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Die große Inflation. Georg von Wallwitz
Читать онлайн.Название Die große Inflation
Год выпуска 0
isbn 9783949203152
Автор произведения Georg von Wallwitz
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Unter dem Stichwort »Zwangswirtschaft« ergriff Rathenaus Behörde eine Vielzahl von Maßnahmen. Etwa wurde eine Kriegsgetreidegesellschaft gegründet, welche die gesamte heimische Getreideproduktion und den -import kontrollierte. Das Kriegsernährungsamt war dafür zuständig, die Nahrungsmittel gleichmäßig und insbesondere an die Soldaten, Schwerstarbeiter und Stadtbevölkerung zu verteilen. Bald war eine unüberschaubare Zahl von Ämtern damit beschäftigt, den »richtigen« Preis für die lebensnotwendigen Waren festzusetzen. Aber welcher Preis ist schon richtig? Insbesondere in den Augen der Städter waren das Angebot und die Preise bestenfalls ein Witz. Ihr Zorn richtete sich aber nicht auf die staatlichen Stellen, sondern auf die Einzelhändler, denen sie vorwarfen, die Situation auszunutzen, indem sie knappe Waren in der Hoffnung auf höhere Preise zurückhielten. Im Juli 1915 wurde daher eine Preistreibereiverordnung erlassen, wonach niemand im Kriege eine höhere Gewinnspanne verlangen durfte als zu Friedenszeiten. Um die Richtigkeit der Preise vor dem Gesetz zu gewährleisten, wurden Preisprüfungsstellen dekretiert, die der Volkswirtschaftlichen Abteilung des Kriegsernährungsamts unterstellt waren und auf Kreisebene nicht nur kontrollieren, sondern auch die konsumierende Bevölkerung mit nützlichen Informationen versorgen sollten. Es gab Versuche, den »Kettenhandel« zu verbieten, also Zwischenhändler, Makler und Vermittler aus dem Markt zu verdrängen. Deutschland, das Land der Planer und Organisatoren, entschied sich im Krieg für eine weitgehend gelenkte Wirtschaft.
Unter den Bedingungen der Planwirtschaft wird meist der Mangel, den sie eigentlich beheben sollte, ungewollt verstärkt. Bei dem Bestreben, der Bevölkerung etwas Gutes zu tun und sie hoffentlich auch ruhigzustellen, werden die Preise regelmäßig zu niedrig festgesetzt. Die Konsumenten sind dadurch versucht, mehr zu kaufen, als sie benötigen, während die Produzenten angesichts dieser Hamsterei keinen Anreiz verspüren, mehr als das Nötigste herzustellen, wenn sie den Betrieb nicht sogar ganz einstellen oder ihre Ware an das Ausland verkaufen. Ausländische Produzenten werden ohnehin nicht mehr liefern und somit die Ware noch weiter verknappen. Die Festsetzung eines Preises allein löst nicht das Problem, gesuchte Güter erschwinglich zu machen. Um die Mangelerscheinungen in einer Wirtschaft mit staatlich gedeckelten Preisen zu beseitigen, müssen die Behörden also auch dafür sorgen, dass hinreichend Güter auf den Markt kommen. Die Erfolge der Zwangswirtschaft waren in dieser Hinsicht aber erwartbar gering. Es kam bald zu Versorgungsengpässen, die zu unschönen Szenen führten. So bemerkten in Leipzig im Mai 1916 vor einem Buttergeschäft wartende Frauen und Kinder, dass in dem Geschäft bereits Kundschaft bedient wurde, welche offensichtlich durch den Hintereingang Einlass gefunden hatte. Erregt klopften die Wartenden an das Schaufenster, und es dauerte nicht lange, bis auch Steine flogen. Es kam zum Tumult, die Polizei musste einschreiten. In anderen Teilen der Stadt meinten die Hausfrauen ähnliche Zustände bemerkt zu haben, und am Ende dauerte es drei lange Tage, bis das Feuer des Aufruhrs schließlich erstickt war.31
Das Vereinigte Königreich ging einen anderen Weg. Die Briten hielten schon lange den Markt für das ordnende Genie, das aus den unzähligen, mehr oder weniger wohlinformierten Entscheidungen der einzelnen Bürger, Unternehmen und Staatsorganen entsteht. War England in den Augen von Adam Smith, Napoleon und einer Reihe anderer kompetenter Beobachter eine nation of shopkeepers, so wollte Deutschland als das Land der Ingenieure glänzen, dessen Planer in den Komitees dank ihres Vorsprungs an Wissen und Erfahrung die besseren Entscheidungen trafen. Großbritannien entschied sich auch und gerade in dieser unsicheren Zeit dagegen, die Produktion staatlich zu organisieren. Vielmehr subventionierte der Staat die Unternehmer und kaufte, wenn die Preissteigerungen unerträglich wurden, hinreichend viele dieser knappen Güter auf, um sie dann zu einem Preis seiner Wahl an die Bevölkerung weiterzugeben. (Das Geld holte er sich über eine Kriegsgewinnsteuer wieder zurück.) Damit ging er bewusst das Risiko ein, zu viel für diese Waren zu zahlen, sind die Kaufleute doch am patriotischsten ihrer eigenen Geldbörse gegenüber. Aber die Preissignale, welche man als den Tastsinn der »Unsichtbaren Hand« in der Marktwirtschaft bezeichnen könnte, blieben erhalten. In Deutschland bedeutete deren Abwesenheit erhebliche Verzerrungen bei Konsum und Produktion, welche die Planer bald an ihre Grenzen brachten.
In Deutschland wusste man genau, was von den Briten zu halten war. 1915 erscheinen unter dem Titel Händler und Helden einige patriotische Besinnungen von Werner Sombart, einem prominenten und publizistisch aktiven Professor für Staatswissenschaften (später Volkswirtschaftslehre genannt). Darin überhöht er den Ersten Weltkrieg zu einem »Glaubenskrieg« zwischen »händlerischer und heldischer Weltanschauung und dementsprechender Kultur«.32 Die Engländer seien ein Händlervolk, das »an das Leben mit der Frage herantritt: was kannst du Leben mir geben; die also das ganze Dasein des einzelnen auf Erden als eine Summe von Handelsgeschäften ansieht (…)«. (14) Dort könne man durch »Handelstätigkeit zu Ehre und Ansehen gelangen«, was für die Gesellschaft zur Folge habe, dass sich »händlerische Weltanschauung und praktischer Kommerzialismus schließlich zu einer gar nicht mehr zu trennenden Einheit zusammenfügen«. (14) Zu beobachten sei ein »Kommerzialisierungsprozeß der gesamten englischen Kultur«, durch alle Schichten hindurch. »Kaum eines der heute lebenden Adelsgeschlechter Englands ist feudalen Ursprungs. So gut wie alle sind aus dem Kontor hervorgegangen.« (15) Selbst die englischen Philosophen seien sich nicht zu schade, sich auch wirtschaftlichen Themen zu widmen. »Platt und hausbacken fürwahr ist alle echt englische Ethik, (…) Und jeder Gedanke aus händlerischem Geist geboren« (18f.), wie man es dem Utilitarismus der Engländer in jeder Zeile anmerke. Krieg könne für ein Händlervolk »immer nur die Bedeutung haben, daß er materielle Interessen schützt oder verteidigt, (…) die Interessen der Kapitalbesitzer im Auslande«. (40) Darin unterscheide der Engländer sich nur oberflächlich vom Seeräuber. Dazu passend hätten die Engländer den Sport als Ersatz für den Krieg entwickelt, könne diesen doch der Händler »nimmermehr begreifen«. (48) Während die Händlerseele niemals »geistigen Kulturwert« hervorbringen könne, sei das »deutsche Heldentum« von ganz anderem Schlage. Deutsche Philosophen redeten von Pflicht, nicht von Glück. Der Held »will sich verschwenden, will sich opfern – ohne Gegengabe«. (64) Die Tugenden des Helden seien die entgegengesetzten des Händlers: »Opfermut, Treue, Arglosigkeit, Ehrfurcht, Tapferkeit, Frömmigkeit, Gehorsam, Güte.« (65).
Sombart formuliert eine Haltung, die bis heute in Deutschland nachhallt. Die Verachtung gegenüber der angeblich oder tatsächlich kommerzialisierten Gesellschaft der Angelsachsen und das damit verbundene Gefühl der moralischen Überlegenheit wird heute diskreter ausgedrückt, aber es gehört keine große Sensibilität dazu, um sie in vielen deutschen Gesprächen und Medien zu spüren.33
Dieser verbreitete Geist der Geringschätzung wirtschaftlichen Denkens ließ nichts Gutes für die Haushaltsführung im Krieg ahnen. Die Deutschen waren ein agrarisch geprägtes Volk, das insgesamt wenig von Geld und Schulden verstand. Während die Briten, die nach wie vor Zugang zu den internationalen Kapitalmärkten hatten, auch im Krieg auf einen einigermaßen verantwortungsvollen Umgang mit Geld achteten, übten die deutschen Finanzpolitiker, die allein auf die finanziellen Ressourcen des eigenen Landes angewiesen waren, bedingungslosen Hurrapatriotismus, setzten heroisch auf Sieg und verzichteten auf die unsichtbare Hand und überhörten die warnende Stimme des Marktes.
Der schwere Daumen des Staates sorgte dafür, dass die Preise unter dem Regime der Zwangswirtschaft kaum stiegen, obwohl die Hausfrauen immer öfter vor leeren Regalen standen. Dies war zum Teil der alliierten Seeblockade zuzurechnen und galt insbesondere für alltägliche Luxusgüter wie Tee, Kaffee, Zucker, Schokolade oder geschnittenen Tabak. Der Einsatz von immer mehr Arbeitern an der Front und die ausbleibenden Investitionen in Maschinen, die nicht unmittelbar kriegswichtig waren, ließen aber auch die Quantität und Qualität der heimischen Produktion mit den Jahren zusehends abnehmen – und dabei ging es bald nicht um Überflüssiges, sondern um das Eingemachte.
Die Nachfrage nach den immer knapperen Gütern war also hoch und die Bevölkerung insgesamt,