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Direktorin, Genossin Sanam, wurde in der ersten großen Sitzung für alle Lehrer nicht müde, die führende Rolle der SED (Sozialistische Einheitspartei Deutschlands, eine marxistisch-leninistische Partei, die für sich die führende Rolle im Staatswesen der DDR beanspruchte) zu betonen.

      Jedes Klassenelternaktiv (KEA), das bis zum Oktober neu aufgestellt und gewählt werden musste, hatte mindestens einen Genossen der Partei zur Mitarbeit in diesem Gremium zu gewinnen.

      Warum eigentlich, fragte sich Müller, der jetzt eine zehnte Klasse zum Abschluss führen sollte.

      ***

      Seine Gedanken schweiften wieder ab.

      Diesmal zum Urlaub, den er in diesem Jahr mit seiner Frau Carolin in Rumänien verbracht hatte.

      Ihr Sohn hatte ihnen diese Reise verschafft. Schon mit achtzehn Jahren war er mit einem Kollegen kreuz und quer durch Ungarn, Bulgarien, die Tschechoslowakei, die Sowjetunion und Rumänien gefahren, gewandert und getrampt.

      Nun hatte er seinen Eltern eine Individualreise verschafft, eine Reisemöglichkeit, die nicht DDR-typisch war. Für die Angestellten im Haus des Reisens am Alexanderplatz schien diese Individualreise ein Horror an Arbeit zu sein. Müllers mussten lange am Schalter warten, bis sie alle Voucher und anderen Unterlagen wie beispielsweise Flugtickets in der Hand hielten.

      Der Flug nach Bukarest mit einer Maschine der rumänischen Fluggesellschaft TAROM verlief ohne besondere Zwischenfälle. Nur das Bordessen war schon ein kleiner Vorgeschmack auf die Mahlzeiten im Hotel. Es mundete nicht sehr gut.

      Als Individualreisende wurden sie vom Flughafen von einer jungen Reiseleiterin zu einem schwarzen Dacia mit gelber Nummer geführt, dessen Fahrer einen schwarzen Anzug trug. Er fuhr sie zu einem der Erste-Klasse-Hotels in Bukarest, nahm einen der Voucher entgegen und fuhr ab.

      Am nächsten Tag wurden sie mit diesem Wagen zu einer Stadtrundfahrt geladen, besichtigten ein Landmuseum, eine orthodoxe Kirche und vieles andere mehr. Müller wunderte sich, mit welcher Frechheit der Fahrer durch die Straßen von Bukarest fuhr. Zur Kirche benutzte er eine Einbahnstraße in Gegenrichtung. Ein ihnen entgegen kommender Polizist salutierte sogar.

      „In was für einem Wagen saßen wir denn da? Der Mann konnte sich alles erlauben“, wandte sich Müller nach der Stadtrundfahrt verwundert an seine Frau. Carolin konnte sich das auch nicht erklären.

      Bei der Rundfahrt fielen die großen Plätze und protzigen Bauten auf. Carolin flüsterte ihrem Mann spontan ins Ohr:

      „Staatlicher Größenwahnsinn! Der Ceaucescu muss verrückt sein.“

      Nachts war Bukarest dunkel. Die Straßenbahn, die vor ihrem Hotel hielt, schien innen nur mit einer installierten Taschenlampe beleuchtet zu sein, deren Batterien schon ziemlich schwach waren. Auch die Straßen waren finster. In den Fenstern der Einwohner brannte kaum Licht. Nur die Großbauten des Ceaucescu-Sozialismus prangten die ganze Nacht über im grellsten Flutlicht.

      Aber erst am letzten Tag ihres Urlaubs empörten sie sich maßlos über dieses übertriebene Licht aus zahlreichen Scheinwerfern. Da waren sie auch in Sibiu (Herrmannstadt), Mamaia und Suceava gewesen. Da wussten sie, dass die Rumänen nur 42 KW Strom im Monat verbrauchen durften. Das ist der monatliche Energiebedarf eines Kühlschrankes!

      Das rumänische Fernsehen, welches kurz vor 20 Uhr mit seinem Programm den Äther beleidigte, war auch für den, der kein Wort Rumänisch verstand, ein absolutes Brechmittel. Zuerst kam heroische Marschmusik, der sich noch ein Chor zugesellte, und danach wurde in den Nachrichten das Lob Elena und Nicolae Ceaucescus gesungen vor einem Neubau, auf einem Feld, und man sah immer wieder grinsende, zufriedene Gesichter.

      Die Hofberichterstattung ist hier ja noch schlimmer als bei uns, dachte sich Müller, aber sie konnte sehr schnell auch in der DDR solche Formen annehmen, wenn der Generalsekretär der Partei anders hieße.

      In Sibiu erfuhren sie, dass es dort kaum Milch und Eier zu kaufen gäbe. Nach drei Happen aus einem Schnellimbiss war es Müller mehrere Tage schlecht ergangen. Der Magen hatte sich umgestülpt.

      Im Hotel gab es jeden Tag Ei und Milch.

      „Wir essen den Rumänen alles weg“, schämten sich Müllers und aßen ohne Appetit.

      In Mamaia erfuhren sie erstmals, dass diese schwarzen Dacias mit den freundlichen Fahrern im schwarzen Anzug auch noch andere Aufgaben hatten. Das junge Mädchen, das sie als Reisebegleiterin zugeteilt bekamen, hatte Mut. Erstmals lernten sie einen neuen Begriff kennen: „SECURITATE“.

      Am Schwarzen Meer lernten sie auch ein nettes Seniorenehepaar aus Brašov (Kronstadt), der berüchtigten Stadt des Grafen Dracula, kennen.

      Sie sprachen fließend Deutsch, da sie zur Volksgruppe der Siebenbürgener Sachsen gehörten. Sie betätigten sich als Reiseleiter. Ihren Enkel hatten sie mitgenommen, damit er endlich einmal gutes Essen kennen lernt.

      Sie waren sehr unglücklich, dass er nicht viel aß und ständig herummäkelte.

      Müllers empfanden die Zustände in den Schwarzmeerkurorten empörend normal. Hier gab es gutes Essen, ein reichliches Warenangebot, Abwechslung und vielseitige Möglichkeiten der Erholung. Ein deutscher Urlauber prahlte in penetrant lauter und angeberischer Weise:

      „Ich fahre schon über 30 Jahre hierher. Rumänien ist ein wundervolles Land!“

      Hat der Mann in den 30 Jahren überhaupt etwas von diesem Land mitbekommen, von seinen Problemen und dem Frust der hier lebenden Menschen?

      Müllers waren froh, als sie in der kleinen AN in den Norden nach Suceava fliegen konnten.

      Zum Hotel „Arcašul“ („Der Bogenschütze“) fuhr sie wieder ein Dacia mit schwarzer Farbe und gelber Nummer. Beide dachten nur: „Securitate“ und schwiegen.

      Dem Hotel gegenüber befand sich eine kleine griechisch-orthodoxe Kirche, der gerade, als sie aus dem Hotelfenster schauten, Frauen in dunkelfarbenen Kopftüchern und Männer mit den typischen Gesichtern bäurischer rumänischer Abstammung entströmten.

      Sie versammelten sich draußen vor einem steinernen Kreuz und hielten Liebesmahl.

      Neugierig geworden, wollten Müllers die Szene näher betrachten. Ein Mann führte sie in das vom Weihrauch geschwängerte Kirchlein, entpuppte sich aber schnell als ein Schnorrer, der unbedingt Zigaretten haben wollte. In der Kirche dauerte es lange, bis sich Müllers an die Dunkelheit gewöhnt hatten.

      Zwei Tage später war hier eine Trauerfeier. Das Schauspiel berührte sie eigenartig. Männer trugen Kirchenfahnen voran. Der Tote wurde auf offener Trage zum Sarg gebracht und auf der Straße eingesargt. Hinter ihm folgten die Angehörigen mit dem schwarz gekleideten Popen und den Trauergästen. Ein mit einem Baldachin überdachter von vier schwarzen Pferden gezogener Leichenwagen bewegte sich, die Trauergemeinde nach sich ziehend, zum Friedhof.

      Der Friedhof von Suceava schien nur aus Gruftgräbern zu bestehen, über denen oft kleine Kapellen gebaut waren, in denen man nach dem Aufschließen still Andacht halten und des Verstorbenen gedenken konnte. Die Grüfte waren durch große, mit Henkeln versehene Platten abgedeckt. Horst Müller konnte sich jetzt gut die Horrorvisionen der Draculafilme vorstellen, in denen eine Leichenhand den Deckel hochhob. Carolin war deshalb froh, als sie wieder in die Stadt zurückkehrten.

      „Du, „, bemerkte sie nachdenklich, „fällt dir nichts an den Häusern hier auf? Die sehen alle so merkwürdig neu aus. Hier stimmt doch irgendetwas nicht.“

      Müller konnte sich das ebenfalls nicht erklären.

      Am Sonntagabend besuchten sie die Versammlung einer freien evangelischen Gemeinde. Der wunderschöne Gesang hatte sie angelockt. Sie fanden auch gleich Kontakt und wurden eingeladen.

      Die Unterhaltung war in Englisch.

      „Wo könnten wir uns treffen?“

      „Wir wohnen im ,Arcašul’.“

      „Nein, dort auf keinen Fall. Das gehört der Securitate.“

      „Dann

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