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die nächste Frage.

      »Tríl«, antwortete er wahrheitsgemäß.

      »Tatsächlich?«, grunzte Héranon, den Pfeifenstiel zwischen die Zähne geklemmt. »Ich wüsste ja zu gern …« Er unterbrach sich und paffte eine Weile grübelnd und schweigend.

      »Was?«

      Der Waldhüter machte eine wegwerfende Handbewegung.

      »Weißt du schon, was du mal werden willst?«

      Léun schüttelte den Kopf.

      »Irgendwas mit Holz würde mir gefallen. Zimmermann zum Beispiel.« Er überlegte. Arrec würde wohl oder übel Reishändler werden wie sein Vater, Stán schwärmte von der Fischerei.

      »Ich könnte einen Lehrling gebrauchen«, meinte Héranon. »Wenn du dir zutraust, Holz zu schlagen und die wilde Sau zu erlegen, neue Waldpfade anzulegen und alte freizuhalten, Nächte durchzuwachen, viel allein zu sein und noch mehr dummes Gerede über dich ergehen zu lassen – dann ist der Posten des Waldhüters vielleicht etwas für dich. Du bist dein eigener Herr, musst aber umso härter schuften, willst du von deiner Arbeit leben.«

      Ratlos zuckte Léun die Achseln.

      »Überleg’s dir. Ist nur ein Angebot.« Héranon klopfte seine Pfeife aus. »So, Schluss für heute. Fast Mitternacht! Dein Schlafplatz ist oben, oder willst du bei dem Sturm noch nach Hause laufen?«

      Auf der Galerie hatte Héranon Decken und Strohsäcke als notdürftiges Nachtlager hergerichtet. Während Léun es sich darauf bequem machte, wurde ihm bewusst, dass er sein Zeitgefühl völlig verloren hatte. Vermutlich war es schon später Abend gewesen, als er an der Quelle wieder zu sich gekommen war – und er hatte geglaubt, es wäre kurz nach Mittag. Bestimmt war er stundenlang bewusstlos gewesen.

      Draußen heulte nach wie vor der Sturm ums Haus. Die Wandbalken ächzten, und durch die Fugen im Dach klangen manche Windstöße wie der unstete, zischelnde Atem eines Sterbenden. Léun fröstelte und zog sich die Decke bis unter das Kinn. Seine geschundene Haut brannte. Er war kein bisschen müde. Doch nicht nur der trommelnde Regen, gelegentliche Donnerschläge und der heulende Wind hielten ihn wach; auch die Vorstellung, von dem Ungeheuer mit den Reißzähnen verfolgt zu werden, sobald er nur die Augen schloss, raubte ihm den Schlaf. Nicht zu vergessen der Alptraum mit dem sprechenden Löwen auf dem Felsen.

      Wenn es ein Traum gewesen war.

      Zumindest hatte er die Attacke des Untiers heil überstanden. Das bewies doch, dass das alles nicht wirklich passiert war! Andererseits hatte es sich ziemlich danach angefühlt. Wenn man sich an einen Traum erinnerte, wusste man im Nachhinein immer, dass es ein Traum gewesen war, fand Léun. Doch wenn er sich jetzt den Moment in Erinnerung rief, als der Löwe ihn angefallen hatte, dann kam ihm dieser Moment genauso wirklich vor wie das Gebell von Grantis Hunden oder der einladende Bratenduft, den er in der Nähe von Waldhag gerochen hatte.

      Die Löwenquelle ist ein magischer Ort, kamen ihm die Worte des Waldhüters wieder in den Sinn.

      Quatsch, widersprach er in Gedanken. Du hast wohl ein paarmal zu oft die wilde Sau gejagt und zu viele Nächte durchgewacht.

      Léun unterdrückte ein glucksendes Lachen und überlegte sich, wie es wohl wäre, Holz zu schlagen. Und alte Pfade freizuhalten, mit einer Art Dschungelmesser oder so.

      Du musst umso härter schuften, willst du von deiner Arbeit leben, gab der Héranon in seinem Kopf zu bedenken.

      Härter als Arrec bestimmt nicht, wiegelte er ab. Außerdem, das kriege ich hin.

      Kriegst du nicht, sagte Arrec.

      Wart’s ab, sagte Léun. Was du kannst, kann ich schon lange.

      Ja, schon. Arrec grinste schelmisch. Aber nicht so gut wie ich.

      Léun schnaubte empört und legte den Kopf in den Nacken. Der Himmel war strahlend blau, die Sonne schien warm auf das Seeufer herab, und ein paar hoch oben dahingleitende Mauersegler stießen ihre sirrenden Rufe aus.

      Was ist denn das Komisches?, rief er alarmiert.

      Arrec hob verwundert den Kopf, um seinem Blick zu folgen. Blitzschnell stieß Léun ihm mit dem Handrücken freundschaftlich gegen die Nase.

      Au … Idiot!, rief Arrec und musste doch lachen.

      Sprichst von dir, was?, neckte er ihn.

      Arrec schaute ihn skeptisch an.

      Ashúra, sagte er dann.

      Was?

      Ashúra, wiederholte Arrec.

      Léun schüttelte den Kopf.

      Ich versteh kein Wort.

      Ashúra è Káor khi malchû rábæ Ríyuu è láksonû don Yleriánt, sagte Arrec in überzeugtem Tonfall. Er heftete den Blick auf seinen Freund.

      Auf einmal verzerrte sich seine Miene in purem Grauen.

      Léun schreckte hoch – und ließ sich aufatmend wieder auf sein Lager zurücksinken. Es war noch stockdunkel, Donner grollte über Héranons Hütte hinweg.

      Múfu, dem Gott der Nacht und des Schlafs, sei Dank! Der Alptraum hatte ihn verschont. Kein hungriges Raubtier hatte ihn durch die grenzenlose Ödnis gehetzt. Keine starrenden Pupillenschlitze und keine spitzen Reißzähne hatten ihn zur Beute auserkoren. Stattdessen hatte er ganz gewöhnlichen Blödsinn geträumt! Schade allerdings, dass er schon jetzt nicht mehr wusste, was für ein Kauderwelsch Arrec da von sich gegeben hatte. Sonst hätte er ihn am nächsten Tag damit aufziehen können.

      Beim Gedanken an den entsetzten Gesichtsausdruck seines Freundes gruselte es ihn dagegen. Arrec hatte zutiefst erschrocken, ja bis ins Mark erschüttert ausgesehen. Fast als hätte Léun sich vor seinen Augen in ein hässliches Untier verwandelt.

      Was sollte dieser Traum?

      Er streckte sich und stellte fest, dass er hellwach war. Es musste sehr früh am Morgen sein. Er würde wohl kaum wieder einschlafen, bis die Sonne aufging. Eine Weile blieb er liegen und lauschte.

      Im Haus war alles still. Von draußen drang neben mal fernerem, mal näherem Donner nur das gleichmäßige Rauschen der Bäume an seine Ohren. Der Sturm hatte also endlich nachgelassen. Ob Héranon schon im Wald unterwegs war? Vor dem Schlafengehen hatte er angedeutet, dass er am Morgen sehr früh arbeiten müsse. Rechtzeitig zum Frühstück wollte er wieder da sein.

      Léun stand auf, schlüpfte in die geborgten Kleider und trat an den Rand der Galerie. Es war in der Dunkelheit schwer zu erkennen, aber wenn er recht sah, war Héranons Bett leer. Also hatte der Waldhüter das Haus bereits verlassen.

      Hoffentlich war er ihm nicht böse, wenn er einfach verschwand. Doch die Sorgen seines Großvaters konnten nur schwerer wiegen. Besser, er war zum Frühstück zu Hause in Grünhag und erklärte ihm alles. Bei Héranon konnte er sich irgendwann später noch entschuldigen.

      Als er zur Stiege schlich, knarrten die Holzbohlen der Galerie unter seinen Füßen. Langsam kletterte Léun hinunter. Auf dem Weg durch den unteren Raum blieb er mit dem zu weiten Saum seines Hemds an einem der Stühle hängen. Geistesgegenwärtig griff er nach der kippenden Lehne und kniff in Erwartung eines riesigen Getöses die Augen zusammen …

      Er hatte Glück. Der Stuhl gab nur ein schwaches Ächzen von sich. Leise stellte er ihn wieder hin und tat vorsichtig die letzten Schritte bis zum Ausgang. Er schob den Riegel zurück, der sich geräuschlos öffnen ließ, stieß die Tür auf und trat ins Freie.

      Die Luft war kühl und feucht und roch nach dem heraufziehenden Morgen. Léun genoss es, tief durchzuatmen, während er den Waldpfad nach Grüntal hinunterschlenderte. Mit ausgebreiteten Armen streifte er die nassen Zweige am Wegesrand, lauschte auf die Regentropfen, die jede Windböe von den Wipfeln der Bäume schüttelte, und auf die Laute von Tieren, die sich im Unterholz verkrochen hatten.

      Jede

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