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Single Malt, den ich kannte, und sagte: «Einen Fingerhut von dem, und ich schweige, bis Sie mir alles erzählt haben.»

      «Eis?»

      «Drei Tropfen Wasser, bitte.»

      Sie schüttete Whisky ins Glas, als wäre es Milch, gab wenig Wasser dazu und hielt mir das Glas hin. Danach stellte sie sich wieder vor die beiden Eckfenster, hinter denen die Geranien mit ihren roten Blüten von Zeit zu Zeit hereinwinkten. Sie rauchte mit spitzen, altrosa geschminkten Lippen und leicht nervös, wie mir schien: «Gestern Abend ist unser Mitarbeiter, Dr. Reto Schild, ermordet worden. Er sass zusammen mit seiner Frau zu Hause in seinem Wintergarten beim Abendessen. Seine Frau begab sich in die Küche, um …», hier stutzte sie, trat an das Pult, auf dem nichts lag als ein dünnes Dossier, schlug es auf, fand auf Anhieb, was sie suchte, und zitierte daraus: «‹… um den Zucker zu holen›. Kaum war sie in der Küche, hörte sie einen Schuss, und als sie zur Tür hin rannte, sass, nein hing ihr Mann sterbend in seinem Stuhl.»

      Sie blickte zur Decke und redete erstaunlich gelassen weiter: «Jemand hat ihn erschossen.»

      Sie ging zurück zum Fenster. Jetzt erkannte ich, weshalb: Das linke Fenster stand eine Handbreit offen, auf dass der Rauch abziehen möge – was er natürlich nicht tat.

      Sie war eine grosse Frau in einem altrosa Deux-Pièces, trug eine zweireihige Perlenkette, Goldringe an den Ohren und eine dicke Goldkette am rechten Handgelenk. Sie hatte gewelltes Haar, das mich in seiner Form, Farbe und Glanz an einen dieser Bilderrahmen erinnerte, wie sie im Schloss Jegenstorf in den düsteren Gängen hingen und Porträts von Fürsten oder Schlossherren aus dem Mittelalter zierten. Das Haar hatte sie mit Festiger fixiert, es fiel ihr nie eine Strähne ins Gesicht, auch nicht, als sie sich über das Dossier beugte. Während des Redens begann sie im Büro auf- und abzugehen, bedächtig und konzentriert, und jedes Mal, wenn sie vor dem Eckfenster stand, mit beiden Beinen fest auf dem Boden, im Abendlicht, das den Raum zum Glühen brachte, wie man es nur im September er lebt, strahlte sie alles aus, was es braucht, um als Berufene zu gelten: Zuständigkeit, Wahrhaftigkeit, Tugendhaftigkeit. Sie verdiente Vertrauen. Mehr noch: Respekt.

      Wenn sie sich in der entfernten Ecke umdrehte, stets auf demselben Fuss und mit einem Schwung, der den Rock aufleben liess, wenn sie ihren männlichen Kiefer reckte, der ihre Willensstärke unterstrich, wurde Kampfgeist, gepaart mit Kühnheit und Freisinn, erkennbar. Daneben verkörperte sie zwei Wesen, zwei Gemüter: ein mütterliches und ein schwesterliches. Und über allem wusste sie die Erfahrungen aus mehreren Generationen Erfolgsgeschichte in sich vereint. Mit einem Wort, sie war eine Aristokratin.

      Ich darf noch erwähnen, dass ihr Gesicht nur geringe Spuren ihrer persönlichen Erfahrungen aufwies. Die Falten auf ihrer Stirn, um die Mundwinkel und der Schatten unter den Augen stammten eher von einer schlaflosen Nacht als von anhaltendem Ärger oder Reibereien. Ausgeruht hätte ihr Gesicht weder Anzeichen von Alterung noch Verbitterung gezeigt. Ihr Gesicht war von einer gereiften Schönheit, wie sie nur Frauen haben, die sich regelmässig acht Stunden Schlaf gönnen.

      «Sie hat den Täter flüchten sehen», hörte ich sie sagen. Sie war wieder auf dem Weg zur Büromitte, zerteilte das Gespinst des Zigarrenrauchs mit der freien Hand und rang unerwartet mit dem Schmerz, der sie mit einem Mal zu überwältigen drohte, presste die Augen zu und legte Daumen und Zeigefinger an die Nasenwurzel.

      Ich tat, was ich versprochen hatte: Ich trank und schwieg – und schaute weg.

      Sie hatte sich wieder gefangen, schluckte Rauch, hüstelte, streifte die Asche von der Zigarre und redete weiter, mit geröteten Wangen, einem wässrigen Glanz in den Augen und mit einem Kratzen in der Stimme: «Wir haben uns überlegt, eine Belohnung auszusetzen. Dann sind wir zur Überzeugung gelangt, dass es besser ist, mit dem Geld – wie soll ich sagen? – jemanden wie Sie zu engagieren.»

      Mag sein, dass ich eine Augenbraue hob, abgesehen davon schwieg ich, noch war der Single Malt nicht ausgetrunken und sie nicht zu Ende mit dem, was sie zu berichten hatte.

      Sie liess sich Zeit, den Auftrag zu formulieren, sie redete vorerst von ihrer Idee, die Sache selbst in die Hand zu nehmen, wählte die Worte sorgfältig und überlegt, hielt nach jeder Wende inne und blickte mich an.

      Dann kam sie auf die Polizei zu sprechen.

      «Wir bezweifeln nicht», sagte sie, «dass die Polizei irgendwann einen Verdächtigen fassen wird. Aber ich will, dass er nicht irgendwann, sondern rasch gefasst wird, dass er verurteilt wird, dass er hinter Gitter kommt und für die Tat büsst, die er begangen hat, und zwar so lange, wie es gesetzlich möglich ist. Ich will nicht, dass ihm mildernde Umstände zugestanden werden, dass er in eine Anstalt abgeschoben wird oder gar aus Mangel an Beweisen freikommt. Sie haben bei der Polizei gearbeitet, Sie wissen, was ich meine. Das ist eine grosse Truppe, und da hat es – wie soll ich sagen? – Anfänger darunter, Stümper, Tölpel, die mehr vermasseln, als entschuldigt werden kann. Glauben Sie mir, die Verteidigung ist unser Geschäft, unsere Stärke, ich weiss, wovon ich spreche. Wie oft haben wir eine Anklage zerpflückt und einen Freispruch erwirkt, bloss weil die Anklagepunkte nicht zweifelsfrei begründet, weil die Schuld nicht hieb- und stichfest nachgewiesen werden konnte. Oftmals auch nur wegen Verfahrensfehlern oder weil die Spurensicherung versagte, weil bei der Sicherstellung der Tatwaffe Spuren verwischt, weil Beweismittel zerstört wurden oder in der Zeit bis zur Verhandlung aus dem Polizeiarchiv verschwanden. Die Liste ist endlos. Ob aus Nachlässigkeit, fehlender Aufsicht oder mangelnder Professionalität, spielt keine Rolle. Ich weiss nicht, ob Sie eine Vorstellung davon haben, welche Pannen bei der Polizei vorkommen: Haut- oder Haarproben werden verwechselt, Mageninhalte verderben und werden entsorgt, sichergestellte Dokumente, Waffen und Drogen verschwinden, Kleider werden gewaschen; manchmal scheint es mir, die Täter hätten eine geheime Macht über die Polizei. Nein, Herr Bergmann, wir wollen, dass der Täter ins Zuchthaus kommt, und zwar richtig und für lange Zeit, und dazu brauchen wir Ihre Hilfe.»

      Noch hatte ich Whisky im Glas, einen Fingerbreit, also wartete ich, nahm einen Schluck und wartete; wartete auf Ergänzungen, auf Erklärungen, auf Bedingungen zum Auftrag, die ich akzeptieren oder ablehnen konnte, und dergleichen mehr, aber sie stand vor mir, rauchte und blieb stumm.

      Da fragte ich: «Der Täter ist also bekannt?»

      Sie nickte.

      Ich trank aus, stand auf und stellte das Glas vorne auf die Bar. Der Whisky rollte langsam hinab, und seine rauchige Wärme belebte meine Glieder, anregend, erheiternd, bis in die Zehenspitzen spürbar, er besänftigte meine Ungeduld, milderte meine Müdigkeit und hob mein Körpergefühl. Ich sagte: «Verstehe. Sie suchen jemanden, der alles beseitigt, was zu seiner Entlastung beitragen könnte. Da bin ich nicht der richtige Mann für Sie.»

      Ich streckte ihr die Hand hin, aber ihre Augen wurden hart und funkelten wie Diamanten, sie sprach eine Spur zu laut: «Nein, Herr Bergmann, Sie verstehen mich falsch. Wir erwarten von Ihnen, dass Sie Indizien zusammentragen, Belastungsmaterial finden und sicherstellen, Zeugen aufspüren, Aussagen festhalten; falls es zum Prozess kommt, wollen wir ihn gewinnen, mit Indizien und Belastungsmaterialien, nicht mit irgendwelchen Machenschaften!»

      Ich war nicht bereit nachzugeben: «Ich sehe nicht, was ich da für Sie tun kann. Was Sie brauchen, ist keine Hilfe von meiner Seite, sondern etwas Geduld – und Vertrauen in die Polizeiarbeit. Vielen Dank für den Whisky.»

      Sie schüttelte den Kopf, seufzte tief aus dem Bauch heraus, schritt zur Bar, drückte den Zigarrenstummel im Aschenbecher aus und sagte: «Sie verstehen mich falsch. Die Frau war schwanger. Sie steht unter Schock, sie hat ihr Kind und ihre Sprache verloren. Wir nehmen an, dass sie den Täter kennt, aber sie kann uns den Namen nicht nennen, sie ist nicht ansprechbar.»

      Sie wandte sich um, blieb vor der Bar stehen und redete gegen die Flaschen in die zunehmende Dunkelheit: «Er läuft frei herum, und das lässt mir keine Ruhe», sie stiess die Wörter mit derselben Abscheu aus, die schon am Telefon deutlich zu hören war, «die Polizei wird ihn finden, daran zweifle ich keinen Moment. Aber ich will, dass er rasch gefunden wird, ich will ihn eingesperrt wissen, bevor er weiter Unheil anrichten kann.» Ihre Hände ballten sich zu Fäusten.

      Ich überlegte. Sie hatte von einer Belohnung gesprochen.

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