Скачать книгу

„Wo kommst du denn her?“, fragte er mürrisch.

      „Von unten“, antwortete sie ausweichend.

      „Wie, von unten! Das sehe ich, dass du von unten kommst. Was hast du da gemacht? Den ganzen Tag warst du weg!“

      „Ist das jetzt ein Verhör oder was?“, fragte sie unwillig. Männer! Meinen immer, sie hätten ein Recht auf dich.

      „Wär ja vielleicht nicht unangebracht, wenn du hinterlassen könntest, wo man dich nötigenfalls finden kann“, sagte Utz gespreizt.

      „Ach, lass mich in Frieden“, entgegnete sie und wollte an Utz vorbei zum Bus. Er trat ihr in den Weg. „Jetzt mal ohne Scheiß. Wo warst du?“

      Sie seufzte. Okay, dann lass ihm seinen Willen. „Bei Maharaji war ich. Das ist ein anderer Guru. Da hab ich meditiert.“ Den Rest ließ sie lieber weg. Aber Utz ließ nicht locker. „Den ganzen Tag, seit früh um vier oder wie?“

      „Hey, was geht’s dich an! Bin ich deine Sklavin oder was?“ Langsam ging er ihr auf die Nerven.

      „Natürlich. Du warst mit einem Typen zusammen. Du riechst nach Sex!“

      Sie verdrehte die Augen. „Mann, dass du immer bloß das eine denken kannst!“ Dann funkelte sie ihn so böse an, wie sie konnte. „Jetzt lass mich in Frieden, ich bin müde.“

      „Hey!“ Utz war anscheinend wirklich sauer. „Ich hab mir echt Sorgen gemacht. Mann, wir sind hier in Indien, nicht daheim in Würzburg. Du kannst hier nicht einfach so allein rumrennen als Frau.“

      „Kann ich nicht?“ Mann, wie blöd kann man sein! „Kann ich doch. Siehst du ja.“

      Utz gab auf und wandte sich ab. „Ach, mach doch, was du willst!“

      „Genau das!“, antwortete sie schnippisch und kletterte in den Bus. Sie war todmüde. Hatte kaum geschlafen in der Nacht und hatte einen anstrengenden Tag hinter sich. Sie stieg hinauf unters aufgestellte Dach und streckte sich auf dem Schaumgummi aus.

      Aber schlafen konnte sie nicht. In ihrem Kopf ging alles durcheinander. Zu Maharji konnte sie nicht mehr gehen, dort würde sie Rob treffen, und das wollte sie nun doch nicht mehr. Das hatte sie versiebt, warum musste sie mit ihm auch gleich in die Kiste! Gleichzeitig spürte sie, dass es ohnehin nicht das Richtige für sie war. Sie brauchte mehr Anleitung. Und sie brauchte eine Umgebung, in der nicht so rumgezickt wurde. Sie brauchte… ja, was?

      Zwei Tage später wusste sie, was sie brauchte. Sie ignorierte Utz einfach und ging wieder allein hinunter an den Fluss. Sah sich um, ließ sich treiben. Irgendetwas in ihr sagte: Lass einfach los! Das, was du suchst, wird dich finden. Einen Moment lang hatte sie ein blödes Gefühl im Magen, weil der Gedanke sie an Rob erinnerte. Schuldgefühl? Nein, woher! Eher ein leichtes Bedauern, dass sie die beginnende Freundschaft an die Wand gefahren hatte. Dass er sich gleich in mich verlieben muss… Überhaupt: Wie konnte er das eigentlich wissen, nach ein paar Stunden? Da konnte doch von Verlieben nicht die Rede sein. Ach, was soll’s! Damit muss er selber fertig werden.

      Sie sah sich um. Diesmal saß sie in einem eher westlich anmutenden Café, trank eine lauwarme Cola. Am Nebentisch saß eine Frau, ein paar Jahre älter als sie, in roten Klamotten, eine Kette aus dicken Holzperlen um den Hals, an der ein Medaillon hing. Ins Haar hatte sie ein rotes Tuch geflochten, in der Hand hielt sie ein Buch. Jeannie schielte um die Ecke, um den Titel lesen zu können. Irgendwas mit Tantra. Das war doch diese indische Sexgeschichte, oder?

      Die Frau bemerkte Jeannies Blick, ließ das Buch sinken, lächelte herüber. „Interested?“, fragte sie mit starkem deutschem Akzent.

      „Du kannst Deutsch reden“, antwortete Jeannie und winkte einladend. Die Frau lachte. „Hab mir schon gedacht, dass du auch aus Deutschland bist“, meinte sie und fragte dann: „Darf ich?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, setzte sie sich zu Jeannie an den Tisch.

      „Kann ich mir mal das Buch ansehen?“

      Die andere gab es ihr. Tantra – die höchste Einsicht, stand da. Und als Autor war Bhagwan Shree Rajneesh angegeben. Richtig, deswegen die rote Kleidung! Und der Typ auf dem Medaillon war derselbe wie auf dem Buchumschlag. Bhagwan!

      „Da geht es wohl nicht um Sex?“, fragte Jeannie.

      Die andere lachte wieder. „Nein, nicht in erster Linie.“ Sie sah Jeannie direkt an. „Aber wenn du wissen willst, was Bhagwan dir geben kann, dann ist es eine gute Einführung.“

      „Du glaubst an diesen Bhagwan?“, fragte Jeannie.

      Die andere schüttelte den Kopf. „Nee, also wirklich! An Bhagwan kann man nicht glauben. Bhagwan ist da, du kannst zu ihm gehen, du kannst seine Sannyasin werden, du kannst seine Lectures anhören und danach leben – oder du kannst es bleiben lassen. Du kannst in Poona leben und Gruppen machen und deine psychischen Macken bearbeiten und du kannst meditieren und dein Ego überwinden – aber an Bhagwan glauben, das kannst du nicht.“

      Das klang spannend. „Wie meinst du das, deine psychischen Macken bearbeiten?“, fragte sie. „Ich hab nämlich vorgestern bei Maharaji auf der Veranda meditiert und da waren eine Menge psychische Macken versammelt, meine und die von anderen.“

      Die Frau lachte schon wieder. Es war ein offenes, freundliches Lachen, keine Spur arrogant oder aufgesetzt. „Maharaji ist schon gut“, sagte sie dann. „Nur für ungeübte Westler ein etwas steiler Einstieg. Bhagwan hat Meditationen entwickelt, die für uns verkopfte Europäer besser geeignet sind.“

      „Echt?“ Allmählich wurde es interessant.

      „Komm doch mal nach Poona“, sagte die Frau. „Das wäre bestimmt gut für dich.“ Dann hob sie ihr Glas. „Übrigens, ich bin Nalini.“

      „Na – wie?“

      „Nalini. Das ist mein Sannyas-Name. Heißt auf Deutsch Lotus, die tausendblättrige heilige Pflanze, die sich durch den Sumpf ans Licht arbeitet.“ Sie lachte wieder ihr sympathisches Lachen.

      „Kriegt ihr einen neuen Namen, wenn ihr – wie heißt das noch mal – Sannyasins werdet?“

      Nalini nickte. „Klar. Hast du das noch nicht gehört?“

      „Ehrlich gesagt“, musste Jeannie zugeben, „ich hab von Bhagwan noch fast nichts gehört. Nur dass viele Leute zu ihm kommen und dann rote Klamotten tragen und dass er so was wie eine Sekte gegründet haben soll.“

      „Ach ja“, sagte Nalini mit einer wegwerfenden Handbewegung. „Das mit der Sekte, das erzählen die Pfaffen, weil sie Angst haben, dass ihnen die Leute davonlaufen.“ Sie nahm das Buch in die Hand. „Aber das ist Quatsch. Die Leute gehen zu Bhagwan, weil er einfach unglaublich ist. Hier, lies mal, ich leihe es dir.“

      Jeannie nahm das Buch. „Hey, klasse, danke. Ich glaube, das mache ich. Ich werd’s auf jeden Fall lesen.“ Dann fragte sie: „Bist du morgen um diese Zeit wieder hier? Dann kann ich dir schon meine ersten Eindrücke sagen.“

      „Gut“, antwortete Nalini.

      „Ach ja, ich bin Jeannie.“

      „Okay, Jeannie, bis morgen.“

      Sie steckte das Buch in die Tasche und winkte dem Jungen im Dhoti, der sie bedient hatte. Sie konnte es kaum erwarten, das Buch zu lesen. Irgendwie hatte sie das Gefühl, sie hätte etwas von dem gefunden, wonach sie gesucht hatte. Oder besser: Das, wonach sie gesucht hatte, hatte sie gefunden.

      ***

      Es war wie ein Hammerschlag. Schon die allerersten Worte trafen sie in der Mitte.

      Die Erfahrung des Höchsten ist überhaupt keine Erfahrung – weil der Erfahrende dabei verloren geht. Und wenn es keinen Erfahrenden gibt, was lässt sich dann darüber sagen? Wer soll es sagen? Wer soll von der Erfahrung berichten? Wenn es kein Subjekt mehr gibt, verschwindet auch das Objekt – beide Ufer verschwinden, und nur der Fluss der reinen Erfahrung bleibt. Das Wissen ist da, aber der Wissende nicht.

      Die

Скачать книгу