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mich mal.« Yorick drängte sich vorbei, doch auch er konnte die Wand nicht bewegen. Er fummelte in dem kleinen Spalt herum und rüttelte. Immer noch nichts. Schließlich hakte er die Finger ein und zog. Geräuschlos glitt die Wand nach innen.

      »Ziehen statt drücken«, murmelte Yorick zufrieden. »Moment«, zischte er Hans zu, der gleich losgehen wollte. »Erst mal das.« Er holte ein kleines Fläschchen aus seinem Mantel, entstöpselte es und schüttete sich eine Flüssigkeit auf die Handfläche. Damit rieb er Hans hinter den Ohren und am Hals ein. Es duftete verführerisch. »Rosenöl. Wir wollen doch nicht, dass du bei deinem ersten Schäferstündchen wie ein Iltis stinkst. Und jetzt machen wir besser die Lampen aus.«

      Sie tasteten sich im Dunkeln durch den Türspalt in einen Raum, dessen Fenster zwar von leichten Tüchern verhangen waren, durch die aber etwas Mondlicht schimmerte. Die Tür schlossen sie leise. Sie war so geschickt in die hölzerne Wandvertäfelung eingebaut, dass man sie nur sah, wenn man wusste, dass es sie gab. Der Raum war prächtig ausgestattet mit üppigen Sitzkissen und einem Schreibpult. Sie schlichen weiter, Hans entdeckte die Zimmertür. Da ließ sie ein Knurren zu Salzsäulen erstarren. Das Knurren schwoll an und verebbte, dann schwoll es wieder an und verebbte. Das wiederholte sich einige Male, bis die beiden Burschen begriffen, dass da jemand gewaltig schnarchte. Sie waren im Gemach des Wesirs Memduh gelandet. Der dicke Mann schlief tief und fest in einem Berg von Kissen.

      Hans und Yorick öffneten vorsichtig die Tür, keine Wachen in Sicht. Hans hatte sich den Plan von Max genau eingeprägt, erst links den Flur hinunter, dann rechts und noch einmal links. Dort war das Gemach der Konkubinen. Immer noch keine Wachen in Sicht. Und wenn, dann würde der Lichtschein der Fackeln, die die nächtlichen Patrouillen mit sich führten, ihr Kommen ankündigen.

      »Gut«, sagte Yorick so leise, dass Hans ihn kaum verstand. »Du gehst jetzt rein und suchst deine Aynur. Ich warte hier. Wenn jemand kommt, gebe ich dir ein Zeichen.«

      »Was für ein Zeichen?«

      »Äh.« Yorick grübelte. »Ich miaue wie ein rolliger Kater.« Er kicherte.

      »Und dann?«

      »Dann? Keine Ahnung. Es ist dein Plan. Dann bist du auf dich allein gestellt.«

      »Und du?«

      »Um mich mach dir mal keine Sorgen. Ich komme schon irgendwie zurecht, falls jemand auftaucht. Mit Eunuchen werde ich leicht fertig. Los, beeil dich!«

      Hans betrat vorsichtig das Zimmer und wurde sich einer weiteren Schwäche seines Plans bewusst. Wie sollte er seine Aynur zwischen all den schlafenden Frauen finden? Er wartete, bis sich seine Augen an das Zwielicht gewöhnt hatten. An der Wand gegenüber gab es noch eine Tür. Hans sah sich um. Die Ausstattung des Zimmers war einfach, keine kostbaren Stoffe und aufwendig bestickte Kissen. Er zählte sieben schlafende Frauen und Mädchen. Offenbar war dies das Zimmer der Sklavinnen. Er pirschte zur Tür an der Wand gegenüber, öffnete sie einen Spalt und schlüpfte hinein. Hier war er richtig. Es roch nach teuren Ölen, und Gold schimmerte von allen Ecken. Es schimmerte, weil im Raum noch ein Öllicht brannte. Hans Herz setzte aus. Dort im Licht saß eine der Konkubinen und sah ihn an. Als sein Herz wieder schlug und kurz, bevor er in wilder Panik davonrennen wollte, bemerkte er, dass die Konkubine ihn nur mit abschätzigem Blick ansah und keinen Lärm machte. Auf ihrem Schoß lag eine Stickarbeit. Sie lächelte nun verführerisch. Dann huschte ein Erkennen über ihr Gesicht und sie lachte leise. Sie verdrehte die Augen und wies mit dem Kopf nach links. Hans begriff nicht. Sie stöhnte und verdrehte die Augen so weit, dass nur noch das Weiße zu sehen war. Ihr Kopf zuckte nach links. Dort wehten zarte Tücher leicht im Wind. Ein Balkon. Hans verstand endlich. Er ging vorsichtig durch den Raum und betrat den Balkon. Dort saß im Mondlicht Aynur auf der Brüstung, die Arme um die angewinkelten Beine geschlungen, und blickte verträumt in die Ferne. Sie zuckte nicht zusammen, als sie Hans wahrnahm. Sie blieb starr in ihrer Position und riss die Augen weit auf. Hans traute sich nicht, sich zu bewegen.

      »Ich bin Hans«, flüsterte er schließlich heiser, weil ihm nichts Besseres einfiel.

      »Bist du wahnsinnig?«, raunte Aynur zurück und stieg von der Brüstung. Sie sprach Deutsch.

      »Vielleicht«, antwortete er auf Deutsch. »Ich wollte dich sehen.«

      »Aber das geht nicht. Wenn der Wesir das erfährt, sind wir beide tot.«

      »Das wäre es mir wert.«

      Sie lachte. »Du bist also wahnsinnig.«

      Er deutete zurück in den Raum. »Die andere Frau … wird sie uns nicht verraten?«

      »Gülsüm? Sie hat dich vom Garten wiedererkannt. Ich denke nicht, dass sie dich verrät. Sie hat selbst einen Galan.«

      »Bin ich dein Galan?«

      »Das wird sich noch zeigen«, sagte Aynur kokett. »Wo kommst du her, Hans?«

      »Aus München, das ist in Bayern …«

      »Ich weiß, wo München ist. Ich komme aus Straubing. Damals hieß ich noch Els. Lange her.«

      Sie sahen sich schweigend an. Es war nicht der Augenblick, sich jetzt gegenseitig die Lebensgeschichten zu erzählen. Hans wollte sie so gerne berühren, ganz zart, nur mit den Fingerspitzen, nur am Arm oder an der Schulter, mehr nicht, aber er traute sich nicht. Sie nahm seine Hand in ihre, ein Schauer jagte durch seinen Körper. Dann begann eine rollige Katze zu schreien. Kurze Zeit später drangen aufgeregte Stimmen von irgendwoher, ein hohes Kreischen und Zetern. Hans erkannte, dass das Eunuchen sein mussten. Sie waren aufgeflogen. Wohin jetzt? Aynur fluchte leise. Hans sah panisch den Balkon hinunter. Er war zu hoch, um einfach springen zu können. Aber was blieb ihm anderes übrig.

      »Nein«, sagte Aynur und deutete zum Dach hinauf. »Schnell, du kannst hier an der Seite hochklettern.« Sie deutete auf eine Rankpflanze, die bis zum Dachfirst wuchs. »Komm morgen wieder um die Zeit. Schnell.«

      Sie streichelte seinen Handrücken und ging langsam in das Zimmer zurück. »Weißt du, was da wieder los ist, Gülsüm?«, fragte sie betont unbefangen.

      »Keine Ahnung, Süße. Die Eunuchen wieder.«

      Hans kletterte die Pflanze hoch und schwang sich über den First aufs Dach. Er krabbelte die Steigung hinauf, innerlich betend, dass die Ziegel nicht losrutschten. Das Ziegeldach endete an einer kleinen, zinnenbewehrten Mauer, dahinter war das Flachdach der Zitadelle. Hans sprang über die Mauer und rannte gebückt zu einem Kamin, in dessen Schatten er sich hockte. Niemand schien ihm zu folgen. Er beschloss abzuwarten und setzte sich. Sein Atem normalisierte sich langsam. Alles in allem war die Aktion recht erfolgreich verlaufen. Er hatte Aynur gesehen und gesprochen. Mehr noch, sie hatte ihn berührt! Er … Moment, atmete da nicht noch jemand? Er lauschte angestrengt. Tatsächlich. Da war jemand neben ihm im Schatten des Kamins. Hans entfuhr ein kleiner Schrei, als sich eine Hand auf seinen Arm legte. Er hörte ein »pssssst«, dann tauchte ein schwarzer Kopf auf. Ein Eunuch.

      »Halt die Klappe«, raunte der Schwarze. »Oder willst du unbedingt entdeckt und geköpft werden?«

      Hans blieb starr sitzen. Der Schwarze machte es sich neben ihm bequem.

      »Siehst du. Geht doch«, meinte er nach einer Weile. Nach einigen weiteren Minuten brach der Eunuch das Schweigen und fragte im der Situation nicht ganz angemessenen beiläufigen Plauderton: »Und du? Wo kommst du her?«

      Hans überlegte kurz, wie das gemeint war. Sollte er sagen, aus dem Harem? Doch so dumm würde der Schwarze in dieser Situation wohl kaum fragen. »Aus Bayern. Das ist in Europa. Und du?«

      »Aus Darfur. Das ist ein Land südlich von Ägypten. Ich heiße übrigens Rafik.«

      »Und ich Hans.«

      »Hans? Was für ein komi…«

      »Ja, ich weiß!«, unterbrach Hans genervt. »Sind dort alle Menschen so wie du? Ich meine Eunuchen?«

      Der Eunuch lachte leise. »Was? Wie kommst du denn darauf? Wenn wir alle Eunuchen wären, wären wir längst ausgestorben.«

      »Hä?«

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