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er ist nicht mehr er selbst, kein Raum, keine Zeit mehr, nur sie, sie und er, nichts mehr zwischen ihnen als ihre Haut, ein Schluchzen, ein Schrei, ein Fließen, ein Strömen, ein Fallen, Fallen, Fallen.

      Ein Ankommen.

      Sie liegen, ihre Körper ineinander verschränkt, die Herzen im rasenden Gleichklang, der Atem kehrt zurück, allmählich, das Zimmer erscheint wieder, taucht auf aus dem All.

      „Jeannie“, flüstert er, als er wieder Luft bekommt. „Ach, Jeannie!“

      Sie schüttelt den Kopf, zieht ihn eng, noch enger an sich. Macht „Schschsch!“

      Diese Nähe. Dieses Einssein, in dem jetzt ganz schemenhaft wieder zwei Individuen Gestalt annehmen, allmählich, Halligen, die auftauchen aus dem brodelnden, tosenden Meer, wenn die Sturmflut sich zurückzieht.

      Sie, er, immer noch ineinander, beieinander.

      „Jeannie“, wiederholt er. „Ach, Jeannie.“

      Da rückt sie ein bisschen von ihm ab. Sucht seinen Blick, jetzt wieder klar, nicht mehr gebrochen das Auge.

      Sie tippt ihm mit dem Finger auf die Nasenspitze und antwortet, ebenfalls flüsternd: „Sag nicht immer Jeannie zu mir… Hannes. Ich heiße Sharani, ich meine, in echt. Sharani. Jeannie gibt’s nicht mehr.“

      Jeannie gibt’s nicht mehr! So ein Quatsch. Hier liegt sie, bei ihm, in seinen Armen, warm und lebendig. Aber wenn sie darauf besteht… „Okay“, seufzt er, „Sharani.“ Sie nickt, zeichnet mit dem Finger seine Augenbrauen nach. „Hannes“, murmelt sie dabei. „Ja, du bist nicht mehr Johnny. Das hier ist etwas Neues.“

      Aber er will nicht reden. Nicht mit Worten. Er will nur spüren, nur sein mit ihr, noch sind sie nicht gesättigt, noch lange, lange nicht. Ihre Augen, wie sie sich wieder schließen, die Lippen, die den nächsten Seufzer durchlassen, ihre Bewegungen, auf ihn zu, wieder der Tanz. Ihre Haut, die wieder anfängt zu glühen, ihr Schoß, der schon wieder bereit ist, immer noch, und wieder kommt sie ihm entgegen, öffnet sich ihm, saugt ihn auf, es gibt kein Halten. Aus aufgerissenen Augen sieht sie ihm ins Gesicht, wimmert wie ein Kind. Hält seinen Blick fest, bis alles explodiert. Kometen schießen durchs All, Protuberanzen. Er bricht über ihr zusammen, hört sich selbst genauso wimmern wie sie zuvor, ja.

      ***

      Sie ist nicht seine erste Frau, und es ist nicht das erste Mal, dass sie miteinander schlafen. Aber es ist, als habe er noch nie eine solche gewaltige, schmerzhafte Lust empfunden, alle seine Sicherungen sind durchgebrannt.

      ***

      „Mann, bist du schwer“, sagt sie schließlich. Sie spricht in normaler Lautstärke. Jetzt erst wird ihm bewusst, dass er mit seinem ganzen Gewicht auf ihr liegt. Er rollt sich zur Seite, hält sie immer noch umfangen, rutscht aus ihr heraus. Fährt ihr mit der Hand durch das lange, verwuschelte Haar. Sie stemmt sich auf die Ellenbogen, sieht ihn an. Legt ihre Hand auf seine Wange, küsst seine Augen. „Hannes“, sagt sie dann und schüttelt den Kopf, als könne sie nicht glauben, was da gerade mit ihnen geschieht. Dann lässt sie sich wieder an seine Seite gleiten, und sie halten einander fest, wortlos, eine Ewigkeit. Dann kommen die Gedanken wieder, doch er versucht sie zu verscheuchen. Egal, alles egal. Was zählt, ist allein das, was sie im Moment miteinander erleben. Surrender to existence. Hingabe an das, was ist. Sharani.

      ***

      „Kannst du mir mal ein Glas Wasser holen?“, fragte sie schließlich. Er hätte noch Jahrhunderte einfach neben ihr liegen können, einfach bei ihr, endlich. Doch er stand auf, tapste in die Küche, nahm eine Flasche Mineralwasser aus dem Kasten in der Kammer, goss ein Glas ein, kam zurück ins Zimmer. Sharani hatte sich auf den Bettrand gesetzt. Sie sah ihm nicht entgegen, ihr Blick war auf das Foto in ihrer Hand gerichtet, ein Foto in einem etwas kitschigen silbernen Rahmen, das sie aus dem Regal genommen hatte. Er setzte sich neben sie aufs Bett, das Glas in der Hand. „Und wer ist das?“, fragte sie mit einer Stimme, die er nicht einordnen konnte.

      Er musste sich räuspern. Wie in einem schlechten Film. „Das ist Gabi.“

      Endlich wandte sie sich ihm zu. „Die, mit der du immer noch nicht verheiratet bist?“

      Stumm nickte er. Er konnte das Bild nicht anschauen.

      „Und wann ist es so weit?“ Er konnte Sharanis Stimme immer noch nicht einordnen.

      „Am einundzwanzigsten Juni.“ Er flüsterte wieder. Diesmal eindeutig deshalb, weil seine Stimmbänder streikten. „In sechs Wochen.“ Er konnte es selbst kaum glauben, was da aus seinem Mund kam.

      „Und wieso ist sie nicht hier, deine… Verlobte? Wohnt ihr nicht zusammen?“

      Er schüttelte den Kopf. Wollte am liebsten weglaufen. Was tat er da! Schlief sechs Wochen vor seiner Hochzeit mit einer anderen, als ob gar nichts dabei wäre. Auch wenn es seine große, wahre und einzige Jugendliebe war.

      „Gabi ist da eher konservativ. Sie wohnt noch bei ihren Eltern. Wir ziehen zusammen, wenn wir verhei…“ Jetzt stellten die Stimmbänder tatsächlich ihren Betrieb ein.

      Von Sharani an seiner Seite kam ein Geräusch, das er anfangs nicht deuten konnte. Ein Prusten, dann ein Glucksen. Sie lachte. Tatsächlich, Sharani lachte. Sie lachte lauthals, ungehemmt, ließ sich rücklings aufs Bett fallen, den Silberrahmen immer noch in der Hand, lachte wie ein Kind, verschluckte sich beinahe.

      „Der Johnny“, japste sie. Und als sie wieder Luft bekam, wiederholte sie: „Der Johnny. Betrügt seine Alte ein paar Wochen vor der Hochzeit und bumst eine dahergelaufene Sannyasin.“

      Er wusste nicht, wie er ihren Heiterkeitsausbruch deuten sollte. Ihm jedenfalls war nicht zum Lachen zumute. „Du bist keine dahergelaufene Sannyasin.“ Sieh da, die Stimmbänder taten es wieder. „Du bist Jeannie, meine erste große Liebe, und das weißt du auch.“

      Schlagartig war sie ernst. „Nein. Ich bin nicht Jeannie. Schlag dir das endlich aus dem Kopf. Ich bin nicht das Gespenst aus der Vergangenheit. Ich bin Sharani. Ich bin eine, die im Hier und Jetzt lebt. Eine, die das tut, wonach ihr gerade ist. Ich bin eine Jüngerin des verrückten Sex-Gurus aus Indien, und ich werde dich heute Nacht noch um den Verstand bumsen. Gabi hin, Gabi her.“ Dann packte sie ihn am Ellbogen, zog ihn zu sich. Auf einmal veränderte sich ihre Stimme. „Lose your mind and come to your senses!“, wisperte sie. Griff nach seiner Hand und führte sie zu ihrer Scham. Und obwohl er noch eine Sekunde vorher vor schlechtem Gewissen kaum mehr atmen konnte, ließ er sich fallen. Gab sich hin an die Existenz, an das Hier und Jetzt. So gut es eben ging. Sharani.

      Er hatte keine Ahnung gehabt, wie viel sexuelle Energie in ihm steckte. Oder war er nur so ausgehungert? Sharani holte alles aus ihm heraus, sie wollte ihn anscheinend wirklich um den Verstand bringen. Und doch, sie bumsten nicht einfach. Sie liebten sich wild und voller Verzweiflung. Irgendwann, der Wecker zeigte auf Viertel nach vier, hatte sie anscheinend doch genug. Sie küsste ihn noch einmal, rollte sich zur Seite. Sekunden später zuckte sie einmal heftig, dann entspannte sie sich, ihr Atem ging regelmäßig.

      Für ihn war an Schlafen nicht zu denken. Alle siebentausend Höllenhunde fielen über ihn her. Wie sollte er Gabi jemals wieder unter die Augen treten! Wie hatte er überhaupt auf die Idee kommen können, er sei über Jeannie hinweg! Wie hatte er sich einbilden können, Gabi zu lieben! Bei der Vorstellung, sie in wenigen Wochen zu heiraten, wurde ihm ganz übel. Aber die Vorstellung, Gabi in die Wüste zu schicken und die Hochzeit einfach abzublasen, erschien ihm kein bisschen attraktiver. Am einfachsten wäre es, wenn Gabi gegen einen Baum fährt. Er erschrak. Bin ich jetzt schon so weit, dass ich meiner Verlobten den Tod wünsche? Er wälzte sich auf die andere Seite, lauschte auf die leisen, gleichmäßigen Atemzüge der Frau neben ihm. Der Frau, die gerade dabei war, alles durcheinanderzuschmeißen, was er sich aufgebaut hatte. Jeannie. Für ihn blieb sie Jeannie, da konnte sie sich auf den Kopf stellen. Er verfluchte den Tag, an dem er sie zum ersten Mal gesehen, sich stante pede in sie verliebt hatte. Wie kam er dazu, Gabi zu betrügen – Gabi, von er geglaubt hatte, dass er sie liebte, bis

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