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der Wirtschaft funktionierte nicht mehr nach dem Prinzip der freien Selbstorganisation, sondern wurde durch ein zentrales planendes Nervensystem gesteuert. Der Erfolg war beträchtlich: Deutschland gelang es, seinem Belagerungszustand zum Trotz, sich weitgehend selbst mit allen wesentlichen Gütern zu versorgen, die es bislang an den internationalen Märkten bezogen hatte.

      Unter dem Stichwort »Zwangswirtschaft« ergriff Rathenaus Behörde eine Vielzahl von Maßnahmen. Etwa wurde eine Kriegsgetreidegesellschaft gegründet, welche die gesamte heimische Getreideproduktion und den -import kontrollierte. Das Kriegsernährungsamt war dafür zuständig, die Nahrungsmittel gleichmäßig und insbesondere an die Soldaten, Schwerstarbeiter und Stadtbevölkerung zu verteilen. Bald war eine unüberschaubare Zahl von Ämtern damit beschäftigt, den »richtigen« Preis für die lebensnotwendigen Waren festzusetzen. Aber welcher Preis ist schon richtig? Insbesondere in den Augen der Städter waren das Angebot und die Preise bestenfalls ein Witz. Ihr Zorn richtete sich aber nicht auf die staatlichen Stellen, sondern auf die Einzelhändler, denen sie vorwarfen, die Situation auszunutzen, indem sie knappe Waren in der Hoffnung auf höhere Preise zurückhielten. Im Juli 1915 wurde daher eine Preistreibereiverordnung erlassen, wonach niemand im Kriege eine höhere Gewinnspanne verlangen durfte als zu Friedenszeiten. Um die Richtigkeit der Preise vor dem Gesetz zu gewährleisten, wurden Preisprüfungsstellen dekretiert, die der Volkswirtschaftlichen Abteilung des Kriegsernährungsamts unterstellt waren und auf Kreisebene nicht nur kontrollieren, sondern auch die konsumierende Bevölkerung mit nützlichen Informationen versorgen sollten. Es gab Versuche, den »Kettenhandel« zu verbieten, also Zwischenhändler, Makler und Vermittler aus dem Markt zu verdrängen. Deutschland, das Land der Planer und Organisatoren, entschied sich im Krieg für eine weitgehend gelenkte Wirtschaft.

      Das Vereinigte Königreich ging einen anderen Weg. Die Briten hielten schon lange den Markt für das ordnende Genie, das aus den unzähligen, mehr oder weniger wohlinformierten Entscheidungen der einzelnen Bürger, Unternehmen und Staatsorganen entsteht. War England in den Augen von Adam Smith, Napoleon und einer Reihe anderer kompetenter Beobachter eine nation of shopkeepers, so wollte Deutschland als das Land der Ingenieure glänzen, dessen Planer in den Komitees dank ihres Vorsprungs an Wissen und Erfahrung die besseren Entscheidungen trafen. Großbritannien entschied sich auch und gerade in dieser unsicheren Zeit dagegen, die Produktion staatlich zu organisieren. Vielmehr subventionierte der Staat die Unternehmer und kaufte, wenn die Preissteigerungen unerträglich wurden, hinreichend viele dieser knappen Güter auf, um sie dann zu einem Preis seiner Wahl an die Bevölkerung weiterzugeben. (Das Geld holte er sich über eine Kriegsgewinnsteuer wieder zurück.) Damit ging er bewusst das Risiko ein, zu viel für diese Waren zu zahlen, sind die Kaufleute doch am patriotischsten ihrer eigenen Geldbörse gegenüber. Aber die Preissignale, welche man als den Tastsinn der »Unsichtbaren Hand« in der Marktwirtschaft bezeichnen könnte, blieben erhalten. In Deutschland bedeutete deren Abwesenheit erhebliche Verzerrungen bei Konsum und Produktion, welche die Planer bald an ihre Grenzen brachten.

      Dieser verbreitete Geist der Geringschätzung wirtschaftlichen Denkens ließ nichts Gutes für die Haushaltsführung im Krieg ahnen. Die Deutschen waren ein agrarisch geprägtes Volk, das insgesamt wenig von Geld und Schulden verstand. Während die Briten, die nach wie vor Zugang zu den internationalen Kapitalmärkten hatten, auch im Krieg auf einen einigermaßen verantwortungsvollen Umgang mit Geld achteten, übten die deutschen Finanzpolitiker, die allein auf die finanziellen Ressourcen des eigenen Landes angewiesen waren, bedingungslosen Hurrapatriotismus, setzten heroisch auf Sieg und verzichteten auf die unsichtbare Hand und überhörten die warnende Stimme des Marktes.

      Der schwere Daumen des Staates sorgte dafür, dass die Preise unter dem Regime der Zwangswirtschaft kaum stiegen, obwohl die Hausfrauen immer öfter vor leeren Regalen standen. Dies war zum Teil der alliierten Seeblockade zuzurechnen und galt insbesondere für alltägliche Luxusgüter wie Tee, Kaffee, Zucker, Schokolade oder geschnittenen Tabak. Der Einsatz von immer mehr Arbeitern an der Front und die ausbleibenden Investitionen in Maschinen, die nicht unmittelbar kriegswichtig waren, ließen aber auch die Quantität und Qualität der heimischen Produktion mit den Jahren zusehends abnehmen – und dabei ging es bald nicht um Überflüssiges, sondern um das Eingemachte.

      Die Nachfrage nach den immer knapperen Gütern war also hoch und die Bevölkerung insgesamt,

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