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der gerade ausgestiegen war. Ein Fickswami. So nannte sie für sich die Männer, bei denen die spirituelle Suche eindeutig der freien Liebe untergeordnet schien.

      „Also, ich bin der Sajeev.“

      Interessiert mich nicht die Bohne, wer du bist, solange du mich so angaffst, dachte Sharani und lehnte sich wieder zurück. „Du, sorry“, sagte sie, „ich bin wahnsinnig müde.“

      „Hey, relax doch mal“, sagte der Vollbart namens Sajeev. „Du bist ja total verspannt.“

      „Am besten kann ich relaxen, wenn du mich bis Frankfurt schlafen lässt“, murmelte Sharani. „Aber weck mich dann, wenn wir da sind, okay?“

      Sajeev zog beleidigt die Nase hoch, aber er ließ sie in Ruhe. Aus seinem Mammutrucksack zog er ein Büchlein von Bhagwan. Na immerhin, er interessiert sich anscheinend doch auch für das, was Bhagwan zu sagen hat, dachte Sharani noch, dann schloss sie die Augen. In zwei Tagen würde sie wieder in Poona sein. Und ja, der Vollbart hatte Recht, es war ihr Zuhause. Der Ashram in Poona war mehr ihr Zuhause als irgendein anderer Ort auf Erden.

      Sie erinnerte sich, wie sie das erste Mal vor dem großen Tor stand, im bunten Hippiekleid, doch schon voller Sehnsucht, dazuzugehören zu der rot gewandeten Schar. Mehr noch – es war schon eine Gewissheit, dazuzugehören, vom ersten Moment an, schon als sie das erste Mal in Poona aus dem Zug stieg und sich nach endloser Fahrt die eingeklemmten Glieder geradezurichten versuchte, schon da spürte sie etwas. Wie ein großes Willkommen, wie eine Liebe, wie ein Zuhause. Ein paar Sannyasins, die sie in Bombay kennen gelernt hatte, nahmen sie einfach mit, führten sie hinunter zum Koregaon Park. Und je näher sie dem Ort kam, an dem der seltsame Guru lebte und lehrte, desto ruhiger und gleichzeitig aufgeregter wurde sie. Ja, beides. Aufgeregt, weil etwas in ihr sagte: Du bist da, du bist angekommen, und sie konnte es kaum erwarten, endlich Ihn zu sehen, Bhagwan Shree Rajneesh. Und ruhig, weil sie wusste: Hier ist es, ich habe gefunden, wonach ich lange gesucht habe.

      Es war ganz anders als dort, wo sie gerade herkam. Zuerst die lange, abenteuerliche Fahrt mit Utz, Harald und Bine im VW-Bus. Schon diese Fahrt war eine riesige Enttäuschung. Sie hatte sich eine spirituelle Suche vorgestellt. Dachte, sie würden in den islamischen Ländern, durch die sie kamen – die Türkei, dann Iran, Afghanistan, Pakistan – vielleicht irgendwelche Sufi-Meister aufspüren, wenigstens tanzende Derwische sehen oder in einer persischen Mysterienschule Halt machen. Aber Utz, der das Sagen hatte, interessierte sich auf einmal gar nicht mehr so sehr für das mystische Zeugs, sondern war im Grunde immer nur auf der Suche nach gutem Hasch. In Afghanistan wurde er fündig, fläzte erst einmal drei Tage dauer-stoned in der Hängematte, dann verstaute er den Vorrat des dunkelbraun-krümeligen, würzig duftenden Stoffs in einem gut getarnten Rohr, das er vorsorglich irgendwo in den Wassertank geschweißt hatte. Nach sechs anstrengenden Wochen überquerten sie die pakistanisch-indische Grenze, und selbst den fiesen indischen Zöllnern blieb das Geheimfach verborgen. Sie nahmen den halben Bus auseinander, aber das Rohr im Wassertank fanden sie nicht. Dann steuerten sie den VW-Bus zwischen Kühen, Rikschas, Fahrrädern und altersschwachen Lkws über unmögliche Straßen durch Rajasthan und den halben indischen Subkontinent. Kamen schließlich in Rishikesh an, dem spirituellen Zentrum im Tal des Ganges am Fuß des Himalaya, wo schon die Beatles meditiert hatten. Endlich kam nun doch das spirituelle Thema auf die Tagesordnung. Utz und Harald wollten unbedingt zu Maharishi Mahesh Yogi, denn sie hatten in Deutschland schon einen Workshop in Transzendentaler Meditation besucht und wollten den Gründer unbedingt persönlich sehen. Endlich, dachte Jeannie, endlich. Sie war wirklich wild entschlossen, bei einem Guru in die Lehre zu gehen, ob Maharishi oder wer sonst.

      Sie stellten den Bus in der Nähe der Ram Jhula ab, der unteren der beiden Hängebrücken über den Ganges, und begannen die Suche nach Maharishis Ashram. Ein paar Hippies, die sie nach dem Weg fragten, hatten keinen blassen Schimmer, der nächste meinte nur: „Maharishi? Der ist zurzeit gar nicht hier, der ist in Europa oder USA.“ Das ist ja wohl nicht wahr, war alles, was Jeannie dazu einfiel. Sie beschloss, es einfach nicht zu glauben. Es gab so viele Gerüchte unter den Rucksacktouristen!

      Schließlich fanden sie einen jungen Inder, der bei den Stichworten Maharishi und Ashram heftig mit dem Kopf wackelte. Jeannie hatte inzwischen gelernt, dass es sich dabei wohl um ein Ja handelte, und schon setzte sich der Junge in Bewegung. „Follow me“, sagte er und winkte sie hinter sich her. Über die Brücke, durch breite, ungepflasterte, baumgesäumte Straßen ging es, dann standen sie vor einem Tor. „Das ist der Ashram von Maharishi“, erklärte der Junge in seinem melodiösen indischen Singsang. Utz drückte ihm ein paar Rupien in die Hand, dann wandte er sich an den Wachmann in dem Torhäuschen. Der wackelte ebenfalls mit dem Kopf, aber auf eine Weise, die Nein bedeutete. „Maharishi ist nicht da. Er ist gerade in Europa unterwegs.“

      „Scheiße.“ Mehr fiel Utz erst mal nicht ein. Wie begossene Pudel standen sie vor dem Ashramtor herum. Da fahren wir um die halbe Welt und dann erfahren wir, dass wir nur hätten zu Hause bleiben müssen. Das war ja ein Witz, aber ein schlechter.

      „Frag ihn doch mal, wann er wiederkommt“, drängte sie Utz.

      „Hat er schon gesagt. In sechs Wochen oder so.“

      Jeannie konnte es immer noch nicht so recht glauben. Sie sah sich um, sah an dem Wachhäuschen ein schwarzes Brett mit einigen Zetteln daran. Da stand es auch noch mal schwarz auf weiß: Der Maharishi war ausgeflogen.

      „Na gut.“ Es musste doch einen Weg geben. „Wir sind in Rishikesh, und ganz in der Nähe ist Haridwar, da gibt es doch jede Menge Gurus und heilige Männer. Wir werden schon einen finden, mit dem wir meditieren können“, schlug Jeannie vor.

      Doch Utz winkte ab und Harald schüttelte den Kopf. „Nee, wenn schon, denn schon. Ich will zum Maharishi. Deswegen sind wir doch so weit gefahren.“

      „Aber er kommt doch erst in sechs Wochen zurück. Was sollen wir denn so lange machen?“

      „Da wird sich schon was finden“, meinte Utz achselzuckend. Enttäuscht kehrten sie zum Bus zurück. Die anderen hielten sich nicht lange mit ihrer Enttäuschung auf. Stattdessen widmeten sie sich dem Pot, das sie aus Afghanistan mitgebracht hatten.

      „Können wir nicht einen anderen Guru suchen?“, fragte Jeannie eins ums andere Mal, aber Utz und Harald wollten nichts davon wissen und Bine war sowieso alles egal. Jeannie war zuerst sauer, dann verzweifelt. Welchen Sinn hatte es, einmal quer durch den Orient zu fahren, um dann, am Ziel der Reise, im Haschischnebel zu versinken? Waren sie nicht aufgebrochen, um spirituelle Erfahrungen zu machen? „Reg dich ab“, nuschelte Utz träge, total stoned. „Du willst dein Bewusstsein erweitern? Das kannst du doch genauso einfach damit!“ Und er hielt ihr den fetten Joint hin, den er gerade gedreht hatte. Sie schlug ihn ihm aus der Hand. „Dein scheiß Shit kannst du behalten, verdammt, ich will zu einem Guru!“

      „Dann geh doch“, grinste Utz breit und hob in aller Seelenruhe den Joint wieder auf, blies den Sand weg und fingerte nach seinem Feuerzeug. „Es hält dich keiner auf.“

      Aber wie sollte sie einfach zu irgendeinem Guru gehen? Sie wusste ja nicht einmal genau, wie man sich so einem heiligen Mann zu nähern hatte. Und schon gar nicht, wo man einen Guru finden konnte, der Europäer als Schüler annahm. Utz und Harald wussten es wahrscheinlich genauso wenig, aber immerhin waren sie ein paar Jahre älter und hatten mehr Erfahrung. Von Bine hatte sie nichts zu erwarten, das war klar. Die würde nur zum Guru gehen, wenn Harald ging. Sie war überhaupt nur Haralds Schatten. Wenn er meditieren wollte, würde sie meditieren, wenn er vögeln wollte, war sie geil, wenn er ihr anschaffte zu kochen, kochte sie. Jeannie war stocksauer, aber die anderen interessierte das gar nicht.

      Okay, dachte sie, du bist Jeannie, dir kann keiner was. Mach dich auf den Weg und hock hier nicht untätig rum. Sie packte ihre Umhängetasche und stieg hinunter zur Straße, schlug den Weg zum Ganges ein. In den islamischen Ländern, durch die sie gekommen waren, wäre es undenkbar gewesen, als Frau allein unterwegs zu sein; hier in Indien hatte sie keine Angst, speziell an einem Ort, an dem so viele Sadhus und Yogis unterwegs waren und auch jede Menge Hippies und Gottsucher aus dem Westen. In einer Dhaba an der Ram Jhula bestellte sie einen Chai, setzte sich auf die wacklige Holzbank,

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