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A votre santé. Karl L. Holtz
Читать онлайн.Название A votre santé
Год выпуска 0
isbn 9783849783372
Автор произведения Karl L. Holtz
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
Es gibt Hinweise darauf, dass auch in Beratungssituationen von ähnlichen Anteilen auszugehen ist. Von daher dürfte ein kontextueller Ansatz, der im Sinne systemischen Denkens die Wechselwirkungen der Variablen berücksichtigt, eine angemessene Vorgehensweise sein. Die Veränderungsmotivation beispielsweise – die Lust auf Neues und das Zutrauen in das Andere – kann im Coachingprozess durch zielgerichtete Interventionen angeregt werden – vorausgesetzt, es gelingt, diese mit den bisherigen Erfahrungen, den Ressourcen und bisherigen Lösungsversuchen der Klienten angemessen zu verbinden. Und je authentischer und in der Klientenwahrnehmung kompetenter ein Coach zu einer anregenden Veränderungsbereitschaft beiträgt, desto erfolgversprechender scheint der gemeinsame Coachingprozess zu sein.
Und was bedeuten diese Überlegungen für die Weinverkostung? Vielleicht bewegen sich auch die Varianzanteile für das Geschmackserlebnis, die wir an objektiven Merkmalen des Weins festmachen können, nur im mittleren Bereich. Empfehlungen, Persönlichkeitsvariablen und der soziale Kontext mögen ebenfalls nicht unerheblich zur Gesamtvarianz beitragen. Und so kommt es, dass, wie Tante Klara schon damals betonte, »Geschmäcker eben verschieden sind«. Es gibt einige, die einen moussierenden Lambrusco mögen, andere bevorzugen auch Lambrusco, aber den anderen. Ich kenne Leute, die vor allem auf den Wein von Günther Jauch bei Aldi schwören, andere wiederum beißen gerne in tanninige junge Bordeaux, vor allem wenn »Châteaux« auf dem Etikett steht. Und wenn man nun als Gastgeber zu einer Weinprobe einlädt, die bei den Gästen Lust auf Neues wecken soll, dann sollte man zum einen authentisch die Auswahl begründen – z. B. mit einer kleinen Geschichte, wie man zu dem Wein sehr persönlich in Kontakt gekommen ist –, zum anderen dies aber immer mit den Erfahrungen und Vorlieben seiner Gäste verknüpfen, um die Lust, sich auf etwas Neues einzulassen, nicht zu riskant werden zu lassen.
Die Grundannahme ist: Lust auf etwas Neues ist ein zutiefst menschliches Bedürfnis. In typischen Beratungssituationen ist sie häufig aufgrund der geschilderten Problemsituation blockiert, Widerstände bei Weintrinkern sind auch nicht selten. Oftmals kann man jedoch deutlich machen, dass ein Widerstand gegenüber neuen Erfahrungen (»Das haben wir schon immer so gemacht«, »Bei dem Wein wissen wir, was wir haben«) um einiges anstrengender ist, als sich auf Neues einzulassen. Nur darf man die Einladung zu neuen Erfahrungen nicht besserwisserisch und apodiktisch ankündigen. Man wird ein gemeinsames erfolgreiches neues Erlebnis am ehesten erreichen, wenn man neben dem Kontext weitere Grundbedürfnisse seiner Mitmenschen berücksichtigt: das Bedürfnis nach Kompetenzerleben, das nach Autonomie und Individualität sowie das Bedürfnis nach sozialem Eingebundensein (vgl. Deci u. Ryan 1993; Grawe, Donati u. Bernauer 1994). Ach – beinahe hätte ich ein zentrales Bedürfnis vergessen: das nach Lustgewinn und Unlustvermeidung (Epstein 1993). Schließlich soll das Ganze ja auch Spaß machen.
Bei der Beratung und beim Coaching gelingt es mir schon recht gut, diese Variablen einzubeziehen. Bei den Weinverkostungen scheitere ich häufig daran – und meine Frau erklärt mir dann im Nachhinein: »Du hättest nicht so viel über dich und deinen Wein erzählen sollen, deine Gäste wollten lieber probieren und auch mal über ihre Eindrücke und Erfahrungen mit ähnlichen Weinen berichten. Du hättest Fragen stellen sollen und nicht Antworten geben.«
Sicherlich ist eine angemessen zurückhaltende Kommunikation Teil der Ausbildung von Weinverkäufern und Sommeliers. Aber gibt es eigentlich Supervisionen für sendungsbewusste, aber unglückliche Weingastgeber?
Wie teuer darf ein Wein sein? Was darf Coaching kosten?
»Es gibt keine teuren Weine, nur schlechte«, pflegte Tante Klara zu sagen. Diese Aussage könnte man auch so verstehen, dass gute Weine in nahezu allen Preiskategorien auftauchen können. Wenn wir unsere Überlegungen des vorigen Kapitels über die Definition guter Weine einbeziehen, ist dies nachvollziehbar.
Die Frage lässt sich auch so spezifizieren: Kann ich vom Preis eines Weines etwas über dessen Qualität erfahren? Ja und nein: Es wird Untergrenzen geben, die keinen seriösen Produktionsprozess vermuten lassen. Ausnahmen hiervon deuten auf einen ruinösen Preiskampf im Verkauf zulasten des Winzers und der Arbeitskraft von Erntehelfern hin. Nach meinen Erfahrungen kostet eine Glasflasche mit Korken und Etikett ca. 0,75 €, dann muss ja noch abgefüllt und verpackt werden, Erntehelfer, Düngemittel, Werbung, Produktionsstätten, Steuern kosten ein Übriges, sodass ich die gesamten Produktionskosten mal mit mindestens 3,50 € veranschlagen würde. Ein 5 €-Wein ist demnach kein großer Gewinn für den Erzeuger, der zum Teil wahrscheinlich dann durch EU-Subventionen kompensiert wird. Es gibt Hochrechnungen anderer Autoren, die für anspruchsvolle Weine von einem Selbstkostenpreis von ca. 15 € ausgehen.
Darüber hinaus wird ein sorgfältiger Ausbau des Weines je nach Qualität auch noch kostenintensiver sein: Die Beschäftigung eines Önologen, die Auswahl qualitativ hochwertiger Holzfässer, die Umstellung auf biologische Anbauweise usw. sind weitere Faktoren, die zur Preissteigerung beitragen. All diese Überlegungen lassen mich zu dem Schluss kommen: Ein nach den Regeln der Kunst, d. h. unter Berücksichtigung nicht nur sorgfältiger, sondern auch gediegener Ausbaumethoden produzierter Wein lässt eine vertretbare Obergrenze von ca. 35 € erkennen. Für diesen Preis kann man einen interessanten und individuell bemerkenswerten Wein herstellen. Natürlich kann man auch für 7 oder 10 € hervorragende, ansprechende Weine finden.
Weinproben zeigen aber häufig, dass solche Weine uniform und gefällig, aber austauschbar sind. Sie sind von guter Qualität, entsprechen weitestgehend einem gepflegten Publikumsgeschmack. Sie sind Wein, wie er sein sollte, aber häufig nicht, wie er sein könnte. Aber es gibt – der Wein ist ein höchst lebendiger Organismus – auch Ausnahmen.
Ist dann nun alles, was über 35 € kostet, überzogen und nur den großen Namen geschuldet? Nicht unbedingt. Auf der Suche nach gehobenen Käuferschichten haben einige Weingüter versucht, ihre Weine noch interessanter auszubauen. Das betrifft zum einen die aufwändige Selektion der Trauben, z. B. beim Château d’Yquem. Ferner wurden u. a. Weinbau-Spezialisten angeheuert, die individuelle und raffinierte Weine kreierten und sich dafür natürlich auch gut bezahlen ließen. Als Urahn dieser Tradition kann der »Weinbau-Guru« Giacomo Tachis gelten, der vor über 50 Jahren für das Weingut Antinori den Sassicaia schuf – zu einer Zeit, als der andere Kultwein der Toscana, der Brunello di Montalcino, zu einem edlen Geheimtipp der aufstrebenden Toscana-Fraktion wurde (und eine Menge durchschnittlichen Wein gleichen Namens nach sich zog). Die Erfolgsgeschichte solcher Weine war legendär, solange die Individualität und nahezu künstlerisch gestaltete Eigenart aufrechterhalten werden konnte.
Bei all den Preissteigerungen: Die Chance, einen außergewöhnlichen Wein für 20–35 € zu erwerben, ist groß. In diesem Preissegment können Spitzenwinzer mit der nötigen Ausstattung bemerkenswerte Weine herstellen. Und das sind nicht nur die großen Namen. Es gibt unzählige vin de garage – von kleinen Weingütern und Tüftlern hergestellte Garagenweine – die großartig sind und den Kreativ-Nimbus der Napa-Valley-Garagen fortsetzen. Auf der anderen Seite gibt es noch die großen Namen, die dann aber auch mitbezahlt werden.
Tante Klara würde sagen: »Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen.« Eine gediegene Ausbildung kostet etwas, aber sie zahlt sich auch aus. Tante Klara war einem guten Tropfen gegenüber nicht abgeneigt. Gegen Ende ihres Lebens wollte sie aber gesünder leben und sprach gut und gerne dem Melissengeist zu. Die Erfahrung und die gesundheitlichen Versprechungen der Klosterfrauen begleiteten sie bis zum Schluss.
Wie sieht es nun bei den Coachs aus? Auch hier dürfte kein Meister vom Himmel gefallen sein, aber auch hier gibt es neben den Garagen-Coachs