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Kartell Compliance. Max Schwerdtfeger
Читать онлайн.Название Kartell Compliance
Год выпуска 0
isbn 9783811453098
Автор произведения Max Schwerdtfeger
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Zur Feststellung der funktionalen Austauschbarkeit von Produkten und Dienstleistungen haben sich in Rechtsprechung und Literatur eine Vielzahl von Kriterien entwickelt. Dazu zählen unter anderem die Eigenschaft und Qualität, der Verwendungszweck, die Verfügbarkeit und der Preis.
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Besonderer Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang der Kreuzpreiselastizität zu. Danach wird eine geringe Preiserhöhung, die zur Wahl eines anderen Produktes führt, als Indiz dafür angesehen, dass beide Produkte dem gleichen Markt zuzuordnen sind. Dabei wird häufig der sog. SSNIP-Test („small but significant non-transitory increase in price“ – Test)[16] angewandt, wonach in die Betrachtung einbezogen wird, was bei einer dauerhaft kleinen, aber unwesentlichen Preiserhöhung bezüglich eines Produkts geschieht. Sofern die Nachfrage auf andere ähnliche Produkte ausweicht und der dadurch eintretende Absatzrückgang beim Ausgangsprodukt nicht mehr erträglich sein würde, werden die Ersatzprodukte in dem Maße in den relevanten Markt einbezogen, bis kleine dauerhafte Erhöhungen der Preise noch Gewinne für das Ausgangsprodukt versprächen.[17]
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In Rechtsprechung und Praxis ist anerkannt, dass es neben Produkt- auch besondere Handelsmärkte gibt, die durch Sortimente gekennzeichnet sind. So wird beispielsweise im Lebensmittelhandel der sachliche Markt als ein „Markt des Sortimentseinzelhandels mit Nahrungs- und Genussmitteln“ („Food“) begriffen, einschließlich der für diesen Bereich typischen Sortimentsteile an Wasch-, Putz-, Reinigungs- und Körperpflegemitteln („Non Food I“), während die nur gelegentlich vertriebenen Produkte des Randsortiments („Non Food II“) nicht hinzugerechnet werden.[18]
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Zusätzlich zur Abgrenzung allein aus Sicht der Nachfrager (sog. „Nachfragersubstitution“) berücksichtigen Kommission und EuGH bei der Abgrenzung des sachlich relevanten Marktes teilweise auch den potenziellen Wettbewerb auf der Angebotsseite (sog. „Angebotssubstitution“). Dies ist insbesondere in Fällen relevant, in denen potenzielle Wettbewerber in Reaktion auf kleine, dauerhafte Preisänderungen in der Lage sind, ohne großen Aufwand ihre Produktion auf die relevanten Produkte umzustellen und sie ohne spürbare Zusatzkosten kurzfristig auf den Markt zu bringen.[19]
b) Der räumlich relevante Markt
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Der räumlich relevante Markt bezieht sich nicht etwa auf politische oder rechtliche Grenzen, maßgeblich sind vielmehr die Grenzen für Angebot und Nachfrage, die sich bei ökonomischer Betrachtung herausbilden. Dabei kommt es ähnlich wie beim sachlich relevanten Markt wiederum auf die funktionelle Austauschbarkeit aus Sicht des Nachfragers an. So erfasst der räumlich relevante Markt das Gebiet, in dem das betroffene Unternehmen wirksamem Wettbewerb durch Konkurrenten ausgesetzt ist, hinreichend homogene Wettbewerbsbedingungen herrschen und diese sich von benachbarten Gebieten spürbar unterscheiden.[20] Dabei stellt § 18 Abs. 2 ausdrücklich klar, dass der räumlich relevante Markt weiter sein kann als das Bundesgebiet.[21] Insbesondere die Globalisierungstendenzen und technischen Entwicklungen haben eine Ausweitung der Märkte bewirkt, sodass bestimmte Produkte EWR- bzw. weltweit nachgefragt werden. Andererseits kann ein Markt regional bzw. lokal begrenzt sein, wenn die Austauschmöglichkeiten für Nachfrager aus objektiven Gründen derart begrenzt sind. Ausschlaggebend dafür können zum Beispiel die Transportkosten, die Verderblichkeit oder die begrenzte Verarbeitungsfähigkeit bestimmter Güter sein.[22] Entscheidend bei der Abgrenzung ist das tatsächliche Nachfrageverhalten der Kunden. Damit sind an sich bestehende Bezugsalternativen dann nicht zu berücksichtigen, wenn sie von Nachfragern tatsächlich nicht oder kaum wahrgenommen werden.[23]
c) Der zeitlich relevante Markt
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Im Vergleich zur sachlichen und räumlichen Marktabgrenzung ist der zeitlich relevante Markt eher von geringer Bedeutung. Er wird in Ausnahmefällen ergänzend zur sachlichen und räumlichen Abgrenzung herangezogen, wenn es sich um Fälle handelt, die durch ein zeitlich begrenztes und unter Umständen saisonal wiederkehrendes Angebot gekennzeichnet sind. So bilden zum Beispiel Sportveranstaltungen, Volksfeste und Messen nur auf ihre Dauer begrenzte Märkte, auf denen ein Veranstalter marktbeherrschend sein könnte.[24] So kann sogar ein einzelnes Spitzen-Fußballspiel einen eigenen relevanten Markt bilden.[25]
d) Marktabgrenzung bei Unentgeltlichkeit der Leistung
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Der im Rahmen der 9. GWB-Novelle neu eingefügte § 18 Abs. 2a GWB stellt nunmehr für das deutsche Recht ausdrücklich klar, dass auch im Fall einer unentgeltlichen Leistungsbeziehung ein Markt vorliegen kann. Dies war bislang nicht abschließend geklärt.[26] Auch wenn dies bereits der Praxis von Bundeskartellamt und EU-Kommission entsprach,[27] sorgt die neue Regelung zumindest im deutschen Recht für eine Klarstellung und Rechtssicherheit.
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Die Annahme, einen Markt nicht von entgeltlichen Leistungsbeziehungen abhängig zu machen, beruht der Gesetzesbegründung zufolge auf der Marktdefinition aus wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive.[28] Danach ist ein Markt der Ort, an dem Angebot und Nachfrage zusammentreffen und damit eine Art der Austauschbeziehung gegeben ist. Vor diesem Hintergrund liegt ein Markt nicht nur dann vor, wenn für die angebotene Leistung eine Geldzahlung verlangt wird. Dies kann vielmehr auch der Fall sein, wenn bei der Transaktion kein Entgelt übertragen wird. Damit soll die neu aufgenommene Regelung Geschäftsmodelle erfassen, bei denen Leistungen ohne direkte monetäre Gegenleistung angeboten werden. Denn auch wenn eine Leistung unentgeltlich erbracht wird, können Angebot und Nachfrage vorliegen, die einen Teil des Marktgeschehens darstellen und die Wettbewerbsverhältnisse auf dem Markt beeinflussen können.[29]
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Dies betrifft insbesondere Sachverhalte, für die die ökonomische Wissenschaft die Bezeichnung zwei- bzw. mehrseitige Märkte geprägt hat. Diese mehrseitigen Märkte, die insbesondere im Kontext von Plattformen zu beobachten sind, sind dadurch gekennzeichnet, dass mehrere Marktteilnehmer durch jeweils wechselseitige Beziehungen miteinander verbunden sind. Dabei beeinflussen sich mindestens zwei unterscheidbare Nutzergruppen insoweit, als die Attraktivität der Plattform für die eine Nutzergruppe von der Anwesenheit und Größe der anderen Nutzergruppe abhängt.[30] Diese sog. indirekten Netzwerkeffekte findet man insbesondere im Rahmen von Geschäftsmodellen der sozialen Netzwerke wie etwa Facebook oder Instagram: Während die Plattform für die Mitglieder als eine Nutzergruppe grundsätzlich kostenlos ist, finanziert sich die Plattform insbesondere durch Werbeeinnahmen der gewerblichen Nutzergruppe (regelmäßig insbesondere durch Werbetreibende). Es kann daher für Unternehmen durchaus sinnvoll sein, im Rahmen bestimmter Leistungsbeziehungen auf die unmittelbare Erhebung eines Entgelts zu verzichten.[31]
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Entscheidend für die Annahme eines Marktes i.S.d. Marktmissbrauchskontrolle ist daher vielmehr, dass wirtschaftliche Motive und Erwerbszwecke verfolgt werden, was sich nach der Gesamtstrategie des Unternehmens beurteilt. Dafür reicht es im Bereich der Internetökonomie aus, dass der Betreiber einer Plattform seine Leistungen (z.B. Werbung) auf der anderen Seite der Plattform gegen Entgelt erbringt. Auch kann man von einer Gewinnerzielungsabsicht ausgehen, wenn ein Unternehmen zunächst möglichst hohe Nutzerzahlen erreichen will, bevor Entgelte erhoben werden oder das Unternehmen veräußert wird.[32]
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Der Wortlaut des neuen § 18 Abs. 2a GWB lässt offen, ob für die Annahme eines Marktes bei Unentgeltlichkeit der Leistung auch auf das Vorliegen einer konkreten Austauschbeziehung verzichtet