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Vorbeigehen hatte ich das Licht angeknipst. Überall, jeden Schalter, den ich fand: In der Küche strahlten sechs Spotleuchten von der Decke, im Wohnzimmer hing ein Kronleuchter über dem Tisch, im Wintergarten glühten in jeder Ecke zwei Lampen in Form einer Kerze. Es wurde taghell. Es entstand eine höchst befremdende Festtagsbeleuchtung im Erdgeschoss. Die Fenster mussten in einer Nacht wie dieser von weither als weiss leuchtende Vierecke zu sehen sein. Ich empfand es sogar als beunruhigend.

      Im Wohnzimmer und in der Küche hielt ich mich nur kurze Zeit auf. Die Person von der Spurensicherung hatte begonnen, alles zu untersuchen, zu fotografieren und zu registrieren, alles, was auf den Tischen oder in den Tellern lag, an den Wänden hing oder auf den Türklinken klebte. Sie hatte begonnen, Fingerabdrücke sichtbar zu machen und kleinste Partikel wie Haare, Fäden, Zigarettenasche oder Papierschnipsel zu sammeln, in Plastiktüten zu verpacken und die Tüten, gemäss Vorschrift brav angeschrieben, ins Labor schicken zu lassen. So wie es aussah, würde sie wiederkommen, und zwar für mehr als einen Tag. Im Wintergarten standen blaue Werkzeugkoffer neben Kisten aus Holz, Stative mit Scheinwerfern neben leeren, sauberen Behältern.

      Es beeindruckte mich stets aufs Neue, mit welchem Aufwand nach Spuren gesucht wurde. Was aber, wenn der Täter nie im Haus gewesen war? Weder vor noch nach der Tat? Dann war der ganze Aufwand umsonst, ja es konnten sogar falsche Fährten daraus erwachsen.

      In der Küche stand ein runder Holztisch, auf dem einige Briefe lagen, ungeöffnet, verstreut, so als wären sie mit Blick auf die Absender durchgesehen worden, und ein Stapel ungelesener Zeitungen, der zünftig durchmischt war mit buntem Werbematerial. Kurz: die gesammelte Post einer Woche.

      Die Küche war überstellt. Schmutzige Pfannen standen neben Schüsseln mit Speiseresten, ein Abtropfsieb, eine Salatschleuder und allerlei Gerätschaften lagerten um den Abwaschtrog, und im Waschbecken stapelte sich das schmutzige Geschirr neben einer Teekanne und einer leeren Mineralwasserflasche; dazwischen lagen Schöpfbesteck, Rührkellen, Schwingbesen, Messer und ein Gemüsehobel herum; ein grüner Eimer quoll über von Rüstabfällen; eine Küchenschürze hing wie hingeworfen über einer Stuhllehne. Der Boden war klebrig.

      Da hatte jemand mit einer chaotischen Ader gekocht. Den Spuren nach Steaks, Nudeln, Rosenkohl, Karotten, Salat. Der Geruch, der von diesem Durcheinander ausging, war säuerlich und reizte meinen Magen.

      Im Wintergarten war das Essen aufgetischt und verzehrt worden, auf dem Marmortisch standen die Überreste des ausgiebigen Mahls: zwei Kaffeetassen, beide voll, Dessertteller, Besteck, ein paar Biskuits in einer Schale, Kaffeerahm, eine Flasche Mineralwasser, eine leere Weinflasche, Gläser, eines noch halbvoll, zerknüllte Servietten, fünf gelbe Rosen, die ihre Köpfe hängen liessen, ein gusseiserner Kerzenhalter mit zwei Stummeln, und am äussersten Rand: die Zuckerdose. Ich stellte mir die Situation vor: Schilds hatten sich zurückgelehnt, waren beim Kaffee angelangt, genossen die Zweisamkeit, ihr Haus, den Abend, die Heimkehr, die Ruhe. Auf diesen Moment musste der Täter gewartet haben.

      Hier war die Luft abgestanden, stickig, warm. Ich öffnete die Schiebetür bis zur Hälfte, atmete an der frischen Luft tief durch und lauschte in den Garten. Das Rauschen der Autobahn klang auf dieser Seite wie ein Flüstern der Nacht. Sehen konnte ich wenig. Das Licht fiel auf den Rasen, auf ein Kräuterbeet links, und endete rechts an der tiefsten Stelle, wo ein Schwimmteich lag, dessen Wasseroberfläche die Nacht spiegelte. Die Umrandung des Gartens konnte ich nicht erkennen, die Strasse mit der Beleuchtung lag auf der Vorderseite des Hauses.

      Ich drehte mich um – und sah das eingetrocknete Blut auf dem abgerückten Stuhl hinter dem Tisch. Die Rückenlehne war von oben bis unten rot, verschmiert, das Sitzpolster blutgetränkt. Schild hatte sich erhoben, als der Täter vor ihm stand, dann hatte die Kugel seinen Hals durchbohrt und war hinten auf einer metallenen Querverstrebung der Verglasung abgeprallt. Die Person von der Spurensicherung hatte sie bestimmt gefunden, denn weit konnte sie nicht mehr geschwirrt sein. Schild war auf den Stuhl zurückgesunken.

      Hatte der Täter erkannt, dass Schild tödlich verletzt war? Hatte er deshalb kein zweites Mal geschossen? Oder war er vor der Ehefrau geflohen, die zurückkam, aufgeschreckt und bestürzt, als sie den Knall hörte? Sicher ist einzig, dass Schild nicht mehr lange lebte, vermutlich hatte er das Bewusstsein verloren, bevor seine Frau zur Tür hereinschaute. Die Kugel stammte aus einer kleinkalibrigen Waffe, sonst hätte der Aufprall den Mann nach hinten gerissen, zusammen mit dem Stuhl. Schild war mit einem dieser neuen Dinger erschossen worden, deren Lärm kaum von einem Korkenknall zu unterscheiden ist, deren Kugeln aber, am richtigen Ort eingedrungen, tödlich sind.

      Dem Besteck nach hatten sie ihr Essen in trauter Zweisamkeit verzehrt, die Überbleibsel des Gedecks lagen so, dass man annehmen konnte, Schilds seien nebeneinander gesessen. Mir fiel die Bedeutung des Satzes ein: «Liebe heisst nicht, sich verliebt in die Augen zu schauen, sondern gemeinsam in dieselbe Richtung zu blicken.»

      Ich stellte mich hinter die beiden Stühle und blickte hinaus, wie sie es wahrscheinlich getan hatten. Meine Gestalt spiegelte sich in den Glaswänden, und das viele Licht machte mich nachtblind.

      Es musste eine Aussenbeleuchtung geben – nahm ich an –, ich suchte die Schalter und fand drei an der Säule, bei der die Schiebetür einrastete. Ich knipste alle drei an. Na also! Scheinwerfer flammten auf, irgendwo unter der Dachtraufe – der Garten erstrahlte wie ein Fussballfeld bei einem Abendspiel: Rasen, Kräutergarten, der Granitplattenweg bis zur Steinplatte, von der eine Steintreppe in den Schwimmteich führte, alles wurde von Licht überflutet. Selbst tief im Wasser, unter dem untersten Tritt der Treppe, am Teichgrund, erstrahlte ein Scheinwerfer und erhellte das Wasser.

      Gespensterhaft.

      Ich ging durchs Haus und knipste alle Lichter aus. Nun war die Aussicht vom Tisch aus berückend, auffallend stimmungsvoll, als wäre die Anlage nach einem Bild angeordnet und für die Sicht von diesem Platz aus gebaut worden. Eine kleine Bogenbrücke aus Holz führte über den Teich. Dahinter Blumenbeete, Schilf, ein Steingarten, eine mannshohe Tanne, Sträucher, ein Gartengrill. Wer so viel Geld in den Garten steckte, der wollte auch nachts etwas davon sehen können, das war verständlich.

      Und der Täter? Der musste entschlossen gewesen sein, von starken Gefühlen getrieben, denn er kam trotz des Flutlichts und ungeachtet des Augenpaares, das auf ihn gerichtet war, über den Rasen geschritten (oder gelaufen?), und schoss ohne Warnung. Er hatte diesen Weg gewählt, obschon er damit rechnen musste, erkannt zu werden! Das heisst, falls er Schild überhaupt bekannt gewesen war, was ich stark annahm, denn Schild hätte gewiss abwehrend reagiert, wäre ein Fremder auf diesem ungewöhnlichen Weg zum Haus gekommen. Er hätte sich misstrauisch aufgemacht, den Mann anzuhalten.

      Und bei einem Freund? Ich versuchte mir vorzustellen, was ich getan hätte, wäre ein Freund auf diesem Weg hergekommen. Ich wäre sitzen geblieben, gewiss, wäre überrascht gewesen, ziemlich überrascht sogar, hätte gewartet und ihm bestenfalls etwas zugerufen. Mehr nicht. Und bei einem Fremden? Ich wäre aufgestanden und hätte ihm von der Schiebetür aus zugerufen, vorsichtig, reserviert, vielleicht barsch oder bestimmt und Respekt heischend. Zur Flucht getrieben hätte mich einzig und allein ein maskierter Irrer.

      Dieses verschwenderische Licht im Garten ging mir auf die Nerven, ich schaltete es aus, liess den Garten wie das Haus im Dunkeln, knipste meine Taschenlampe an und begab mich in den oberen Stock.

      Auch hier standen die Türen offen, die Fenster und die Rollläden waren indes geschlossen, und der Spannteppich war sauber. Ich zog die Schuhe aus, fingerte mit dem Strahl der Taschenlampe durch jede Tür, in jeden Raum – da oben war kaum jemand gewesen – und überlegte, wo der entscheidende Hinweis, der Schlüssel zur Klärung des Falles zu finden sein könnte.

      Wenn es ein Auftragsmord gewesen war, wie es im «Blick» stand, hiesse das, im Büro suchen. Mir sah das eher nach einem Beziehungsmord aus, und ich beschloss, im Schlafzimmer zu schnüffeln.

      Es lag über dem Hauseingang. Das Licht von der Strasse schimmerte durch die Ritzen der Rollläden, überzog die Wände mit nadelfeinen Streifen und schraffierte die Einrichtungsgegenstände. Ich stand vor dem Bett, knipste die Taschenlampe aus, liess Zeit verstreichen, um meine Augen an die Dunkelheit zu gewöhnen, und sog derweilen den Duft ein. Es roch nach muffiger Wäsche, mit einem Hauch Chlor, entfernt

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