort.

      Erst, als ich herumfuhr, bemerkte ich, dass Ethan mir gefolgt war. Mit einem Mal stand ich näher vor ihm, als beabsichtigt. Ich hob den Kopf und unsere Blicke trafen sich. Von hier aus konnte ich sogar die hellen Sprenkel in seinen blauen Iriden erkennen. Eine halbe Welt, die zwischen mir und den beiden Hexen stand.

      Ein Geräusch aus Sidonys Hütte rief mich zurück auf den Plan.

      "Ich muss mit ihnen sprechen", verkündete ich entschlossen und versuchte, mich an Ethan vorbeizudrängen, doch seine Hände umschlossen meine Handgelenke wie Schraubstöcke und zwangen mich, ihn erneut anzusehen.

      "Ihr solltet nichts Unüberlegtes tun." Sein Tonfall war ruhig. "Ihr wisst nicht, was Ihr anrichten könntet."

      "Ich kann sehr gut für mich selbst entscheiden, was ich tue", zischte ich und riss mich los. "Also entschuldigt mich."

      Ich war schon einige Schritte weit gekommen, als Ethan mich erneut packte.

      "Ihr wisst nicht, worum es hier geht", begann er erneut. "Manche Dinge hören sich anders an, als sie eigentlich sind. Die Fantasie kann Euch einen üblen Streich spielen, versteht Ihr?"

      "Und was interessiert Euch das?" Erneut versuchte ich, mich loszumachen, doch diesmal war er stärker. "Ihr wart es doch, der mich auf die beiden aufmerksam gemacht hat!"

      "Und genau deshalb muss ich jetzt dafür sorgen, dass Ihr nichts tut, was Ihr später bereut."

      Ich schnaubte. "Wie beispielsweise...?"

      "Die beiden bloßzustellen." Aus Ethans Zügen sprach Ernst. "Wenn Ihr jetzt in diese Hütte geht und den beiden eine Szene macht, wird früher oder später der ganze Zirkel davon erfahren."

      "Sollen sie doch!" Ich spuckte ihm meine Worte vor die Füße. "Was interessiert Euch das überhaupt?"

      Zum ersten Mal zögerte Ethan mit seiner Antwort.

      "Die Menschen hier müssen den Hexenmeistern vertrauen", erklärte er schließlich. "Als gespaltener, von Misstrauen erfüllter Zirkel werden sie nicht mehr lange existieren. Und keiner von uns wäre mehr in Sicherheit."

      "Versucht nicht, mir etwas von Sicherheit zu erzählen, Prinz." Ich schleuderte ihm den Titel direkt ins Gesicht.

      Für einen Wimpernschlag glaubte ich zu spüren, wie sich sein Griff um mein Handgelenk verstärkte, doch der Moment war so schnell vorüber, dass ich es nicht genau sagen konnte. Ethans Miene blieb unverändert.

      "Sprecht mit Eurer Mentorin", sagte er tonlos. "Wenn Ihr unbedingt wollt, auch mit der anderen Hexe. Aber versucht ruhig zu bleiben. Ich verstehe, dass Ihr wütend seid, aber ich denke, wir beide wissen, wie viel Schaden ein Geheimnis anrichten kann."

      Ethans Blick suchte meinen und ich wusste, dass er sich auf den Angriff aufs Schloss bezog – ein Geheimnis, das ihn sein Zuhause und hunderte andere Männer und Frauen das Leben gekostet hatte. Ich schwieg.

      Ohne ein weiteres Wort löste sich sein Griff und der Prinz verschwand aus meinem Blickfeld. Aufgewühlt massierte ich mein rotes Handgelenk, während ich ihm nachsah. Warum störte es mich so sehr, dass er mir die Schuld an allem gab, was in jener Nacht passiert war? Immerhin trug er selbst keine weiße Weste. Was immer ihn zu Sidonys Hütte geführt hatte, es war ganz sicher nicht die Sorge um mein Wohl oder das des Zirkels gewesen. Unwillkürlich fragte ich mich, wie oft er das bereits getan hatte – mit den Schatten verschmelzen und die Menschen im Dorf belauschen. Beobachtete er mich, um Morrigan Bericht erstatten zu können? Wusste er von meinen Fortschritten? War er womöglich sogar gestern Abend dort gewesen, am Fluss, als meine Magie zum ersten Mal einen Menschen verletzt hatte?

      Diese letzte Frage ließ mein Herz schneller schlagen und führte meine Aufmerksamkeit im selben Moment zurück zu Sidonys Hütte. Bevor ich mich dem Prinzen widmete, waren da noch zwei Hexen, mit denen ich ein Wörtchen zu reden hatte. Ich atmete tief, bevor ich schließlich zu Sidonys Tür marschierte.

      Sowohl Sidony als auch Calideya erstarrten, als ich ohne zu klopfen die Hütte betrat. Entschlossen durchquerte ich den Raum und blieb direkt vor den beiden stehen.

      "Was geht hier vor?" Meine Stimme war kühl, doch ich schaffte es, ruhig zu bleiben.

      Sidony und Calideya tauschten einen alles sagenden Blick, doch als Calideya zu sprechen ansetzte, kam Sidony ihr zuvor.

      "Du hast uns belauscht", stellte sie nüchtern fest.

      "Meine Lektion hat vor einer Viertelstunde begonnen." Ich verschränkte die Arme. "Ich hatte alles Recht, hier zu sein. Und ich habe das Recht zu erfahren, worum es hier geht."

      Sidonys Aufmerksamkeit wechselte von mir zu Calideya. Ihre Stimme war kälter, als ich es gewohnt war – strenger. Die großmütterliche Wärme, die sonst in ihren Worten schwang, war verschwunden. "Würdest du uns entschuldigen?"

      "Nein." Ich trat einen Schritt weiter in den Raum und schnitt Calideya den Weg ab. "Du hast von einer Gefahr gesprochen. Einer Warnung. Was hast du gesehen?"

      Sie zögerte und Sidony nutzte den Moment, um zu uns zu treten. "Es obliegt noch immer Gladys, die Visionen unserer Seher zu deuten. Weder du noch Calideya solltet voreilige Schlüsse ziehen."

      Sie bedachte Calideya mit einem Blick, der keine Widerrede duldete. Die Hexe der Wahrheit zögerte zwar, doch schließlich wandte sie sich ab.

      "Wir sehen uns später.", murmelte sie in meine Richtung. Dann verließ sie die

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