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Kind noch, das bald seinen achtzehnten Geburtstag feierte. Wenn sie wenigstens auch hier in Sebast gewesen wäre. Was Hans gehört hatte, gab es im Norden jenseits der hohen Berge ein christliches Kaiserreich namens Trapezunt. Es lag am Schwarzen Meer. Dort gab es, so sagte man, genuesische und venezianische Handelsniederlassungen. Dort gab es also Schiffe, die sie zurück nach Europa bringen konnten. Dorthin könnten sie es vielleicht gemeinsam schaffen, wenn sie Glück hätten. Wenn, wenn, wenn … Wenn sie nur wenigstens hier bei ihm wäre. Er bekam immer öfter Heimweh. Scheiß auf das Ende der Welt.

      In seinen freien Stunden streunte Hans durch die Stadt. Manchmal begleitete ihn Max, trottete wie ein braves Hündchen nebenher, manchmal nicht. Mit jedem Streifzug faszinierte Sebast mehr. Nahe der uralten Stadt fanden sich noch verfallene Siedlungsreste der Hethiter aus der Zeit um 1000 vor Christus. Einige Bauten aus der Zeit der Römer und der Byzantiner waren noch gut erhalten, und Hans zeichnete sie in sein Heft. Vor allem aber beeindruckten ihn die Bauten der Seldschuken aus dem 13. Jahrhundert, die Blaue Madrasa mit den hohen, reich verzierten Minaretten und dem Portal, in dessen Giebel sich ein wundervolles Gewebe von Murqarnas und Knotenmustern schmiegte, die Madrasa mit doppeltem Minarett und die noch ältere Große Moschee. Nahe der Stadt entdeckte Hans die Ruine der alten armenischen Kirche des Heiligen Kreuzes, in der der Legende nach der Thron der Arzruni-Könige von Vaspurakan, einem versunkenen armenischen Großreich, aufbewahrt worden war. Er setzte Max auf einen Stein und nutzte die Kirchenruine für ein heimliches Gebet zum heiligen Johannes. Er hätte es nicht heimlich tun müssen, denn in der Stadt lebten immer noch viele griechische und armenische Christen, die ihren Glauben leben durften.

      Yorick kam schon nach fünf Tagen quietschfidel zurück in die Soldatenunterkunft. Weil die Stadt nicht genügend Platz bot, hatten mehrere Ortas ihre Zelte außerhalb der Stadtmauern aufgeschlagen. Die Tage vergingen mit Wachdiensten und Waffenübungen. Aus Tagen wurden Wochen. Hans zeigte Yorick die alte Kirchenruine, zu der er häufig kam, weil er hier Ruhe fand.

      Weil Max immer öfter dasaß und in der Luft seine imaginäre Laute spielte, beschloss Hans, dass es Zeit für ein Geschenk war.

      »Max hat heute Geburtstag«, sagt er, als sie auf den Steinen der Kirchenruine herumlungerten und Eidechsen beobachteten.

      »Was?«, fragte Yorick. »Woher weißt du das denn?«

      »Hab ich beschlossen.« Hans zuckte mit den Schultern. Er holte aus seiner Tasche einen Gegenstand, der in buntes Tuch eingewickelt war. »Hier, Max. Ein Geschenk für dich.«

      Max nahm teilnahmslos das Präsent und legte es sich auf die Knie.

      »Na los!«, rief Yorick ungeduldig. »Pack aus!«

      Max wickelte das Tuch ab. Dann gab er das zweite Mal, seit er ein lebender Toter war, einen Laut von sich. Er hielt das Geschenk in den Händen, starrte es an und begann still zu weinen.

      »Wo hast du denn die her?«, fragte Yorick erstaunt.

      »Ein kleines Tauschgeschäft mit dem alten Ölmez aus Konya«, sagte Hans zufrieden. »Ich dachte, mein Schweigen über den Geheimtunnel kann er sich ein bisschen was kosten lassen. Und das Ding da hat ihn sicher nicht so sehr viel Geld gekostet. Der Alte kann zufrieden mit dem Geschäft sein.«

      Max starrte weiterhin das Geschenk an. Eine wunderschön gearbeitete Oud, eine Kurzhalslaute. Ganz ähnlich der Laute, die er früher gespielt hatte.

      »Freust du dich, Max?«, fragte Hans und weil ihn die Tränen so gerührt hatten, gab er Max einen Kuss auf die Wange. »Kleiner Bruder«, flüsterte er fast zärtlich.

      »Ich glaube, er freut sich«, sagte Yorick. »Los, Max, spiel was!«

      Aber Max blieb in seiner Starre, drückte die Oud gegen die Brust und wiegte den Oberkörper leicht vor und zurück.

      Es dauerte drei Tage, bis Max anfing zu spielen. Die Lieder, die er zuvor in der Luft geübt hatte, klangen wunderbar traurig.

      »Hast du gehört?«, fragte Yorick, als sie wieder einmal auf großen Steinen in der Ruine lagen und einfach nichts taten. Nur Max spielte auf seiner Laute.

      »Was?«, fragte Hans faul zurück. »Wieder Krieg?«

      »Nein, na, wer weiß, bestimmt wieder bald. Es soll nach Kayseri gehen«, antwortete Yorick.

      »Ich weiß.«

      »Das meine ich aber nicht. Es sieht so aus, als würde Bayezid noch eine ganze Weile in der Gegend bleiben wollen. Und darum hat er auch seine wichtigsten Berater hierherholen lassen.« Er ließ eine bedeutungsvolle Pause.

      Hans begriff nicht.

      »Wichtigste Berater! Verstehst du?«

      Hans drehte den Kopf zu Yorick und starrte ihn missmutig an. »Ja, und?«

      »Mann, du kapierst auch nicht die plumpeste Anspielung! Zu den wichtigsten Beratern zählen bekanntlich auch die Wesire. Ich habe gehört, dass Wesir Memduh aus Konya eingetroffen sein soll …«

      Schlagartig war Hans putzmunter. Er setze sich auf. »Du meinst …«

      »Sicher.« Yorick grinste. »Genau das meine ich.«

      Hans begann zu zittern, sein Hirn fuhr Karussell. »Oh, Gott. Sie ist hier. Oh, Gott.« Er fuhr sich über das Gesicht, wieder und wieder.

      »Ja, und hier gibt es keine Geheimgänge. Zumindest keine, von denen wir wissen.«

      »Scheiße.« Hans sprang vom Stein und tigerte auf und ab. »Weißt du, wo sie untergebracht wurden?«

      »Ich habe sein Prunkzelt gesehen. Hinter den Zelten der Reiterei vor dem Haupttor. Jede Wette, dass dort auch die Konkubinen in der Nähe untergebracht sind. Und jetzt setz dich bitte und beruhige dich!«

      »Ich muss sofort was tun«, sagte Hans.

      »Wir können nichts tun.«

      »Ich muss!«, schrie Hans verzweifelt.

      »Dann denk dran: Im Krieg und in der Liebe sind alle Mittel erlaubt. Im Krieg hält dich ja auch nichts.«

      Yorick hatte absolut recht. Hans überlegte fieberhaft. Das Mädchen mit der Tulpe – eine der kleinen Dienerinnen der Konkubinen, vielleicht … Der schwarze Eunuch Rafik – wenn er sich mit Janitscharen amüsierte, vielleicht … Die Konkubine Gülsüm – wenn man an einen ihrer Liebhaber aus der Truppe herankäme, vielleicht …

      »Verneigt euch vor dem ehrwürdigen großen Beylerbey, Lala Nedim Pascha!«, bellte da eine laute Stimme. Die drei Burschen wirbelten herum. Vor ihnen stand der bärenhafte Oberbefehlshaber mit einer Leibgarde aus drei schlanken Hünen. Max warf sich mit dem Gesicht nach unten sofort auf den Boden, die Hand mit der Oud hielt er so, dass sie die Erde nicht berührte. Hans und Yorick knieten nieder und senkten die Köpfe, bis ihre Stirnen den Boden berührten. Wenn der Beylerbey, der Oberbefehlshaber, den sie unter sich einfach nur Prackl nannten, persönlich mit ihnen sprach, musste etwas ganz Großes kommen. Hans fürchtete nichts Gutes.

      »Hans.« Der tiefe Donnerbass von Lala Nedim brummte bei den Konsonanten. »Hans, wir haben beschlossen, dass deine Orta künftig auf dich verzichten wird. Du warst bisher Küchenjunge. Das bist du nun nicht mehr.«

      Hans schluckte, sein Herz rutschte in die Hose. »Verzeiht, Herr …«, brachte er mit erstickter Stimme heraus.

      »Schweig«, herrschte ihn eine der Leibwachen an.

      »Wir haben dich beobachtet«, brummte der Beylerbey weiter. »Du hast in der Schlacht um Sebast einigen Kameraden das Leben gerettet. Und du bist mit dem Pferd geritten, als wärst du eins mit ihm. Darum wirst du fortan ein Reiter. Du wirst die Janitscharen verlassen und zur Reiterei gehen. Ein Pferd wartet bereits auf dich. Melde dich bei Karabulut, deinem neuen Hauptmann.«

      Hans glaubte nicht, was er da hörte. »Herr, … ich weiß nicht … Ich danke Euch, Herr«, stammelte er.

      »Schweig«, raunzte wieder eine Leibwache.

      »Du, Yorick, bist nicht der beste Kämpfer in der Schlacht«, fuhr Lala Nedim fort.

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