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Literatur anbringen, sind zu unscharf.[61] Erst recht nicht zu überzeugen vermag die Auffassung, die Gesetzesform sei nur dann gestattet, wenn das Grundgesetz ausdrücklich dazu ermächtige. Die Begründung dafür, dass der Bundestag entscheiden kann, welche Rechtsform er wählt, ergibt sich allerdings nicht aus der nach h.M. bestehenden Höherrangigkeit des Gesetzes im Verhältnis zu Geschäftsordnung. Der vorliegende Streit dreht sich nämlich nicht um ein Rang-, sondern um ein Kompetenzproblem.[62] Entscheidend ist Folgendes: Es leuchtet nicht ein, warum der Bundestag als Gesetzgeber, der unter bestimmten Bedingungen sogar in Grundrechte eingreifen darf, nicht auch sein eigenes Verfahren per Gesetz soll regeln dürfen. Der Schutzzweck der Geschäftsordnungsautonomie, der aus dem Konstitutionalismus herrührt, ist im parlamentarischen Regierungssystem größtenteils bedeutungslos.[63] Ein „Hineinregieren“ anderer an der Gesetzgebung beteiligter Verfassungsorgane in den Geschäftsgang und in die Organisation des Bundestages ist kaum zu befürchten, weder durch „aufgedrängte“ Gesetzesinitiativen mit geschäftsordnungsrechtlichem Inhalt noch durch eine Ablehnung einer vom Bundestag gewünschten Regelung einer Geschäftsordnungsfrage in Gesetzesform: Jedes Gesetz muss vom Bundestag beschlossen werden (Art. 77 Abs. 1 GG). Ein faktisches Argument tritt hinzu. Die Bundesregierung wird durch die Parlamentsmehrheit gestützt. Warum sollte sie versuchen, dem Parlament Verfahrens- und Organisationsregelungen per Gesetzesinitiative aufzudrängen? Der Bundesrat wird ebenfalls kein Interesse daran haben, den Geschäftsgang oder die Organisation des Bundestages rechtlich zu binden. Manche Gegner einer Regelung von Geschäftsordnungsfragen in Gesetzesform tragen vor, ein Gesetz binde den Bundestag stärker als eine Regelung in der Geschäftsordnung. Das Parlament dürfe von einem Gesetz nicht nach § 126 GO-BT mit Zweidrittelmehrheit abweichen; es dürfe ein Gesetz nicht gemäß § 127 GO-BT authentisch und ad hoc interpretieren; ein Gesetz sei – anders als nach h.M. die GO-BT – nicht diskontinuierlich. Aber diese Erwägungen sprechen nicht gegen die Gesetzesform. Zum einen zielen sie eher auf die Zweckmäßigkeit eines Handelns ab. Zum anderen hat eine stärkere Rechtsbindung durchaus Vorteile. Dies zeigt sich vor allem, wenn die Rechtsbeziehungen zu anderen Verfassungsorganen (wie durch das ParlBG, EUZBBG, IntVG oder durch § 10a FMStFG, § 1 Abs. 4, 5, §§ 2-5 StabMechG) oder zu den Mitgliedern und Fraktionen des Bundestages (wie durch das AbgG) auf eine verlässliche, die Wahlperiode überdauernde Grundlage gestellt werden[64] oder Regelungen auch nach außen (im Verhältnis zu Dritten, wie z.B. § 29 PUAG) wirken sollen.[65] Auch weitere mögliche Einwände gegen die hiesige Auffassung überzeugen nicht: Der Wortlaut des Art. 40 Abs. 1 S. 2 GG steht einer Regelung per Gesetz nicht entgegen. Der Begriff „Geschäftsordnung“ beschreibt den Inhalt der Regelung, aber nicht ihre Form. Dass die Geschäftsordnungskompetenz im III. Abschnitt des Grundgesetzes und die Gesetzgebungsbefugnisse im VII. Abschnitt geregelt werden, steht der hier vertretenen Auffassung ebenfalls nicht entgegen. Der III. Abschnitt regelt unter anderem (v.a. in Art. 40 GG) die Binnenstruktur des Bundestages, der VII. Abschnitt hingegen die Gesetzgebungsfunktion. Eine Regelung der Binnenstruktur durch Gesetz schließt die Verfassungssystematik nicht aus. Das von Mahrenholz vorgebrachte Argument[66], dass der Minderheitenschutz, dem die Geschäftsordnung (auch) dient, durch die Nutzung des Gesetzgebungsverfahrens, in dem die Mehrheit entscheidet (Art. 42 Abs. 2 S. 1 GG), nicht ausgehebelt werden dürfe, widerspricht der hier vertretenen Ansicht ebenfalls nicht. Denn auch die Geschäftsordnung wird mit Mehrheit verabschiedet, wenngleich in der Praxis zumeist alle oder die meisten Fraktionen einer Änderung zustimmen. Natürlich dürfen die einer parlamentarischen Minderheit zugeschriebenen Rechte, sofern sie Verfassungsrang besitzen, auch durch ein Gesetz nicht beschnitten werden.

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      Lösung Fall 1 (Rn. 87):

      Nach hier vertretener Auffassung besitzt der Bundestag ein Formenwahlrecht. Auch wenn man die Rechtsprechung des BVerfG und die Sichtweise der ihr folgenden Literatur zugrunde legt, sind die Gesetze verfassungsgemäß. Nur die Ansicht, die eine ausdrückliche Ermächtigung durch das Grundgesetz vorsieht, wird sie für verfassungswidrig halten.

      In den Bundesländern stellt sich das Problem der richtigen Rechtsform nicht auf dieselbe Weise wie im Bund. Ein dem Bundesrat vergleichbares Organ kennen die Landesverfassungen nicht. Allerdings besteht auch hier der semantische Unterschied zwischen Geschäftsordnung und Gesetz sowie die systematische Stellung von Geschäftsordnungsautonomie und Gesetzgebung. Nur im Saarland gilt kraft ausdrücklichen Verfassungsrechts etwas anderes: Der dortige Landtag regelt nach Art. 70 Abs. 1 SaarlVerf. seine inneren Angelegenheiten durch Gesetz und Geschäftsordnung. Er hat die Wahl, in welcher Form er Geschäftsordnungsfragen normiert.

      Allerdings besitzt der geschilderte Meinungsstreit auch im Bund keine große praktische Bedeutung. Sofern die Verfassung aufgrund ausdrücklicher Ermächtigung selbst die Gesetzesform verlangt oder wenn Dritte betroffen sind, scheidet eine Regelung in der Geschäftsordnung von vornherein aus, selbst wenn auf den ersten Blick Angelegenheiten des Parlaments betroffen sind. Geht es hingegen um innere Angelegenheiten des Parlaments, insb. um dessen Verfahrensgang oder um dessen Organisation, ändert der Bundestag in der Regel schon aus praktischen Erwägungen die Geschäftsordnung. Es wird nicht etwa eine Gesetzesinitiative ergriffen, die eine Befassung des Bundesrates, in der Regel drei Lesungen im Bundestag und sodann eine Ausfertigung und Verkündung durch den Bundespräsidenten erfordern würde.

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