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einen Teil ihrer Ernte den dunklen Kanälen der Wirtschaft zu. Sie gaben die mehligen Äpfel an die offiziellen Märkte ab und verkauften die guten unter der Hand zu stetig höheren Preisen. Der bessere Teil der Ernte ließ sich immer abzweigen und an illegale Zwischenhändler, die Schieber, weiterverkaufen, die ihre gute, aber unrechtmäßige Ware mit großem Gewinn in den Städten teurer und immer teurer veräußerten. Die Preiskontrollen waren zwar effizient, aber der Preisauftrieb war trotzdem da, auch wenn er sich nur in den dunkleren Gassen und Hinterhöfen manifestierte. Wie eine Wühlmaus im Wurzelwerk eines Baumes nagte die unterdrückte Inflation unsichtbar weiter und richtete einen Schaden an, der erst sehr viel später offiziell sichtbar werden würde. Die Kombination aus Planwirtschaft und unbegrenzt verfügbarem Geld erwies sich im Ersten Weltkrieg jedenfalls als unheilige Allianz.

      Das Leben in Deutschland wurde nicht nur teuer, sondern auch schäbig und lückenhaft. Durch den Mangel wurden die Sachgüter ebenso abgenutzt wie die Moral, was sich in der Neigung zum Diebstahl bei den Armen und zur plumpen Prasserei bei den neureichen Kriegsgewinnlern zeigte. Je länger er sich hinzog, desto offensichtlicher wurde es, dass die deutsche Wirtschaftskraft nicht für einen großen Krieg ausgelegt war. In der Geschichte war Inflation oft die Konsequenz aus langen, zehrenden Kämpfen – das wusste man spätestens seit der Geldverschlechterung im Rom des 2. und 3. Jahrhunderts n. Chr. Das Phänomen wiederholte sich im Ersten Weltkrieg, vor aller Augen. Dennoch machte sich Rathenau, wie die ganze deutsche Elite, keine Gedanken über das Thema, zu fern schien es, zu unwahrscheinlich, vielleicht auch zu unwichtig.

      In einer Planwirtschaft sind die Abläufe selten so effizient, wie die Planer sich vorstellen. Die Dinge werden oft nicht in der richtigen Menge oder der richtigen Qualität hergestellt, was die Ressourcen stärker strapaziert als nötig. Die heute – neben der Quantitätstheorie und der Fiskalischen Theorie der Inflation – in Umlauf befindliche neukeynesianische Theorie der Inflation untersucht unter anderem die Effekte, die sich ergeben, wenn der Wettbewerb nicht reibungslos funktioniert, weil der Markt versagt oder Löhne und Preise starr sind und sich neuen Marktlagen nicht flexibel anpassen. Die Neukeynesianer sehen den Zusammenhang zwischen Löhnen (die normalerweise nur nach oben flexibel sind) und Inflationsrate in der sogenannten Phillipskurve. Niedrige Arbeitslosenzahlen gehen mit hohen Inflationsraten einher (denn die Arbeitnehmer können höhere Löhne fordern) und umgekehrt. Aber auch diese Theorie hat es, wie die anderen auch, nicht leicht gehabt. In den 1970er Jahren kam es zu einer Stagflation (so der Name für die Koinzidenz von hoher Inflationsrate bei gleichzeitig hoher Arbeitslosigkeit), die mit der Phillipskurve im Widerspruch zu stehen schien. Und seit der Jahrtausendwende ist die Kurve flach geworden, so flach, dass man heute darüber spekuliert, ob der Zusammenhang überhaupt noch besteht.

      Rathenau begriff dank seiner Tätigkeit in der Kriegsrohstoff-Abteilung relativ bald, dass dieser Krieg kaum einen Stein auf dem anderen lassen würde. Und er ahnte, dass die Konsequenzen weit über den militärischen Bereich hinausgehen sollten. Nach nur acht Monaten zog er sich von der Aufgabe als oberster Wirtschaftsdirektor des Landes zurück und begab sich wieder in seinen Wartestand, halb literarischer Privatier, halb politökonomisches Tier. Er spürte, wie die alte Ordnung sich auflöste und dass es in dieser Situation dankbarer war, die Beobachterrolle einzunehmen als ein Amt innezuhaben. Spätestens mit dem Kriegseintritt der USA 1917 sah er, dass die Träume vom Sieg- und Annexionsfrieden längst nicht mehr der Wirklichkeit entsprachen, und seine Stimmung wurde zunehmend pessimistisch. Weder das Kaisertum, so viel war ihm klar, noch die deutsche Vormachtstellung in Europa würden die sich abzeichnende Niederlage überleben.

      Sein System von Preiskontrollen, Rationierungen und staatlicher Verteilung löste sich allerdings nach Kriegsende nur langsam auf und blieb teilweise durch die ganze Inflationszeit hindurch bestehen. Bürokratien sind zählebig.

      22Zit. nach Schölzel: Walther Rathenau, S. 175.

      23Zit. nach G. Mann: Walther Rathenau, Praktiker und Philosoph, S. 10.

      24Gall: Walther Rathenau – Portrait einer Epoche, S. 157.

      25Zit. nach Schölzel: Walther Rathenau, S. 372f.

      26Rathenau: Von kommenden Dingen, S. 220.

      27Th. Mann: Doktor Faustus, S. 436.

      28H. Fürstenberg: Erinnerungen, S. 105.

      29G. Mann: Walther Rathenau, Praktiker und Philosoph, S. 12.

      30Dieses und die folgenden Zitate finden sich bei Walther Rathenau: Die Organisation der Rohstoffversorgung. Vortrag, gehalten am 20. 12. 1915 vor der Deutschen Gesellschaft.

      31Feldman: The Great Disorder, S. 63.

      32Sombart: Händler und Helden, S. 4. Die Seitenangaben im folgenden Absatz beziehen sich ebenfalls auf diesen Text.

      33Vgl. Diner: Feindbild Amerika. Über die Beständigkeit eines Ressentiments.

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