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wie lange dies mittlerweile her war. Den Geräuschen nach zu urteilen, die mein Magen von sich gab, schienen seitdem schon einige Tage vergangen zu sein; auch wenn ich mir das nicht wirklich vorstellen konnte.

      Mein Blick fiel auf die am Boden liegenden Sandwiches. Nach meinem schmerzhaft misslungenen Fluchtversuch hatte der Mann seine Aufräumaktion wohl für beendet erklärt. Ich stand auf und ging um das Bett herum. Langsam bückte ich mich und hob ein Käsesandwich auf. Ich setzte mich auf das Bett, strich mit den Fingern der linken Hand über das Brot, um eventuell anhaftenden Dreck abzuwischen, und biss leicht zögerlich hinein. Angewidert verzog ich den Mund, als meine Geschmacksnerven auf die trocken schmeckende Nahrung stießen. Doch das Hungergefühl war in diesem Moment viel stärker als die Abneigung aufgrund des unappetitlichen Anblicks. Ich hatte den letzten Bissen bereits in den Mund gesteckt, als mir mein Magen mit einem erbärmlich klingenden Knurren klar machte, dass mein Hunger noch längst nicht gestillt war.

      Mit einer wenig eleganten Bewegung rutschte ich zur Fußseite des Bettes und streckte die Hand aus, um ein weiteres Sandwich vom Boden aufzuheben. Ich hatte die Brotscheibe mit den Fingern fast erreicht, als ich die fette Ratte sah, die gierig am Käse herumknabberte. Erschrocken zog ich die Hand zurück und schrie hysterisch auf. Die Ratte – nicht minder erschrocken – rannte wie von der Tarantel gestochen in die hintere Ecke des Raumes und verschwand in einem Loch direkt neben der alten Kommode. Ich hatte die Arme vor der Brust gekreuzt und starrte zu dem Loch in der Wand hinüber. Ohne zu überlegen sprang ich auf und rannte zu der Kommode hinüber. Mit einem kurzen Stoß beförderte ich das hässliche Möbelstück auf die Seite und schob es gegen das Loch, so dass die Oberseite der Kommode den Ausgang versperrte.

      Dann rannte ich mit schnellen Schritten zum Bett zurück und setzte mich wieder. Meine Augen lagen noch immer auf der Stelle, an der die Ratte verschwunden war. Erneut schlang ich die Arme um meine zitternden, angezogenen Beine und legte das Kinn auf die Knie. Das Hungergefühl war verschwunden.

       2. Tag

       Kapitel 6

      Das Geräusch des Schlüssels ließ mich zusammenzucken. Ich hatte keine sich nähernden Schritte gehört und auch den Schatten unter dem Türrahmen hatte ich nicht bemerkt. In einem schwer zu beschreibenden Grenzbereich zwischen Schlaf und Wachzustand hatte ich die letzten Stunden apathisch gegen die Wand hinter meinem Bett gelehnt verbracht. Die Tür wurde aufgestoßen und Licht durchflutete den Raum. Ich hielt mir geblendet die Hand vor die Augen. Im Türrahmen zeichnete sich die Silhouette des Mannes ab. Nur ganz allmählich gewöhnte ich mich an die Helligkeit.

      Der Mann stand still da und beobachtete mich; in seiner rechten Hand befand sich ein länglicher Gegenstand, den ich anfangs nicht erkennen konnte. ‘Ein Messer’ – der Gedanke kam so abrupt und gnadenlos brutal, dass ich fast aufgeschrien hätte. Ich rutschte zur Kopfseite des Bettes und versuchte meinen zitternden Körper zu beruhigen. Mein Blick fiel zum Boden, um den Augen des Fremden auszuweichen. Der Mann stand starr da – völlig regungslos.

      Endlos lange Sekunden vergingen, in denen ich es nicht wagte, aufzuschauen. Es war, als hätte ich gefürchtet, ihn durch eine unbedarfte Bewegung aus seiner Lethargie zu wecken. Ich hörte, wie der Mann einen Schritt nach vorne machte, und zuckte zusammen. Mein Kopf fuhr hoch und meine Augen klammerten sich an dem Messer in seiner Hand fest.

      Ruckartig sprang ich auf und rannte in die hinterste Ecke des Raumes. Ich hatte die Hände vor das Gesicht geschlagen und spürte die Feuchtigkeit, die die Tränen in meinem Gesicht und auf meinen Fingern hinterließen. Die Schritte in meinem Rücken kamen näher – langsam, gleichmäßig. Ich fühlte, dass er direkt hinter mir stand, doch ich traute mich nicht hinzusehen.

      »Bitte, tun Sie mir nichts ..., bitte ...« Meine Stimme klang leise und ängstlich, wobei die Worte genauso zitterten, wie mein ganzer Körper.

      Dann spürte ich eine Hand auf meiner Schulter und schrie auf. Es war ein schriller Schrei, ein Ausbruch der panischen Angst, die sich in den vergangenen Minuten und Stunden in mir aufgestaut hatte. Ich erwartete, jeden Moment das Messer zu spüren, wie es ruckartig bis zum Schaft zwischen meinen Schulterblättern verschwand oder mit einem kurzen, schnellen Schnitt meinen Hals entlangfuhr und mir das Leben nahm, das ich noch gar nicht richtig genießen konnte. Die Hand an meiner Schulter riss mich herum. Mein Schrei wurde noch lauter und schriller. Meine weit aufgerissenen Augen starrten auf den ausgestreckten Arm des Mannes und den tödlichen Gegenstand in seiner Hand. Mit einer reflexartigen Abwehrbewegung versuchte ich mich vor dem Messer zu schützen, welches sich nun direkt vor meiner Brust befand.

      Im nächsten Moment verstummte mein Schrei. Mein ganzer Körper erstarrte in der Bewegung; mein Atem schien von einer Sekunde zur nächsten zum Stillstand zu kommen und die Zirkulation der Luft in meinem Körper zu unterbinden. Mein bewegungsloser Körper lehnte verkrampft mit dem Rücken an der weißen Wand des Raumes. Ich war nicht in der Lage meine Augen von der Hand des Mannes abzuwenden. Völlig apathisch starrte ich auf das schnurlose Telefon, das er mir entgegenhielt.

       Kapitel 7

      Keuchendes, schnelles Atmen beendete die Sekunden, in denen ich ungewollt die Luft angehalten hatte. Mein unsicherer Blick löste sich von dem kleinen, schwarzen Telefon und wanderte am Körper des Mannes hoch. Die verwaschene Bluejeans war viel zu lang und legte sich über den verdreckten, grauen Turnschuhen in zahlreiche Falten. Das khakifarbene, kurzärmlige Hemd spannte über seinem Bauch und verlieh ihm einen seltsamen, unbeholfenen Ausdruck. Zahlreiche kleinere Flecken hinterließen auf dem Hemd ein Muster der verschiedensten Farben, die sich unter den Achseln zu einem einzigen großen Fleck vereinten. Noch immer streckte mir der stark beharrte Arm mit der fleischigen Hand das Telefon entgegen.

      Meine Augen wanderten weiter aufwärts, trafen auf das stoppelige Kinn des untersetzten Mannes, der nur unwesentlich größer war als ich selbst. Meine Angst war in diesem Moment fast völlig verschwunden. Zu seltsam und harmlos wirkte dieser Mann mit dem runden Mondgesicht. Doch dann fiel mein Blick auf die Augen des Fremden und ich erschrak. Ich sah in die dunklen Pupillen und spürte, wie ein kalter Schauer meinen Rücken herunterlief. Die gesamte Erscheinung des Mannes wirkte unbeholfen und in einem gewissen Maße sogar mitleiderregend. Doch diese Augen ...; ich wollte den Blick abwenden, aber ich schaffte es nicht. Gleichermaßen fasziniert und verängstigt konnte ich mich dem Anblick nicht entziehen.

      Nie zuvor hatte ich bei einem Menschen einen derart durchdringenden, wahnsinnigen Ausdruck erlebt. Der starre Blick der düster funkelnden Augen ließ mir das Blut in den Adern gefrieren. Nein, in diesem Augenblick hatte ich nicht mehr das Gefühl, dass er auch nur annähernd so harmlos war, wie er im ersten Moment gewirkt hatte. Die Angst war rasend schnell zu mir zurückgekehrt, hatte mich wie einen alten Freund in den Arm genommen und machte in diesem Moment keinerlei Anstalten, mich jemals wieder loszulassen. Ein Mann mit solchen Augen konnte zu allem imstande sein. Das Zittern meines Körpers wurde wieder stärker und ich zwang mich, den Blick abzuwenden.

      »Was wollen Sie von mir?«

      Meine Worte klangen so zittrig, als hätte ein alter Seebär meine Stimmbänder missbraucht, um die verschiedensten Seemannsknoten auszuprobieren. Ich starrte den Boden vor meinen Füßen an. Noch immer hielt er das Telefon vor meinem Körper fest.

      »Ich will Gerechtigkeit«, flüsterte er mit einem heiseren Tonfall. »Ich will, dass alle Menschen für ihre Fehler bezahlen. Auge um Auge, Zahn um Zahn.«

      Ich schluckte. Dann nahm ich all meinen Mut zusammen und sah ihn an.

      »Aber ich habe Ihnen doch überhaupt nichts getan. Ich kenne Sie doch gar nicht.«

      Ein diabolisches Grinsen huschte über das runde Gesicht des Mannes. »Das brauchst du auch nicht. Die Wege des Herrn sind manchmal sehr verschlungen, aber sie führen zu einem bestimmten Ziel. Auch meine Wege werden den Erfolg bringen, der mir und allen anderen Menschen zusteht.«

      Seine Augen funkelten und ich drehte den Kopf zur Seite, um seinem durchdringenden Blick auszuweichen.

      »Justitia

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