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stellte die Gattung Märchen als outil d’apprentissage dans la classe de langue vor, indem sie vor und mit Studierenden der Freien Universität Berlin1 Märchen eigener Kreation und Märchen ihrer ursprünglichen Heimat Haïti erzählte. Gemeinsam mit dem Publikum entfaltete sie den Plot der Geschichten, schmückte die eine oder andere Handlungsstation aus und gestaltete sowohl die Erzähler- als auch die Figurenrede theatralisch – mithilfe ihrer Körperlichkeit und ihrer Musikalität. Narration und Theater verbanden sich in dieser Vortragsweise zu einer ästhetischen Einheit. Dabei war der pädagogisch-didaktische Wirkungszusammenhang präsent, störte aber nicht das ästhetische Erlebnis. Das war für mich neu und faszinierend. Neugier und Motivation, hinter das Geheimnis dieser Performance zu kommen, waren geweckt. Es schien mir lohnenswert, das Potenzial dieses Instruments der ästhetischen Kommunikation und der Interaktion mit dem Publikum für den Fremdsprachenunterricht auszuloten. Weitere Inspiration lieferten die Ausführungen Marie-Célie Agnants zu ihrem ästhetischen und didaktischen Konzept2, das sie in Gesprächen und Interviews erläuterte. Marie-Célie Agnant betont die Formbarkeit des zu erzählenden Textes im Augenblick der Performance und die Wirkmächtigkeit der mündlich Erzählenden, die ihren Diskurs der Erzählsituation anpassen können. Sie richtet ihr Erzählen auf die Teilhabe des Publikums am Erzählen aus und begreift das Erzählen als Recherche neuer Ausdrucksformen. Eine tragende Rolle bei dieser Recherche kommt dem Wortmaterial, der Musikalität der Wörter und dem Rhythmus der Rede zu:

      [L]e conte pour moi, c´est le matériau premier. Et je dis toujours que le conte, c´est un élastique qu´on peut changer selon la journée, selon… Dans le conte, il y a toute la liberté, tu sais, de se mouvoir. Et souvent, j´encourage les enfants à changer les textes. A changer la fin du texte. En fait, le conte, c´est l´exploration de nouvelles façons, de nouveaux mots, d´une nouvelle musique. C´est ça, l´important pour moi. Pas le conte lui-même. C´est la musique qui va …. C´est le rythme qui va ouvrir les horizons. (Agnant / Bergfelder-Boos 2006: 2)

      Dieser erste Kontakt mit der Kunst des mündlichen Erzählens lieferte Ideen für ein Forschungsprojekt, bei dem die Auffassung vom Text als Erzählmaterial und die Auffassung vom Erzählen als Recherche im Mittelpunkt stehen sollten. Ich machte mich auf die Suche nach Anknüpfungspunkten für meine Recherche.

      Erste Auseinandersetzungen mit dem Forschungsgegenstand und der Forschungsliteratur ließen vermuten, dass das Potenzial mündlichen Erzählens in seiner Mehrdimensionalität begründet ist (Kap. 3.1). Sie beruht zum einen in der Auffassung vom Narrativen als einem Konstrukt, in dem sich zwei Dimensionen miteinander verbinden: die Dimension des Erzählten, die histoire, und die Dimension des Erzählens, der discours.3. Sie beruht zum anderen darin, dass an der mündlichen Realiserung einer Erzählung mehrere Zeichensysteme beteiligt sind: verbale, paralinguistische, akustische und visuelle Zeichen. Mit dieser Nähe zum Theater gewinnt das mündliche Erzählen eine weitere Dimension: die der Aufführung und des Performativen (Kap. 4.1).

      Die Recherche führte weiter zur Mehrfunktionalität mündlichen Erzählens. Mündliches Erzählen kann in unterschiedlichen Wirkungszusammenhängen eingesetzt werden, von denen in dieser Studie vor allem die Institution Unterricht und die Institution Theater, d.h. die didaktische und die ästhetische Anwendung, relevant sind. Aus der Erzählpraxis in anderen Verwendungszusammenhängen wie dem Erzählen im Alltag oder dem Erzählen in gesellschaftlich-kultureller Praxis (Kap. 5.1) können ebenfalls Anregungen für seinen Einsatz im Fremdsprachenunterricht gewonnen werden. Gerade seine vielfältigen Verwendungsmöglichkeiten machen das mündliche Erzählen für eine Potenzi­alrecherche interessant.

      Zur Mehrdimensionalität und Mehrfunktionalität des Forschungsgegenstandes kommt die Mehrperspektivität seiner Untersuchung im Rahmen dieser Studie hinzu, denn das mündliche Erzählen wird aus unterschiedlichen Forschungsperspektiven erkundet. Dazu gehören die Perspektive der narratologischen Forschung (Kap. 3), der Theaterwissenschaft (Kap. 4), außerdem die Perspektive von Erzählpraktikerinnen und -praktikern (Kap. 5.4), der Erzähl- und der Fremdsprachendidaktik (Kap. 6) und vor allem die Perspektive der Unterrichtspraxis und ihrer Akteure (Kap. 8, 9, 10). Diese Perspektive wird durch die Projektarbeit von Teilnehmerinnen und Teilnehmern einer von der Forscherin betreuten Lehrkräfteweiterbildung einbezogen. Deren Projektarbeit liefert das empirische Material der Studie.

      Die bisher genannten Leitideen der Studie sind im Titel der Dissertation wiederzufinden. Es handelt sich um eine explorative Studie, die mit dem Begriff ‚mündliches Erzählen als Performance‘ ihren Forschungsgegenstand aus der werkseitigen und aus der Perspektive ihrer Realisierung als Aufführung erfasst, auf der Basis von Materialien der Weiterbildung empirisch erforscht und sich zum Ziel setzt, die Forschungsergebnisse für die Praxis des Fremdsprachenunterrichts fruchtbar zu machen.

      2 Gesamtkonzeption der Studie

      In diesem Kapitel wird die Gesamtkonzeption der Studie präsentiert und die Komplexität des Forschungsvorhabens erläutert. Informationen über die Ausgangssituation und deren Konsequenzen für das Forschungsprojekt (Kap. 2.1.1) eröffnen das Kapitel. Es folgt die Darlegung des Themas, der Zielsetzungen der Studie und der Forschungsdesiderata (Kap. 2.1.2). Anschließend werden die Forschungsfragen entwickelt und aufgelistet (Kap. 2.1.3). Kapitel 2.2 stellt die forschungstheoretische und -methodologische Rahmung der Studie vor. Die Forschungsentscheidungen (Kap. 2.2.2) werden begründet, die Grundlagen der theoretischen und empirischen Forschungsarbeit (Kap. 2.2.3) und die angewandten Forschungsverfahren (Kap. 2.3) werden vorgestellt. Kapitel 2.4 legt Überlegungen zu Chancen und Herausforderungen der Komplexität des Forschungsvorhabens dar. Es folgt die Präsentation von empirischen Studien aus dem Gebiet der Spracherwerbsforschung und der Fremdsprachendidaktik, die wichtige Impulse zur Konzeption der Studie geben konnten (Kap. 2.5). Abschließend werden der Verlauf der Studie und der Gesamtaufbau des Dissertationstextes (Kap. 2.6) dargestellt.

      2.1 Forschungsgegenstand und Forschungsziele

      Die in der Einleitung (Kap. 1) skizzierten Entscheidungen für ein Forschungsvorhaben zum mündlichen Erzählen werden im Folgenden präzisiert und in den Planungs- und Forschungszusammenhang gestellt.

      2.1.1 Die Ausgangssituation und ihre Folgen für das Forschungsprojekt

      Am Anfang des Forschungsprojekts standen, wie bereits ausgeführt, zum einen die Begegnung mit der Erzählerin Marie-Célie Agnant, zum anderen meine Tätigkeit als Leiterin und Dozentin von zwei aufeinander folgenden berufsbegleitenden Weiterbildungsstudiengängen Französisch für Lehrkräfte der Berliner Schule von 2004-2007 und 2005- 2008. Diese Situation bot die Chance eines direkten Zugangs zum Forschungsfeld Schule, denn die Weiterbildungsstudie­renden waren während ihres Studiums weiterhin als Lehrkräfte tätig. Der Französischunterricht ihrer Lerngruppen bot sich den Weiterbildungsstudie­renden als Experimentierfeld für Erzählprojekte an, für mich als Beobachterin der Erzählprojekte konnte er zum Forschungsfeld meiner Studie werden.

      Die Weiterbildungssituation bot weitere Vorteile. Sie eröffnete Möglichkeiten, Forschung und Lehrkräftebildung sowie Theorie und Praxis miteinander zu verknüpfen. Diese Verbindung konnte über das Erzählen als Gegenstand fachwissenschaftlicher Forschung und als Gegenstand und Kompetenzziel des Fremdsprachenunterrichts hergestellt werden – ganz im Sinne einer Transformation fachwissenschaftlicher Inhalte in fachdidaktische und unterrichtspraktische Fragestellungen, wie sie Steinbrügge als Aufgabe universitärer fachdidaktischer Lehre einfordert: als einen „Versuch, die Wissensbestände der Disziplin für die Schule nicht didaktisch zu reduzieren, sondern zu transformieren“ (Steinbrügge 2008: 17). Dies kann realisiert werden anhand von „Inhalten, die sich an schulische Lernziele und zu vermittelnde Kompetenzen anbinden lassen“ (Steinbrügge 2008: 18). Auf diesem Wege konnten die Studierenden einerseits am Forschungsprozess der Forscherin partizipieren und andererseits forschendes Lernen praktisch erproben.

      Diese für beide Seiten profitable Situation birgt jedoch auch Gefahren für den Forschungskontext in sich. In actu kann sich eine Vermischung der Arbeitsgebiete, der Verantwortlichkeiten und der Interessen der am Forschungsprozess Beteiligten ergeben. Diese Situation zu meistern wird sich

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