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sie keinen Platz gefunden. Mit diesen beiden Betten war der Raum vollständig möbliert. Mehr wäre nicht möglich gewesen, selbst wenn wir Möbel besessen hätten. Wenn man sich an den Kopfenden der beiden Betten vorbeidrängte, konnte man durch zwei Gaubenfenster hinuntersehen. Natürlich nur, wenn man groß genug war. Und ich war das nicht. Ich brauchte dafür einen Stuhl. Trotzdem konnte ich den Himmel und die Sterne sehen. Dafür benötigte ich keine Erhöhung.

      Mit dem Einzug in das Hinterhaus wurden wir offiziell zu Einwohnern der Stadt Mittweida und im Einwohnermeldeamt erfasst. Das stellte für uns eine riesige Erleichterung dar und war ein erstes vorgezogenes Weihnachtsgeschenk dieses so schrecklichen Jahres. Wir hatten nunmehr ein Anrecht auf Lebensmittelkarten! Das hieß nicht, dass der Hunger vorbei war, aber es bedeutete, dass wir einen Anspruch auf Brot, Butter und Fleisch hatten. Wenn auch stark rationiert und in sehr geringen Mengen.

      Aber noch hatten wir keine Küche, um etwas mit den Lebensmitteln anfangen zu können. Kurz vor den Weihnachtstagen kamen zwei Männer des Stadtbauamts und schufen einen Durchbruch zu einem Schornstein. Einen Tag später schlossen sie einen kleinen gusseisernen Küchenherd aus Nachkriegsproduktion an den Schornstein an. Der Herd war im Baukastensystem eher schnell und unprofessionell gefertigt. Die Feuerungs- sowie die Aschekastentür waren nur grob an den Rändern abgeschliffen worden und hatten noch einen großen, abstehenden Grat. Daher ließen sich beide Türen nur mit enormer Kraftanstrengung öffnen. Das spielte für uns aber keine große Rolle. Wir schufen aus diesem kleinen Raum eine improvisierte Küche. Nun hatten wir Lebensmittelkarten und einen Herd. Was nun noch fehlte, war Brennmaterial.

      Mutter, ich und mein kleiner Bruder zogen in den Stadtpark und sammelten, was wir an Ästen und Zweigen tragen konnten. Wer schon einmal Äste und Zweige verbrannt hat, kann sich vorstellen, dass deren Hitze nicht zum Kochen einer Mahlzeit reicht. Hier begann nun meine kriminelle Karriere: In den Weihnachtstagen zog ich zu später Stunde, mit Rucksack und Fuchsschwanz, einer kleinen Handsäge, bewaffnet, in den Stadtpark und zerteilte vorwiegend kleine Birken auf Rucksackgröße. Birkenholz deshalb, weil es auch nass bei entsprechender Glut gut brennt. Kohle hätte es zwar auf Zuteilung gegeben, aber mein Bruder und ich fanden auch andere Wege, um an Rohbraunkohle und Steinkohle zu kommen.

      Unser kleiner Küchenherd hatte seine Tücken. Immer, wenn ich zum Anfeuern die Tür öffnen wollte, musste ich kräftig am Griff ziehen. Dabei kam der Ofen hinterher und das linke, wackelige Bein fiel aus seiner Verschraubung. Der Ofen seinerseits war nun seiner Standfestigkeit beraubt und drohte umzukippen. Niemand mag einen gusseisernen Ofen während des Betriebs anfassen, weil er überall heiß ist. Ich musste also den Ofen mit der rechten Hand im Gleichgewicht halten und versuchen, mit der linken nach dem abgefallenen Bein zu angeln und dieses wieder unterzuschieben. Mein Kampf mit dem Ofen führte täglich zu Tränen der Wut, des Schmerzes und der Verzweiflung.

      Durch das Heizen der Küche und den strengen Frost in diesem Winter vereiste die Innenwand der Gaube großflächig. Bei Kerzenlicht funkelten die Eiskristalle in vielen Farben.

      Vor dem Jahreswechsel 1946/47 kam ich in die »Fichteschule«. Das letzte Mal war ich zu Hause in der »Zwergschule« gewesen, einer Dorfschule, die nur aus einem Raum bestand und in der alle Jahrgänge von eins bis acht unterrichtet worden waren. Das war zwei Jahre her, im Spätherbst 1944. Dementsprechend groß waren meine Schwierigkeiten, mich mit der Schule und dem Lernen wieder anzufreunden.

      In meiner neuen Schule gab es in der Zehnerpause ein mit Marmelade gefülltes Weizenhörnchen sowie eine Tasse Milch. Dieses Frühstück war für mich der einzige Grund, überhaupt zur Schule zu gehen. Oft verließ ich das Gebäude danach, um zu »organisieren«. Darunter sind Diebstähle verschiedenster Art zu verstehen. Ich hatte Kinder und Jugendliche kennengelernt, welche am Stadtpark wohnten. Wir schlossen uns zu einer Gang zusammen und stahlen, was uns unter die Augen kam. In den Dörfern der Umgebung räumten wir den Bauern die Speisekammern leer. Wir nahmen uns Fahrräder, um mobil zu sein, und machten auch vor lebenden Hühnern und Kaninchen nicht halt. Natürlich fragte mich Mutter, wo ich all diese Dinge herhätte. Ich habe ihr nie die Wahrheit gesagt.

      Im Spätherbst 1947 erzählte mir Mutter, dass Oma Emma zu uns nach Mittweida kommen würde. Oma Emma habe bei der Kartoffelernte helfen wollen. Als sie einen schweren Korb voll mit den Erdäpfeln auf den Kastenwagen kippte, geriet sie in die Speichen des Hinterrads. Der Kutscher bemerkte das nicht und trieb das vorgespannte Pferd zum Weitergehen an. Oma Emma konnte sich nicht befreien, der Wagen brach ihr die Beine.

      Zwei gebrochene Beine, die nicht heilen wollten, machten meine Oma zum Pflegefall. Diese Aufgabe wollte oder konnte der Bruder meiner Mutter nicht erfüllen und brachte Emma kurzerhand mit einem Pkw zu uns nach Mittweida. Mutter und ihr Bruder hievten die alte Frau in unsere Kammern hinauf und verfrachteten sie in eines der beiden Holzbetten in unserem Schlafzimmer. Oma Emma konnte gar nicht mehr laufen. Auch ihre Notdurft musste sie im Bett verrichten. Das machte mein Leben schwierig, als auch meine Mutter krank wurde. Mit einer schweren Erkältung belegte sie das zweite Bett. Ich wurde nun zum Koch, Krankenpfleger und Mann für alle im Haushalt anfallenden Arbeiten. Omas Toiletteneimer entleerte ich im Klo eine halbe Treppe tiefer.

      Ich hatte im Krankenzimmer keinen Platz mehr. Zum Glück lieferte die Volkssolidarität ein Sofa. Wir stellten es in die Küche. Es war von nun an mein Bett. Mein kleiner Bruder Hubertus schlief bei den beiden Frauen. Meine Oma wurde von Tag zu Tag schwächer. Irgendwann konnte ich sie nicht mehr pflegen. Sie kam ins Krankenhaus. Nur wenige Tage später starb sie dort, von ihren Qualen erlöst.

      Der tiefgefrorene Boden auf dem Friedhof ließ es vorerst nicht zu, dass ein Grab ausgehoben werden konnte. Wir hatten auch keinen Sarg, in den wir unsere Oma Emma hätten legen können. Wie lange sie in der Leichenhalle auf ihre letzte Ruhestätte warten musste, daran kann ich mich heute nicht mehr erinnern.

      Zur Jahreswende 1947/48 erreichte uns ein Brief, der Mutter und uns Kinder in helle Aufregung versetzte. Er stammte vom Suchdienst des Roten Kreuzes. Die Postbotin übergab ihn mir mit einem Lächeln, denn sie wusste, was solche Briefe in der Regel enthielten. Es waren meist gute Nachrichten. Wir erfuhren, dass Vater in Villach in der österreichischen Region Kärnten in englischer Kriegsgefangenschaft lebte und nun bald entlassen werden sollte.

      Mutter war aufgekratzt. Ihr Mann lebte und würde zurückkommen. Dieses Glück teilte sie nur mit einigen wenigen Ehefrauen und Müttern. Aber wie konnte sich das anfühlen nach acht Jahren Trennung? Acht Jahren, in denen ihre Söhne groß geworden waren und sie durch die Flucht alles verloren hatte. Acht Jahre, in denen sie sich hatte allein durchschlagen müssen, nur mit ihrer Mutter und ihrer Schwester an der Seite. Acht Jahre, in denen ihre Welt untergegangen war.

      Mein Vater stand wenige Wochen später vor der Haustür am Markt 5 in Mittweida. Ich erkannte ihn kaum wieder, Hubertus war er gänzlich fremd. Sprachlos stand meine Mutter einem wohlgenährten achtunddreißigjährigen Mann in englischer Winteruniform gegenüber und wusste nicht, was sie ihm sagen sollte. Doch dann brach das Eis, und wir waren glücklich, wieder beisammen zu sein. Später saß unser Vater am Küchentisch, starrte ins Leere und sprach stundenlang kein Wort.

      Die neue Realität hatte ihn eingeholt. In der englischen Gefangenschaft hatte er von der Erwartung gelebt, nach Hause zurückzukommen, zu Frau und Kindern. Jetzt war er in einer fremden Stadt, in einer Dachmansarde, in einem Hinterhaus und besaß nichts als die englische Uniform. Seine Familie ernährte sich durch Diebstähle oder hungerte und fror. Sein Ideal, für das er in den Kampf gezogen war, lag zerstört am Boden. Hatte er dafür am Polenfeldzug teilgenommen, damit seine Kinder in einer fremden Stadt als Flüchtlinge aufwuchsen? Hatte er dafür darauf verzichtet, seine Söhne aufwachsen zu sehen, damit er nun in einer schlecht beheizbaren Dachwohnung hauste? Viel später verstand ich, in welch ein tiefes Loch mein Vater zu diesem Zeitpunkt gefallen sein musste. Er liebte die Natur, hatte immer auf dem Lande gelebt. Nun hockte er in einer für ihn fremden Stadt.

      Doch mein Vater fing sich und startete sein Leben neu. Der Rat der Stadt vermittelte ihm eine Arbeit in einer Papierfabrik außerhalb von Mittweida. Lange blieb er dort nicht. Ein Onkel mütterlicherseits besuchte uns mit einer Neuigkeit, die meinem Vater keine Ruhe ließ: In der Sowjetischen Aktiengesellschaft (SAG) der Buna-Werke in Schkopau sollte es gutbezahlte Arbeit geben. Und nicht nur das! Zusätzlich würde jeder Arbeiter monatlich mit dem

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