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Kartell Compliance. Max Schwerdtfeger
Читать онлайн.Название Kartell Compliance
Год выпуска 0
isbn 9783811453098
Автор произведения Max Schwerdtfeger
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
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Die Bedeutung des Konditionenmissbrauchs hat seit den Diskussionen um den Umgang des nationalen und europäischen Kartellrechts mit großen Unternehmen der Digitalwirtschaft und ihren Geschäftspraktiken deutlich zugenommen. Der wohl bedeutendste aktuelle Fall in diesem Zusammenhang stellt die Facebook-Entscheidung des Bundeskartellamts vom 6. Februar 2019 dar. In der Entscheidung stellte die Behörde auf der Grundlage von § 19 Abs. 1 GWB (ebenso in Betracht gekommen wäre das Regelbeispiel des § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB sowie Art. 102 Abs. 2 lit. a AEUV, während das Bundeskartellamt die Generalklausel als gesetzlichen Anknüpfungspunkt bevorzugte) die Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung des Unternehmens fest. Das Bundeskartellamt untersagte Facebook, Konditionen zu verwenden, die die Nutzung des sozialen Netzwerks durch in Deutschland ansässige private Nutzer davon abhängig machen, dass Facebook nutzer- und gerätebezogene Daten, die bei der Nutzung konzerneigener Dienste wie Beispielsweise Whatsapp und Instagram erhoben werden, ohne Einwilligung der Nutzer mit den für Facebook geführten Nutzerkonten verknüpfen und verwenden kann. Gleiches gilt nach Auffassung des Bundeskartellamts auch für Konditionen, die die private Nutzung von Facebook davon abhängig machen, dass Daten, die über Drittanbieter erfasst werden, ohne Einwilligung der Nutzer mit den Facebook-Daten verknüpft werden.[97] Dabei stützt das Amt seine rechtliche Bewertung auf die Entscheidungen des BGH in Sachen VBL-Gegenwert[98] und Claudia Pechstein,[99] in denen das Gericht den Konditionenmissbrauch i.S.d. § 19 Abs. 1 GWB präzisiert hatte. Darin lehnt sich der BGH konsequent an die Rechtsprechung des EuGH zum Verbot unangemessener Geschäftsbedingungen gem. Art. 102 S. 2 lit. a AEUV an, der eine Abwägung der Interessen der Vertragspartner fordert.[100] Danach gelten solche Konditionen als unangemessen, die die wirtschaftliche Handlungsfreiheit des unterlegenen Vertragspartners übermäßig einschränken.[101] Mit der Facebook-Entscheidung spricht das Bundeskartellamt zahlreiche nicht abschließend beantwortete Fragen rund um digitale Netzwerke und Plattformen an.[102]
cc) Diskriminierender bzw. behindernder Preishöhenmissbrauch/Konditionenmissbrauch
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Der Preishöhenmissbrauch kann auch in Form einer Diskriminierung bzw. Behinderung auftreten. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn eine willkürliche Gestaltung von Angebots- oder Einkaufspreisen und Konditionen eines Normadressaten auf den vor- oder nachgelagerten Märkten zu Wettbewerbsverzerrungen führen und sich dort als Ungleichbehandlung oder Behinderung auswirken. Diese Fälle der Preisspaltung im gleichen Markt werden vom Ausbeutungsmissbrauch nicht erfasst, sondern lassen sich besser unter die Kategorien der Behinderung bzw. Diskriminierung einordnen.[103]
dd) Ausbeutungsmissbrauch im Rahmen des Anzapfverbots (§ 19 Abs. 2 Nr. 5 GWB)
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Eine Besonderheit gegenüber dem europäischen Recht findet sich in § 19 Abs. 2 Nr. 5 GWB – das sog. Anzapfverbot. Die durch die 8. GWB-Novelle 2013 neu in § 19 GWB aufgenommene Norm beinhaltet einen Tatbestand des Missbrauchs von Nachfragemacht. Damit soll verhindert werden, dass sich marktmächtige Nachfrager vor deren Wettbewerbern Vorteile verschaffen. Während nach der herrschenden Meinung die Vorschrift nicht den Schutz der Marktgegenseite (Anbieter) vor Ausbeutung bezweckt,[104] ist das Bundeskartellamt anderer Auffassung und bezieht den Anbieter in den Schutzbereich mit ein.[105] Hintergrund der Regelung ist, dass ein Nachfrager seine marktbeherrschende Stellung nicht dazu ausnutzen darf, um einen von ihm abhängigen Anbieter zur Gewährung von sachlich ungerechtfertigten Vorzugsbedingungen, die andere vergleichbare Nachfrager nicht erhalten, zu veranlassen. Mit Vorteilen i.S.d. Abs. 5 können insbesondere Sonderrabatte, zum Beispiel „Hochzeitsrabatte“[106], unentgeltliche Dienstleistungen, Eintrittsgelder, Mengenrabatte und alle sonstigen günstigen Bedingungen gemeint sein. Die Vorteilsgewährung seitens des Anbieters darf nicht sachlich gerechtfertigt sein.[107]
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Im Zuge der 9. GWB-Novelle wurde der Wortlaut des § 19 Abs. 2 Nr. 5 GWB angepasst. Die neue Formulierung sollte die effektive Anwendbarkeit des Anzapfverbots sicherstellen.[108] Damit reagierte der Gesetzgeber auf die Rechtsprechung des OLG Düsseldorf in der Sache EDEKA, im Zusammenhang mit der Übernahme des Discounters Plus seitens EDEKA vom Wettbewerber Tengelmann. Im Verfahren hatte das Bundeskartellamt die Kartellrechtswidrigkeit mehrerer Forderungen festgestellt, die EDEKA im Zuge der Übernahme gegenüber einigen Lieferanten erhoben hatte („Hochzeitsrabatte“). Das OLG Düsseldorf hob die Entscheidung des Bundeskartellamts auf.[109] Vor diesem Hintergrund hielt der Gesetzgeber einige Klarstellungen für erforderlich. Während der Tatbestand vor der Änderung des Wortlauts voraussetzte, dass ein marktbeherrschendes Unternehmen seine Marktstellung dazu ausnutzt, andere Unternehmen dazu aufzufordern oder zu veranlassen, ihm ohne sachlich gerechtfertigten Grund Vorteile zu gewähren, wurde im Zuge der 9. GWB-Novelle die Tatbestandsalternative des Veranlassens gestrichen. Außerdem wurde die Tatbestandsalternative des Erfordernisses der Ausnutzung der Marktstellung gestrichen. Schließlich wurde durch die neuen Kriterien in Satz 2 die Prüfung der sachlichen Rechtfertigung konkretisiert.
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Mit dem Streichen des Erfordernisses der Ausnutzung der Marktstellung soll klargestellt werden, dass bereits die Aufforderung zur Vorteilsgewährung selbst einen Missbrauch von Marktmacht darstellt, soweit keine sachliche Rechtfertigung gegeben ist. Damit ist nunmehr nicht erforderlich, dass zwischen der Marktmacht und der Aufforderung über die allgemeinen Regeln ein hinausgehender Ursachenzusammenhang bestehen muss. Dies war bislang umstritten.[110]
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Das Streichen der Tatbestandsalternative des Veranlassens war vorwiegend redaktionell begründet, da das Tatbestandsmerkmal durch die Aufnahme der Alternative des Aufforderns im Rahmen der 7. GWB-Novelle bereits seine eigenständige Bedeutung verloren hatte. Auf den tatsächlichen Erfolg des Aufforderns, als das Veranlassen, kommt es danach nicht an.[111]
c) Behinderung und Ungleichbehandlung
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Neben dem Ausbeutungsmissbrauch stehen Fälle der Behinderung und Ungleichbehandlung bzw. Diskriminierung. So fasst im nationalen Recht der durch die 8. GWB-Novelle 2012/2013 neu gefasste § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB zwei unterschiedliche Missbrauchsformen zusammen – die unbillige Behinderung und die sachlich nicht gerechtfertigte andersartige Behandlung (Ungleichbehandlung bzw. Diskriminierung). Diese Unterscheidung trifft das europäische Recht so nicht ausdrücklich in Art. 102 AEUV, der als Fallgruppe nur den Diskriminierungsmissbrauch nach Art. 102 Abs. 2 lit. c AEUV enthält. Der Behinderungsmissbrauch im europäischen Recht hat seine inhaltliche Prägung hingegen durch die Rechtsprechung erfahren und wird auf die Generalklausel des Art. 102 Abs. 1 AEUV gestützt.
aa) Inhalt des Behinderungs- und Diskriminierungsverbotes
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Ein marktbeherrschender Anbieter oder Nachfrager handelt nach § 19 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 1 GWB missbräuchlich, wenn er „die Wettbewerbsmöglichkeiten anderer Unternehmen in einer für den Wettbewerb auf dem Markt erheblichen Weise ohne sachlich gerechtfertigten Grund beeinträchtigt.“ Die geforderte Beeinträchtigung der Wettbewerbsmöglichkeiten anderer Unternehmen setzt damit voraus, dass das marktbeherrschende Unternehmen zusätzliche Hindernisse errichtet, die über seine Existenz, seine Marktmacht