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sich Müller angewidert.

      „Komm Carolin, wir gehen in das Hotel zurück. Ich will von diesem Land nichts mehr sehen.“

      Am letzten Tag ihres Rumänienurlaubs blieben sie auf ihrem Zimmer. Sie wollten unter sich sein, wollten nicht mehr die Ober ertragen mit ihrem ewigen „Change“, wollten die Zeit abwarten, bis der schwarze Dacia mit der gelben Nummer sie zum Flugplatz brachte.

      Sie duschten sich. Horst fand Carolin bezaubernd. Er warf sie aufs Bett. Sie mochte solche Überraschungen und kam schnell in Stimmung. Die Umwelt wurde bedeutungslos. Die Bettdecke war auf den Fußboden gerutscht. Was machte das schon? Der Sommer in Rumänien war heiß, und es war schön, seine Frau so zu sehen - nackt, in hellem Licht gebadet.

      „Ich bin mit dir schon über 20 Jahre verheiratet, aber du gefällst mir immer noch verdammt gut“, schmeichelte er ihr.

      Sie gab sich ihm hin und empfing seine Zärtlichkeiten und Liebkosungen. Herrlich, diese Flitterwochenstimmung! Der Höhepunkt --- nein!!! Nur ein penetrantes Klopfen an der Tür. Carolin zog sich rasch ihr Kleid über. Horst wusste gar nicht, was los war. Als sie öffnete, stand draußen ein Mann mit Kalaschnikow und sagte im barschen Ton:

      „Control!“

      „Was wollen Sie?“, fragte Carolin geistesgegenwärtig. Horst unterstrich es im scharfen Ton:

      „Was ist denn da los?! Wie kommen Sie dazu, uns zu stören?“

      Der Mann entschuldigte sich und verschwand.

      Als sie kurz darauf nun doch zum Mittagsessen in das Restaurant des Hotels gingen, erblickten sie ihrem Zimmer gegenüber eine sperrangelweit geöffnete Tür, wo Rumänen Rumänen kontrollierten.

      Horst sah auf den Fußboden geworfene Kleidungsstücke.

      „Ich kann dieses Land nicht mehr ertragen. Hoffentlich fliegen wir bald“, kam es leise und resigniert von Horsts Lippen. Dann aber wurde er wütend:

      „Und so ein Verbrecher wie Ceausescu, der sein ganzes Volk entmündigt und unterdrückt, ist auch in unserem Lande vorstellbar. Wie kann eine echte Demokratie entstehen, wenn eine Partei nur auf einen Einzelnen hört und von sich behauptet, die absolute Wahrheit gepachtet zu haben? Weißt du, Carolin, auf einmal empfinde ich den Sozialismus als eine unvernünftige Gesellschaftsordnung, die beseitigt werden muss.“

      Der schwarze Dacia mit der gelben Nummer raste zum Flugplatz. Er hupte sogar, als ein CD(Corps Diplomatique)-Wagen die schnelle Fahrt behinderte. Horst und Carolin saßen die ganze Zeit eisig schweigend da. Sie wollten möglichst rasch im Flugzeug sitzen.

      Dort erlebten sie eine Szene, die sie restlos empörte. Bei der Zollabfertigung wurde eine schlicht gekleidete rumänische Frau aufgefordert, ihren Koffer zu öffnen. Der Zollbeamte wühlte in ihren Sachen herum und riss das braune Papier, in das die Geschenke eingewickelt waren, herzlos auseinander. Sah der Beamte nicht, dass bei dieser Frau absolut nichts Verbotenes im Koffer war? Nein, er sah weder ihre Tränen, noch ihre verzweifelte Hilflosigkeit bei der absichtlich brutalen Durchsuchung der armseligen Habseligkeiten, die auch noch dem Koffer entnommen wurden. Da sah der Beamte das Visum von Horst, wurde auf einmal überaus freundlich und ließ ihn unkontrolliert passieren. Müller wollte schreien: Kontrollieren Sie mich ebenfalls so gemein! Aber er konnte vor Erregung kein Wort herausbringen.

      In der Maschine von TAROM flogen sie über die Karpaten. Das Blau da unten war kein See, sondern ein Tannenwald. Rumänien mit deinen herrlichen Bergen, Tälern und Wäldern, den romantischen Dörfern und Feldern, die an Bilder des 19. Jahrhunderts erinnerten, du könntest das glücklichste Land der Welt sein, mit frohen, satten Menschen. Aber über dir schwebt der böse Geist des neuen Dracula, Nicolae Ceausescu. Das Draculaschloss in Brašov (Kronstadt) hat er sich ja jüngst deshalb angeeignet.

      Berlin! Wie schön! Ich bin wieder da, dachten sich beide.

      Die Kontrollen am Flughafen Schönefeld waren erholsam lässig.

      ***

      Horst blickte zur Direktorin. Wie kann eine nette Frau nur so kariert politisch quatschen?

      Sie sang das Lob des Sozialismus. Sozialismus und Frieden sind eine Einheit. Diese Grundwahrheit sollte allen Schülern immer wieder vor Augen geführt werden.

      ***

      Bei Müller krampfte sich das Herz zusammen.

      Er dachte an Afghanistan. Als die Russen, Verzeihung, Sowjetsoldaten in dieses Land einfielen, hatte er aus Protest die ganze Sammlung der Zeitschrift „Sputnik“ zum Altstoffhändler gebracht. Auch von der Moskauer Olympiade 1980 wollte er nichts mehr wissen. Irgendwie fühlte er, dass diese Aggression der Anfang vom Ende des Sowjetimperialismus war.

      Dem Staatsbürgerkundelehrer, der ihn in seinem Auto mitnahm, sagte er es vorsichtiger:

      „Ich denke, dass die Sowjetunion einen großen Fehler gemacht hat. Das kann nicht gut gehen.“

      Daraufhin begann der Parteigenosse zu toben:

      „Die Amerikaner können sich alles erlauben, aber bei der Sowjetunion machen sie gleich wer weiß was für ein Geschrei!“

      Auf dieser Grundlage war kein Gespräch mehr zu führen.

      Müller erinnerte sich, dass er wenige Wochen später beinahe in eine sehr fatale Situation geraten war.

      Sie hatten zu der Zeit Lehrerweiterbildung im Rahmen des Kurssystems, wie man das damals nannte. Viele bezeichneten den Grundkurs auch kurz: „Rotlichtbestrahlung“.

      Eines der Seminare leitete der Stadtbezirksschulrat. Er eröffnete das Seminargespräch mir einer Frage, die bei Müller das Blut im Leibe gerinnen ließ:

      „Warum war der Einmarsch der sowjetischen Truppen in Afghanistan eine höchst moralische Tat? Kollege Müller, versuchen Sie, darauf zu antworten.“

      Müller spürte, hier ging es um seine Existenz. Er dachte an das Gespräch mit dem Staatsbürgerkundelehrer. Die Augen der anwesenden Kollegen richteten sich auf ihn. Müller hätte schreien können: Das ist ein eklatanter Bruch des Völkerrechts gewesen und hat mit Moral gar nichts mehr zu tun! Die Wut stieg in ihm hoch. Schon einmal hatte er sich wegen dieses Schulrates selbst verleugnet und furchtbar geschämt, nicht mehr Zivilcourage gezeigt zu haben. Aber diesmal wollte er es ihm zeigen.

      Wenn Müller in Wut war, kamen ihm oft ganz klare Gedanken. So antwortete er orakelhaft:

      „Vielleicht diente das Ganze dem historischen Fortschritt?“

      Die Antwort verunsicherte den vorher so gefährlich selbstsicheren arroganten Genossen Stadtbezirksschulrat.

      Mit der Frage: „Was ist denn historischer Fortschritt?“, manövrierte der sich selbst in die Defensive. Er ging sogar von dem Tisch herunter, auf den er sich provokativ, als ob er der Größte wäre, mit lässig übergeschlagenen Beinen gesetzt hatte. Nicht ein Kollege sprang auf das Thema Afghanistan an, sondern beobachtete innerlich amüsiert die Schwimmübungen des Schulrates. Das hat er verdient, sagte sich Müller.

      Es waren wohl schon fünf oder sechs Jahre her, da hatte er ihn kennen gelernt. Sein damaliger Direktor, Herr Genosse Fuchs, sprach ihn während der Ferien auf der Straße an:

      „Ich brauche Sie unbedingt in der Schule. Es geht um die Schülerin Kathrin Paulin. Die Eltern haben den Antrag auf EOS (EOS -Erweiterte Oberschule) gestellt. Zur Entscheidungsfindung brauchen wir einige Lehrer, die in der Klasse von Kathrin unterrichten.

      Ich möchte Ihnen gleich sagen: Es geht hier von vornherein um eine Ablehnung des Antrages. Kommen Sie?“

      „Ich kenne die Kathrin als fleißige und zuverlässige Schülerin und muss mir daher zuerst einmal ein Bild von der ganzen Angelegenheit machen. Ich werde kommen.“

      In der Schulsitzung sah er fast alles Parteileute, den Schulrat, den Direktor, den Inspektor und späteren Stadtbezirksschulrat in seiner arroganten Art, den Genossen Vorsitzenden des Elternbeirates, den Vorsitzenden der Wohnparteiorganisation (WPO) und die

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