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jene, denen weder an Protz noch an Verniedlichung ihres ungeheuren Wohlstands etwas gelegen ist und die es vorziehen, überhaupt nichts darüber an die Öffentlichkeit dringen zu lassen. Sie betrachten ihr neun- bis elfstelliges DM-Vermögen als geeignetes Instrument der Herrschaft, das es ebenso rationell wie diskret einzusetzen gilt.“

      Tobias schaute ihn fragend an. „Instrument der Herrschaft? Zu welchem Zweck, wie stellst du dir das vor?“

      „Zu keinem anderen Ziel als der Festigung und Vermehrung ihrer wirtschaftlichen und damit auch gesellschaftlichen Macht. Dass dabei immer mehr Geld auf ihr Konto fließt, ist für diese Leute ein natürlicher, unvermeidlicher Vorgang, dessen Erwähnung ihnen ebenso überflüssig wie unschicklich dünkt. Für Publicity haben sie etwa so viel übrig wie für die Steuer oder die Cholera. Die Offenlegung ihrer Bilanzen und die Bekanntmachung ihrer Konzernbeteiligungen empfinden sie als höchst unziemliche Entblößung vor drittklassigem Publikum. Als eine Art Strip-tease wider Willen.“

      „Und wenn sie – an Bord ihrer vor den Bermudas kreuzenden Hochseeyacht in der azurblauen Badewanne liegend – mit einem kurzen Telefongespräch via Nord­deich-Radio ihre Sperrminorität am Brauereikonzern gegen eine Schachtelbeteiligung an der Holding des Chemiefaser-Trust eintauschen und damit sämtliche Börsen in heillose Verwirrung stürzen, so meinen sie, dass auch dieser Akt durchaus in den gesetzlich geschützten Bereich ihrer Intimsphäre gehört und niemanden als sie selbst etwas angeht“, ergänzte ich, weil ich vor einigen Wochen gerade dazu etwas gelesen hatte.

      Obwohl ich lange nicht mehr so intensiv politisch dachte wie noch vor einigen Jahren, kam doch gelegentlich trotz aller beruflichen Anspannung mein politisches, insbesondere mein wirtschaftspolitisches Interesse hoch. Was die scheuen Kapital-Rehe anbelangte, nahm ich mir vor, mich für die nächste Saunarunde mit einem Beispiel vorzubereiten, das ich schon lange recherchieren wollte. Ich dachte dabei an eine typische deutsche Kapitalkarriere – an die der Familie Quandt.

      *

      Am 24. März läuft im Prinz-William-Sund vor der Südküste Alaskas der mit 206.000 Tonnen Rohöl beladene Tanker »Exxon Valdez« auf ein Riff und schlägt leck. Es kommt zur bis dahin größten Ölpest in der amerikanischen Geschichte. Hören diese Umweltkatastrophen denn nie auf, fragte ich mich und fuhr ins Umweltzentrum, wo der Besuch von Herrn Braun, des Abteilungsleiters und Vorgesetzten der störrischen Frau Söhnlein vom Frankfurter Arbeitsamt, angekündigt war. Was der wohl will?

      Etwa zur gleichen Zeit in einem verwilderten Garten in Potsdam: Hier trifft sich jeden Freitag eine kleine verschworene Gruppe von DDR-treuen Wissenschaftlern und Bürgerrechtlern, die sich mit Haut und Haaren der Gorbatschow-Linie verschrieben haben. Sie sind der Überzeugung, dass sich die SED, in der einige von ihnen Funktionäre sind, erneuern muss und dass sie ihre strikte Anti-Gorbatschow-Haltung nicht wird durchhalten können.

      „Wenn unser Land überleben will, geht das nur mit genau jenen Erneuerungen, die die Sowjetunion eingeschlagen hat“, sagt der Physiker Gerd Gebhardt, auf dessen Grundstück die GUG, die „Gorbatschow-Unterstützungs-Gruppe“, wie sie sich manchmal scherzhaft nennen, tagt. Aber in ihren ernsthaften Strategiepapieren und Protokollen nennen sie sich „Freie Forschungsgemeinschaft Selbstorganisation“.

      Dr. Wolfgang Ullmann, er ist der einzige Kirchenfunktionär in der Gruppe und parteilos, meldet sich zu Wort: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Situation in der Sowjetunion unter Gorbatschow ruhig bleiben wird. Die ökonomische Schwindsucht nimmt keine Rücksicht auf den guten Willen eines Staatsmannes.“

      „Und die Amerikaner werden weiter an der Aufrüstungsspirale drehen, um Moskau totzurüsten. Es braucht nicht mehr viel, damit die Genossen im Kreml in die Knie gehen.“ Der das sagt, ist der Chef des DDR-Verbandes der Genossenschaftsbanken, Hans-Jürgen Blüher.

      „Dann wird es dort zum Aufstand und zu einem Gemetzel kommen, etwas, was wir hier ganz und gar nicht gebrauchen können“, meint Rainer Schönfelder, Software-Entwickler beim führenden DDR-Computerhersteller Robotron. Die Gruppe ist besorgt, dass die Volksrepubliken Polen, Ungarn oder die Tschechoslowakei aus dem sozialistischen Staatenbund austreten könnten.

      „Wenn das den Zerfall der Sowjetunion krönen sollte, ist Schluss mit lustig. Es wäre der Tod des Sozia­lismus!“, lässt sich ein Mann vernehmen, der als Chemiker tätig ist. Er kennt sich aus mit dem Zerfall von Elementen.

      „Es geht um einen neuen Sozialismus, einen menschlichen Sozialismus – und der sollte als Ergebnis einer sozialistischen Wiedergeburt auf die Tagesordnung kommen“, sagt der Kirchenmann.

      „Ich glaube aber, dass es unseren Landsleuten eher um einen höheren Lebensstandard und um die Verwirklichung von Reiseträumen geht“, kontert der Chemiker.

      Nur einhundert Meter von ihrer Gartenlaube entfernt sitzt eine zweiköpfige Abhörmannschaft und lässt das Tonband mitlaufen. Hin und wieder notiert sich einer von ihnen ein Stichwort und schreibt die genaue Uhrzeit und Laufbandanzeige des Tonbandes dazu. Unter 18:47:02/LbN 560039 notiert er: „Sorge, dass VR Pol, Ung, Tschech Problemfälle werden.“

      Sein Kollege schaut ihm über die Schulter, schaut auf die Notiz, nickt zustimmend und murmelt ihm zu: „Könnte sein.“ Dann konzentrieren sie sich wieder auf die Sätze, die drüben in der Nachbarhütte fallen.

      Der Amts-Choleriker & der Uhrmacher

      Ich parkte gegenüber vom Zoo in einer Seitenstraße. Ich hatte großes Glück; es war ein Dauerparkplatz und gebührenfrei. Die Parkplätze vor dem Umweltzentrum waren belegt. Auf dem für mich reservierten Parkplatz stand ein fremdes Auto. Das war bisher noch nicht vorgekommen. Ich nahm es gelassen, hatte ja Ersatz gefunden. Ich ging als erstes ins Sekretariat und begrüßte Frau Wenzel. Sie war meine rechte und linke Hand, die wie immer alle Hände voll zu tun hatte. Wenn sie einmal krank werden oder jemals die GTU für immer verlassen sollte, müsste ich mir in der plastischen Chirurgie der Unfallklinik mindestens fünf Zusatzarme und Hände annähen lassen.

      „Guten Morgen, Herr Koenig! Ihr Besuch, Herr Braun, ist bereits da und wartet in der Bibliothek.“

      „War der Termin nicht für später ausgemacht? Erst in einer Stunde?“, fragte ich halblaut, obwohl mich Herr Braun in unserer entfernt liegenden, gemütlichen Bücherstube nicht hören konnte.

      „Ja, er hat sich eben verfrüht, wie er sagte.“

      „Haben Sie ihm einen Kaff …“

      „Kaffee und Tee, aber er wollte nichts, auch kein Wasser!“

      „War er freundlich zu Ihnen?“

      „Geht so.“

      Wenn die supernette, charmante und stets höfliche Frau Wenzel „Geht so“ sagte, bedeutete dies nichts Gutes. Der Mann musste stoffelig aufgetreten sein.

      Ich legte meinen Aktenkoffer bei Frau Wenzel ab; schon wollte ich hinüber zur Bibliothek gehen, als ich innehielt und fragte: „Wissen Sie, wer auf meinem Parkplatz steht?“

      „Na, wer schon?“ Frau Wenzel sah mich Augen rollend an und zeigte Richtung Leseraum.

      „Hat er wenigstens gefragt?“

      „Für solche Art selbstherrlicher Männer ist es selbstverständlich, dass sie überall parken dürfen.“

      Ich ging hinüber zu unserem Gast. Auf alle Fälle galt es jetzt, gute Stimmung zu machen und freundlich zu sein, egal was komme. Trotz der angestrebten und auch vom Landesarbeitsamt versprochenen Verbesserung des Klimas, war es wieder eskaliert. Nach der Ausräumung der Dienstaufsichtsbeschwerde beim LAA hatte sich Frau Söhnlein für eine kurze Zeit verbindlich gezeigt und absprachegemäß gehandelt. So war uns endlich ein ord­nungsgemäßes Arbeiten in Sachen Beantragungen, Buchhaltung und Teilnehmeranfragen möglich. Sie überwies die Kurskosten zügig und vertragsgerecht. Sie ließ uns nicht mehr wochenlang auf eine Antwort warten, wenn wir eine dringliche Anfrage hatten. Zwischenzeitlich aber hatte sie sich wieder unmögliche Dinge erlaubt. Wir hatten gehofft, dass die Schikanen ein endgültiges Ende hätten, aber seit Neuestem

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