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Eisenbahn frei wurde, ergriff Helfferich die Gelegenheit, seine Sporen an einem der bedeutsamsten Berührungspunkte zwischen Wirtschaft und Politik in dieser Zeit zu verdienen. Die Bahn war ein Tochterunternehmen der Deutschen Bank und Teil des großen Projekts einer Bagdadbahn, mit welcher Deutschland die Seeherrschaft Großbritanniens auszuhebeln suchte. Eine schnelle und zuverlässige Landverbindung zu den rohstoffreichen Gegenden im Mittleren Osten und zu einem Hafen am Persischen Golf war der große Preis der Außenpolitik, da so ein von Deutschland kontrollierter Handelsweg zum indischen Subkontinent erschlossen würde. Helfferich bewegte sich geschickt durch das politische Minenfeld, zu dem der Aufbau einer deutschen Infrastruktur im Osmanischen Reich unweigerlich werden musste. Es gelang ihm, die osmanische Regierung davon zu überzeugen, Franzosen und Engländer hätten imperiale Gelüste und wollten politischen Einfluss im Osmanischen Reich gewinnen, während Deutschland vorgeben konnte, rein kommerzielle Interessen zu verfolgen. Auch die 1908 an die Macht gelangten »Jungtürken« konnte Helfferich in diesem Sinne beeinflussen. Es sprach für sein diplomatisches Geschick, dass er mit diesem Argument Glauben fand. Der Bau der Bagdadbahn gehörte zu den wenigen diplomatischen Erfolgen des Wilhelminischen Deutschland in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg.7 Diese Aufgabe löste er zur größten Zufriedenheit seiner Förderer. 1908 wurde er, im Alter von nur 36 Jahren, Vorstand bei der Deutschen Bank.

      Helfferichs Berufung zum Finanzstaatssekretär wurde dennoch als Überraschung empfunden. Die Aufgabe war kolossal: Ein Jahr nach Kriegsbeginn, als er seinen Haushalt für das Jahr 1916 vorlegte, war es längst klar, dass dieser Konflikt nicht mit den kurzen und weitgehend schmerzlosen Auseinandersetzungen des 19. Jahrhunderts vergleichbar war. Er würde lange dauern und die Kosten an Menschen und Material immens sein. In seinem Amt schloss Helfferich sich der allgemeinen Auffassung an, dass am Ende des Krieges Deutschland den Verlierern eine gewaltige Rechnung präsentieren würde. Daher legte er ein äußerlich konventionelles Budget vor, in welchem die üblichen Einnahmen und Ausgaben, wie es sie auch in Friedenszeiten gegeben hätte, ausgeglichen waren. Die Kosten des Krieges wurden in einem Sonderhaushalt verbucht, als dessen wesentliche Einnahme die Erlöse aus dem Verkauf von Kriegsanleihen ausgewiesen wurden. Außerordentliche Haushalte hatte es immer wieder gegeben. Prinzipiell waren darin enthaltene Ausgaben nur für Investitionen vorgesehen, die sich in der Vorstellungswelt der Haushaltspolitiker über die Zeit von selbst finanzierten. So sollte es auch mit dem Kriegshaushalt sein, in welchem man den Verlierern gewissermaßen Geld vorstreckte, das sie zurückzahlen würden, wenn man ihnen nach der Kapitulation die Rechnung präsentierte.

      Der Posten eines Finanzministers war im Krieg nicht dazu geeignet, seinem Inhaber zu Ruhm und Ehre zu verhelfen. Helfferichs Lage war aber noch ein Stück unbequemer als die seiner europäischen Kollegen. Auf der einen Seite hatte er es mit Generälen zu tun, die sich stets vor dem entscheidenden Durchbruch wähnten und für ihre Männer das nötige Material forderten. Kein Land möchte einen Krieg verlieren, bloß weil an der falschen Stelle gespart wurde. Wer wollte sich mit buchhalterischen Kleinigkeiten aufhalten, wenn draußen die größten Schlachten der Menschheitsgeschichte tobten? Sein Ehrgeiz richtete sich also nicht darauf, als Sparkommissar in die Geschichte einzugehen. Einen Besuch bei der Obersten Heeresleitung nutzte Helfferich daher lediglich dazu, das bisherige Motto »Geld spielt keine Rolle« durch »Wer die Millionen nicht ehrt, ist der Milliarden nicht wert« zu ersetzen. Wer mit solchen launigen Sprüchen vor Hindenburg und Ludendorff auftrat, konnte allerdings nicht viel erwarten. Jedenfalls weder Respekt noch Sparsamkeit.

      Auf der anderen Seite sah Helfferich sich mit einem Problem konfrontiert, welches aus der Konstruktion der Bismarck’schen Reichsverfassung resultierte: Die Länder verteidigten hartnäckig ihre Hoheit über die direkten Steuern vor dem Zugriff aus Berlin. Das Reich schulterte gewaltige Ausgaben für den Krieg, hatte aber kaum Zugriff auf die finanziellen Ressourcen des Landes. Es hätte einer großen Verfassungsreform bedurft, um dem Reich und den Ländern jeweils eigene Steuern zuzuweisen, damit sie unabhängig ihre Aufgaben erfüllen konnten. Dafür war nach Helfferichs Auffassung nun aber nicht die Zeit, und ohnehin gab es rühmlichere Aufgaben als die Reform der Finanzverfassung. Also standen den entgrenzten Ausgaben nur tröpfelnde Einnahmen gegenüber, und in Helfferichs Haushalt türmten sich die Schulden.

      Das naheliegendste Mittel zur Eindämmung der Staatsschulden wäre die Erhöhung der Steuern, etwa auf Kriegsgewinne, gewesen – wie es in Großbritannien und wenig später in den USA geschah. Die Erlöse in den kriegswichtigen Industrien kletterten in erstaunliche Höhen und sorgten für erhebliche Unruhe in der Bevölkerung, die den Gürtel immer enger schnallen musste. Auf diesem Wege wären hohe Steuereinnahmen zu holen gewesen und die Arbeiterklasse, aus der die Mehrzahl der Soldaten in diesem Krieg stammte, hätte nicht das Gefühl haben müssen, die Lasten wären ungleich verteilt. Während die jungen Arbeiter und Bauern an der Front die größten Opfer brachten, machten sich die Industriellen und die Händler die Taschen voll – so lautete der verbreitete Verdacht. Helfferich entschied sich aber gegen Steuererhöhungen und für die Fiktion einer nur vorübergehenden Finanzierungslücke.

      Am 20. August 1915 rechtfertigte er in einer emotionalen Rede im Reichstag seinen Kurs.

      »Meine Herren, wie die Dinge liegen, bleibt also vorläufig nur der Weg, die endgültige Regelung der Kriegskosten durch das Mittel des Kredits auf die Zukunft zu schieben, auf den Friedensschluß und auf die Friedenszeit. Und dabei möchte ich auch heute wieder betonen: wenn Gott uns den Sieg verleiht und damit die Möglichkeit, den Frieden nach unseren Bedürfnissen und nach unseren Lebensnotwendigkeiten zu gestalten, dann wollen und dürfen wir neben allem anderen auch die Kostenfrage nicht vergessen;

      (lebhafte Zustimmung)

      das sind wir der Zukunft unseres Volkes schuldig.

      (Sehr wahr!)

      Die ganze künftige Lebenshaltung unseres Volkes muß, soweit es irgend möglich ist, von der ungeheuren Bürde befreit bleiben und entlastet werden, die der Krieg anwachsen läßt.

      (Sehr wahr!)

      Das Bleigewicht der Milliarden haben die Anstifter dieses Krieges verdient;

      (sehr richtig!)

      sie mögen es durch die Jahrzehnte schleppen, nicht wir.

      Der Reichstag lauschte offensichtlich in bester Stimmung den Ausführungen des Finanzministers. Im Anschluss an diese Worte sinnierte Helfferich noch kurz darüber, ob die arg geschwächten Kriegsgegner angesichts ihrer »ungeheuren finanziellen Schwächung«

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