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ihre Wade. Doch im Fuß hatte sie immer noch kein Gefühl. Endlich schaffte sie es, wenigstens auf die Knie zu kommen, doch als sie versuchte, sich aufzurichten, knickte ihr rechtes Bein einfach weg. Beinahe wäre sie auf die Gestalt neben ihr gefallen, die unbeweglich, in eine Decke gehüllt, da saß. Irgendjemand schnalzte ärgerlich mit der Zunge.

       Wahrscheinlich die blöde Kuh, die mir den Platz weggenommen hat.

      Die Eisnadeln waren inzwischen im Fuß angekommen. Wenigstens spürte sie wieder etwas. Behutsam setzte sie den Fuß auf den Boden. Er trug. Behutsam suchte sie sich ihren Weg durch die unbeweglich sitzenden Gestalten. Erreichte die Stufen, die hinab führten zur Straße.

      Wohin jetzt? Am besten zu der Dhaba, wo Rob sie aufgelesen hatte. Sie musste ihm seinen Schal zurückgeben, und dort würde er sie wohl am ehesten suchen. Mittlerweile war die Sonne aufgegangen und die ersten Strahlen begannen ihr wohltuend den Rücken zu liebkosen. Die Dhaba hatte schon auf. Sie bestellte wieder einen Chai, mit extra Zucker. Dann ging ihr auf, dass sie Hunger hatte, und bestellte ein Omelett. Über die Theke hinweg sah sie dem Koch zu, wie er erst eine riesige Zwiebel, dann zwei handspannenlange grüne Peperoni klein schnitt und mit der Zwiebel in die Pfanne gab, dazu dann drei verquirlte Eier. Jeannie schwante nichts Gutes. Der Chai wärmte sie allmählich von innen, die Sonne taute Finger und Nasenspitze langsam auf. Dann kam das Omelett. Misstrauisch stach sie mit der Gabel hinein, probierte. Die höllische Schärfe trieb ihr Tränen in die Augen. Sie hatten schon einige Male an Straßenständen Dhal oder ein Curry gegessen, aber so scharf hatte sie es noch nie erlebt. Egal. Du bist in Indien, es wird gegessen, was auf den Tisch kommt! Mit Todesverachtung schob sie sich eine Gabel nach der anderen hinein, spülte die verätzten Geschmacksknospen mit Chai nach, bestellte anschließend noch eine Chapati, um die geschundenen Mundschleimhäute etwas zu beruhigen.

      Erstaunlich, wie rasch die Sonne jetzt ihre Glieder wärmte. Es war, als rieselten die Strahlen durch ihre Adern, die Wärme kroch allmählich bis in die Fingerspitzen, ihre Wangen fühlten sich fast schon heiß an. Sie beglich ihre Zeche und setzte sich vor der Dhaba auf einen großen Stein, lehnte den Rücken an einen Baumstamm. Müdigkeit kroch ihr bleischwer in die Glieder, die Augen fielen ihr zu. Satt und endlich warm, ihr fehlte nichts.

       Sie kämpft sich durch den Schneesturm. Ringsum nichts als Weiß, ein Schleier von rasenden, peitschenden Schneemassen, Eiseskälte, die die Knochen gefrieren lässt. Die anderen Teilnehmer der Expedition sind verschwunden, mutterseelenallein strebt sie dem Südpol zu. Sie weiß: Dort, am Südpol, wartet die Rettung. Aber sie wird es nicht schaffen, unmöglich. Der Neuschnee wird immer tiefer, bis zur Hüfte sinkt sie ein. This is the end, my friend… Sie ist verloren, wie Robert Falcon Scott, der den Wettlauf zum Südpol mit dem Leben bezahlt hat. Bald wird sie nicht mehr weiterkommen, sie wird sich hinlegen, sich zuschneien lassen, der Schnee wird ihr ein weiches Leichentuch und ein Grab sein…

      Etwas kitzelt sie an der Nase. Sie versucht das lästige Insekt wegzuscheuchen, da hört sie Robs Stimme: „Heda, Schlafmütze! Aufwachen!“

      Verschreckt blinzelte sie in die Sonne. Vor ihr stand der baumlange Holländer, inzwischen ohne seine Schals, ohne Mütze und Parka, einen langen Grashalm zwischen den Fingern. Jeannie freute sich ehrlich, ihn zu sehen.

      Gemeinsam saßen sie in der Sonne und schlürften ihren Chai. „War hart heute Morgen, was?“, meinte Rob grinsend. Sie nickte. „Ich war viel zu dünn angezogen, ich habe nicht damit gerechnet, dass es so kalt ist.“ Dann erzählte sie von der blöden Kuh, die sie von ihrem Platz vertrieben hatte. „Und ich dachte, dass die Leute durchs Meditieren rücksichtsvoll und unegoistisch werden.“

      Rob schnaubte. „Das ist die Theorie“, sagte er und lachte leise. „Aber bis du dahin kommst, hast du einen weiten Weg vor dir.“ Er sah sie von der Seite her an. „Du hast der Frau gegenüber wahrscheinlich auch keine besonders liebevollen Gedanken, was?“ Sie zuckte die Schultern. Darüber hatte sie noch gar nicht nachgedacht. Aber klar, Rob hatte Recht. Sie war kein bisschen besser als die andere. „Wer weiß“, fuhr Rob fort, „was bei ihr dahinter steckt. Was sie mit diesem egozentrischen Beharren auf ihrem Stammplatz kompensiert oder innerlich auszugleichen versucht…“

      Sie zog den Kopf zwischen die Schultern. „Wahrscheinlich hast du Recht“, murmelte sie kleinlaut. „Ich bin auch nicht besser als die.“

      Rob legte ihr den Arm um die Schulter. Es fühlte sich gut an. „Nimm’s nicht so schwer“, tröstete er sie. „Wir sind alle auf dem Weg. Du hast gerade gemerkt, was Jesus gemeint hat: Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem eigenen Auge siehst du nicht?“

      Ruckartig löste sie sich aus Robs Umarmung. „Bist du Christ oder was?“ Das hatte ihr jetzt noch gefehlt, so ein bigotter Kirchentyp… Andererseits, so sah er nun wirklich nicht aus.

      Rob lachte laut. „Ach wo, ich bin ein Suchender, genau wie du. Aber du wirst lachen: Bei manchen Gurus hier steht Jesus hoch im Kurs. Sie betrachten ihn als ihresgleichen und zitieren ihn genauso, wie sie die Veden zitieren oder ihren Patanjali oder die Upanischaden.“

      Trotzdem, Jeannie hatte absolut keine Lust, über Jesus zu reden. Nicht hier in Indien. Nein, überhaupt nicht. Von Kirche und Christen hatte sie die Nase voll, aber komplett.

      Sie wechselte das Thema. „Wo wohnst du eigentlich?“ Rob hatte ein kleines Zimmer gemietet, auf der anderen Seite des Ganges, nicht weit entfernt, und sie musste ihn nicht lange bitten, es ihr zu zeigen. Sein Bett war schmal und hart, aber das störte nicht. Dass es so schnell gehen würde, hatte sie selbst nicht gedacht, aber nun war es so. Schweißnass und noch etwas keuchend lag er neben ihr, die Hand auf ihrer Brust. „Irgendwie mag ich dich, kleine deutsche Jeannie.“ Und sie dachte für einen Moment, dass ihr diese irdische Form von Lust und Liebe vielleicht doch mehr lag als die spirituellen Freuden. Aber dann sagte sie sich: Du hast es ja noch kaum probiert. Dass Bumsen okay ist, weißt du schon. Jetzt kommt es drauf an, das Meditieren wirklich zu probieren.

      Sie setzte sich auf der Pritsche auf. „Wie macht man das“, fragte sie Rob, „dass man beim Meditieren nichts denkt?“

      Rob hatte sichtlich keine Lust, ausgerechnet jetzt über dieses Thema zu reden. Seufzend fragte er: „Du hast noch gar keine Erfahrung, oder?“

      „Fast keine. Mein Freund hat mir ein bisschen was erzählt und wir haben es ein paarmal gemeinsam probiert, daheim in Deutschland. Aber wie man es wirklich macht, weiß ich nicht. Deshalb bin ich ja hier.“

      Rob stutzte: „Du hast einen Freund?“

      „Na klar. Denkst du, ich reise allein durch Indien?“

      „Du wärst nicht die Einzige.“ Rob schwieg eine Weile. Dann fragte er, und seine Stimme klang auf einmal ganz dünn und rau: „Das heißt, du bist mit deinem Freund unterwegs?“

      Sie nickte.

      „Er ist… hier? In Rishikesh?“

      Sie nickte wieder. „Ja. Und?“

      Rob holte tief Luft. „Gut, dass du es sagst. Ich hätte mich um ein Haar in dich verliebt.“

      Sie schüttelte den Kopf. „Ach, hör auf, Rob. Nur weil wir einmal miteinander geschlafen haben. Das war doch bloß Sex…“

      Rob zuckte die Achseln. Dann gab er sich einen Ruck. „Ich will dich nicht aufhalten…“

      Sie sah ihn an. „Mit anderen Worten: Du schmeißt mich raus?“

      Er sah ihr kurz in die Augen, dann wandte er den Blick ab. „Ich glaube, es ist besser, wenn du gehst.“

      Nun war es an ihr, die Achseln zu zucken. Sie fischte nach ihrem Slip, ihrem Kleid, wortlos zog sie sich an. Was war denn das jetzt wieder! Da hättest du vielleicht mal jemand gehabt, der dich ernst nimmt und dir was zeigen kann, und dann machst du wieder mal alles kaputt. Schöne Scheiße!

      Den Alpaka-Pullover stopfte sie in ihre Hirtentasche. Dann stellte sie sich auf die Zehenspitzen, um Rob einen Kuss zu geben, doch der wandte das Gesicht ab.

      Mimose!, dachte sie. Aber eine

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