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      Kristin Börjesson / Jörg Meibauer

      Pragmatikerwerb und Kinderliteratur

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      © 2021 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG

      Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen

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      Internet: www.narr.de eMail: [email protected]

      ISBN 978-3-8233-8446-5 (Print)

      ISBN 978-3-8233-0318-3 (ePub)

      Vorwort

      Wir freuen uns, diesen Sammelband vorlegen zu können, dessen Beiträge aus unterschiedlichen Perspektiven den Zusammenhang von Kinderliteratur, (Vor-)Lesen und Pragmatikerwerb zu erhellen suchen. Als gemeinsamer Ausgangspunkt der verschiedenen Untersuchungen kann die Frage gelten, welchen Einfluss (die Beschäftigung mit) Kinderliteratur auf den Erwerb pragmatischer Fähigkeiten hat. Die Beiträge konzentrieren sich dabei auf je verschiedene Aspekte dieser Fragestellung. Während einige besonders die sprachlichen Eigenschaften kinderliterarischer Texte untersuchen, um daraus deren grundsätzliches Potenzial insbesondere für die Entwicklung pragmatischer Fähigkeiten abzuleiten, interessieren sich andere Beiträge stärker für die jeweiligen Eigenschaften spezifischer Rezeptionssituationen und deren Beitrag zur Entwicklung pragmatischer Fähigkeiten. Eine dritte Perspektive ist die der Deutschdidaktik, die ein besonderes Interesse an Unterrichtsinhalten bzw. Unterrichtssettings hat, mit denen sich sowohl sprachliche als auch literarische Kompetenzen im Deutschunterricht fördern lassen. Die Beiträge dieses Sammelbandes entstammen überwiegend dem gleichnamigen Workshop, der am 27. und 28. September 2018 an der Universität Leipzig stattgefunden hat. Wir danken dem Institut für Pädagogik und Didaktik im Elementar- und Primarbereich, das unser Gastgeber war, vor allem aber der Fritz Thyssen Stiftung, die nicht nur den Workshop großzügig gefördert hat, sondern auch die Publikation dieses Sammelbands. Darüber hinaus bedanken wir uns bei allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern am Workshop für die engagierte Diskussion und die sorgfältige Überarbeitung ihrer Beiträge für diesen Band.

      Leipzig und Mainz, im Juli 2021 Kristin Börjesson und Jörg Meibauer

      Pragmatikerwerb und Kinderliteratur.

      Eine Einführung

      Kristin Börjesson & Jörg Meibauer

      Abstract: In this introduction, the relationship between children’s literature and pragmatic acquisition is examined from a theoretical viewpoint. The main aim of this contribution is to indicate promising areas for research on the nature of this relationship. To this end, the specifically pragmatic features of situations of reading to children are addressed as well as their overall effect on language acquisition. Furthermore, the contribution discusses the idea of children’s literature constituting a specific input for the acquisition of pragmatic phenomena. The relation of (atypical) pragmatic acquisition, didactics and school education with respect to children’s literature is briefly sketched and a proposal is made concerning the types of children’s media that might be considered relevant for research on the relationship between pragmatic acquisition and children’s literature. The contribution ends with a summary of relevant research questions for empirical investigations of this relationship.

      Keywords: pragmatic acquisition, reading situations, children’s literature as specific input, external and internal pragmatics

      1 Einleitung

      Obgleich in der Forschung zum natürlichen Erstspracherwerb zunächst der Grammatikerwerb im Vordergrund stand, ist doch schon früh festgestellt worden, dass auch die Pragmatik erworben werden muss. Eine Zielgröße des Grammatikerwerbs ist sicher der vollständige Satz. Aber diese grammatische Einheit ist immer auf Sprechakte bezogen, so dass ein Kind lernen muss, mit welchen Sätzen man welche Sprechakte ausführen kann oder welche Sätze dafür geeignet sind, einen bestimmten Sprechakt auszuführen. Unter Pragmatikerwerb verstehen wir im Folgenden den Erwerb solcher Fähigkeiten, die notwendig sind, um in einem bestimmten Kontext angemessen kommunizieren zu können (vgl. Zufferey 2015). Dazu gehört die Kenntnis sozialer Aspekte von Kommunikation, wie z. B. die Kommunikation zugrunde liegenden Regeln/Maximen oder die Notwendigkeit, sich als Sprecher an unterschiedliche Adressaten anzupassen. Aber auch kognitive Fähigkeiten, wie z. B. die Fähigkeit, Inferenzen zu ziehen bzw. die Intentionen/den Wissensstand des Gegenübers einschätzen zu können, spielen bei der Interpretation (Rezeption) bzw. angemessenen eigenen Verwendung (Produktion) bestimmter sprachgebrauchsbasierter Phänomene eine wichtige Rolle. Die Sprecher(innen) müssen nicht nur Deixis und Referenz produktiv und rezeptiv beherrschen, sondern auch Präsuppositionen und Implikaturen, Sprechakte, Informations- und Konversationsstruktur (vgl. Finkbeiner 2015, Liedtke/Tuchen 2018). Alle pragmatischen Gegenstände, so kann man vermuten, sind zugleich Gegenstände des pragmatischen Erwerbs. Es müssen jeweils die entsprechenden sozialen bzw. kognitiven Kompetenzen erworben werden, um die entsprechenden Gegenstände verstehen bzw. selbst in der verbalen Kommunikation einsetzen zu können.1 Pragmatisches Lernen findet wahrscheinlich während des ganzen Lebens statt. Wir konzentrieren uns im Folgenden aber auf den Pragmatikerwerb von Kindern und Jugendlichen, d.h. Menschen in der Altersspanne zwischen der Geburt und etwa 18 Jahren.2

      Unter Kinderliteratur verstehen wir alle Literatur, die von Erwachsenen speziell für Kinder und Jugendliche verfasst wurde. Typischerweise wird Kinderliteratur nicht von Kindern verfasst, obwohl es hier einzelne Ausnahmen gibt. Eine wichtige Beobachtung ist, dass Erwachsene, die für Kinder schreiben, sich darüber Gedanken machen müssen, inwiefern ihre intendierte Leserschaft die von ihnen verfassten Texte verstehen können. Dies wird oft als selbstverständlich vorausgesetzt, ist es aber bei näherer Betrachtung nicht. Die literarische Kommunikation zwischen Erwachsenen und Kindern kann gelingen, sie kann aber auch misslingen. Dies zu untersuchen, ist selbst ein Gegenstand der linguistischen Analyse. Noch eine terminologische Bemerkung: Im Weiteren sehen wir von der in Deutschland üblichen, aber umständlichen Verwendung des Begriffs „Kinder- und Jugendliteratur“ ab. Wir orientieren uns dagegen an der international üblichen Bezeichnung „children’s literature“ und übersetzen diese mit „Kinderliteratur“. Wenn man den Adressatenkreis der Jugendlichen hervorheben will, kann man natürlich von „Jugendliteratur“ sprechen.3 Es empfiehlt sich auch, einen weiten Begriff von Kinderliteratur anzustreben, der nicht nur auf die oft im Vordergrund stehenden Kinderromane bezogen ist, sondern auch auf Drama und Lyrik, und überhaupt auf alle an Kinder gerichtete Medien.4

      Welche Beziehungen gibt es nun zwischen dem Pragmatikerwerb und der Kinderliteratur? Wie wir sehen werden, ist dies eine überraschend komplexe Frage. In dieser Einführung wollen wir versuchen, den Suchraum für die Beantwortung dieser Frage zu umreißen. Zunächst einmal können wir uns ihr annähern, indem wir grob zwischen interner und externer Pragmatik unterscheiden (Meibauer 2017). Unter interner Pragmatik von Kinderliteratur verstehen wir alle pragmatischen Phänomene, die in der Kinderliteratur enthalten sind. Zum Beispiel kommen in Kinderliteratur Dialoge vor. Dadurch, dass Dialoge im kinderliterarischen Input5 vorkommen, kann das Kind etwas über Dialoge lernen. Natürlich sind dies zunächst einmal literarische Dialoge, die eigenen narrativen Gesetzmäßigkeiten unterliegen. Trotzdem wird das Kind Beziehungen oder Ähnlichkeiten zwischen literarischen Dialogen und natürlichen Dialogen in seiner Umgebung erkennen. Dies betrifft zum Beispiel den allgemeinen Aspekt des Sprecherwechsels, aber auch mögliche Verben der Redewiedergabe.

      Unter externer Pragmatik von Kinderliteratur verstehen wir pragmatische Aspekte einer Vermittlungssituation. Viele Kinderbücher werden von Eltern, Geschwistern oder Großeltern vorgelesen. Es besteht eine Situation, in der die Teilnehmer(innen) ihre Aufmerksamkeit auf etwas richten und miteinander teilen. In der Vorlesesituation kommt es typischerweise zu Erläuterungen,

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