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im Dunkeln zu viel Angst hatte. Denn er hatte sie nie über die Ebene von der Stadt kommen oder zur Stadt gehen sehen. Und das sei doch schließlich mehr als seltsam, oder? »Glaub es mir, oder nicht«, sagte der Alte. »Ich weiß, was ich gesehen habe, oder besser, nicht gesehen habe. Denn da war niemand! Keine Menschenseele. Sie waren wie vom Erdboden verschluckt! Ich habe zu Allah gebetet, mich zu schützen. Ich sage euch, das waren Dschinn! Am Ende sogar ein Ghul und seine Ghula!« Weil man in der Nähe die Leiche des reitenden Boten von Amasya gefunden hatte, schien diese Theorie vielen am wahrscheinlichsten. Dschinn konnten dem Menschen durchaus wohlgesonnen sein. Nicht so die Ghule. Ghule konnten bekanntlich in jegliche Gestalt schlüpfen, um damit die Menschen zu narren, sie ins Verderben zu führen und zu verschlingen. Wenn man den alten Ziegenhirten darauf hinwies, dass die Leiche des Boten komplett und ohne Bisswunden gefunden wurde, dann antwortete der Hirte: »Seht ihr, die Ghule haben ihn drei Nächte lang gesucht! Weil sie ihn fressen wollten. Und ich habe sie schmatzen gehört! Das ist der Beweis.« Manch einer warf ein, dass es vielleicht auch Ifrits gewesen sein könnten, Rachegeister mit Löwenklauen und Stierhörnern, die aus dem Totenreich gekommen seien, um den Mörder des armen Boten zu holen. Jedenfalls beschloss man in Konya, die kleine Ansammlung von Kastanien künftig weiträumig zu umgehen.

      Als der Befehl kam, die Truppen sollten Richtung Sebast aufbrechen, blieb Hans nur noch wenig Zeit, ein Vorhaben zu erledigen. Er lief durch die Gassen von Konya, und fragte sich zum Wohnhaus des weisen Ölmez durch. Da jeder den angesehenen Bürger kannte, fand er die Adresse schnell. Der alte Mann schien nicht sehr überrascht, ihn zu sehen.

      »Ich habe mir schon gedacht, dass du kommen wirst, Hans«, sagte Ölmez.

      »Warum?« Hans war ehrlich überrascht.

      »Nun, der geheime Tunnel schickt dich her, oder?«

      »Ja, ehrwürdiger Herr.«

      »Na, siehst du. Du wirst mir jetzt sicher einen Preis nennen, den dein Schweigen darüber kostet.« Enttäuschung schwang im Ton mit. »Aber erwarte keine zu großen Reichtümer.«

      »Nein, Herr, das erwarte ich gar nicht.« Hans war beleidigt, weil man ihn für einen Erpresser hielt. »Ich habe nur eine bescheidene Bitte, Herr. Ich denke, was ich erbitten möchte, ist ein sehr kleiner Preis für mein Schweigen.« Dann sagte er dem alten Ölmez, was er sich wünschte und auch warum.

      9 Der Weiße Hammel

      Sie zogen in einem Gewaltmarsch von Konya aus nach Nordosten. Sultan Bayezid unterbrach seine Rückreise nach Bursa und schickte seinen ältesten Sohn Süleyman Chelebi mit einem großen Truppenkontingent los. Er selbst wollte ebenfalls nach Sebast nachkommen. In Aksaray trafen die Soldaten aus Konya auf das Heer Süleymans. Zwanzigtausend Reiter und viertausend Fußsoldaten waren auf dem Weg nach Sebast. Sie zogen durch eine verwunschene Landschaft, die Wind, Wetter und Wasser im Laufe der Jahrmillionen aus dem Tuffstein geformt hatte. Wie riesige Phalli ragten an manchen Stellen die Felstürme in den Himmel. Ins Steinmassiv gehauene Fenster und Türen waren die einzigen Hinweise darauf, dass hier in den Höhlen auch Menschen lebten. Zu Gesicht bekamen sie niemanden. Hans notierte später alle Eindrücke genauestens in sein Heft.

      Als Uthman, Anführer der Weißen Hammel, von dem nahenden Heer erfuhr, löste er einen Teil seines Lagers auf. Er ließ die Familien, Hab und Gut und vor allem das wertvolle Vieh ins Gebirge bringen. Mit nur tausend Stammeskriegern erwartete er den Feind. Süleyman schickte zweitausend Reiter voraus, die sofort von Uthman angegriffen wurden und trotz der Überzahl unterlegen waren. Süleyman Chelebi schäumte, als ihn die Boten davon berichteten. Er setzte seine ganze Armee in Bewegung. Inzwischen waren die Männer Uthmans, die die Herden in die Berge gebracht hatten, zurückgekehrt. Uthman nutzte die Gunst der Stunde und überfiel umgehend das Heer Süleymans, das sich noch im Marsch befand und daher nicht Aufstellung nehmen konnte. Uthman konzentrierte sich auf die Sipahi und deren Reiterei. Metzelte nieder, was ging. Der über diese Dreistigkeit verblüffte Süleyman überlegte kurz, ob er zum Rückzug blasen sollte, entschied sich dann aber für Angriff. Er richtete sich hoch auf seinem Pferd auf, damit alle ihn sehen konnten. Reckte seine Lanze zum Himmel und stieß den schrillen Kriegsschrei seiner Vorfahren aus. Er gab seinem Pferd die Sporen und stürmte mit Anfeuerungsrufen ins Getümmel.

      Während die Reiter kämpften, rückten die Fußtruppen weiter gegen das Lager Uthmans vor. Der Nomadenfürst schickte vierhundert Reiter zurück, um die Lagerwachen zu unterstützen. So kam es, dass Hans das erste Mal als Janitschar tatsächlich in blutiges Kampfgeschehen involviert wurde. Wie schon bei Nikopolis erlebte Hans den Schlachtverlauf in einem einzigen großen Rauschen. Er funktionierte automatisch. Die Nomadenkrieger erwiesen sich als zähe Gegner. Hans brachte nur kurz den Bogen zum Einsatz. Zum Spannen und Zielen schien ihm die Zeit zu knapp. Er verlor bald seine Lanze, das heißt, er ließ sie in einem Nomaden stecken, weil er keine Zeit hatte, sie wieder herauszuziehen, da er zum Schwert greifen musste, um einen weiteren Angreifer zu enthaupten. Mit Schwert und Streitaxt behauptete er sich, gefangen in seinem Tunnel. Um ihn herum fiel Janitschar um Janitschar, von Pfeilen oder Lanzen durchbohrt. Eine Lanze schlug dicht neben ihm in den Boden. Als er herumwirbelte, sah er dem Nomadenkrieger, der sie geworfen hatte, direkt in die Augen. Der Krieger ließ seinen Schwertarm heruntersausen, und Hans wäre nur Sekundenbruchteile später tot gewesen. Doch mitten im Schwung verlor der Krieger die Kontrolle über seinen Arm, denn der segelte im hohen Bogen, das Schwert immer noch festhaltend, davon. Aus dem Stumpf schoss Blut. Ein Stich in den Rücken, und der Angreifer kippte tot um. Dahinter blitzte es blau. Dass da Yorick stand, grinste und »Gern geschehen« sagte, realisierte Hans erst später nach der Schlacht. Dann brach Yorick, von einem Schwerthieb in die Seite getroffen, zusammen.

      Hans schnappte sich eines der herrenlos herumirrenden Pferde, hob seinen Freund auf dessen Rücken und saß dann auf. Wie damals in Nikopolis galoppierte er zum Rand des Schlachtfelds und hieb beidhändig mit Schwert und Axt nach allem, was nach Feind aussah. Er legte Yorick an einem Gebüsch ab, wendete das Pferd und stürzte sich ins Gemetzel. Er zog noch zwei verwundete Janitscharen zu sich hoch und brachte auch sie in Sicherheit. Zurück unter den Kämpfenden, trennte er mit dem Schwert einem Nomaden den Arm an der Schulter ab, als dieser einen vor ihm knienden Janitscharen den tödlichen Streich versetzen wollte. Hans zog auch diesen Janitscharen hoch und brachte ihn weg. Dass er eben Don Juan gerettet hatte, realisierte er nicht. Der Kastilier starrte ihn ungläubig an und schrie: »Du verdammtes Arschloch! Ich will dir nicht mein Leben schulden!« Dann brach er ohnmächtig zusammen.

      Uthman, für den es inzwischen nicht mehr so aussah, als könnte er die Truppen Süleymans schlagen, zog sich mit seinen Leuten ins Gebirge zurück. Von dort aus schickte er einen Vermittler. Man handelte aus, dass Uthman mit seinem Volk geschont würde, wenn sie umgehend in die Heimat der Weißen Hammel zurückkehren und nie wiederkommen würden. Danach ließ Süleyman sein Lager vor den Toren von Sebast aufschlagen, und die Bürger schickten Abgesandte, die ihm die Stadt übergeben wollten. Süleyman jedoch fand, dass das nur seinem Vater zustehen würde. Erst nachdem Sultan Bayezid Tage später mit seinem Tross eintraf, wurde die Stadt besetzt. Bayezid bestimmte nicht Süleyman, sondern seinen jüngeren Sohn Mehmed als neuen Herrn für Sebast und das ganze Land Eretna mit den Städten Amasya und Kayseri, als Belohnung für Mehmed, der hier siegreich an seiner ersten Schlacht teilgenommen hatte.

      Hans fühlte sich einsam in Sebast. Max, der in der Schlacht tapfer gekämpft hatte, war teilnahmslos wie immer. Yorick hatte eine Fleischwunde und lag verletzt im Krankenhaus der Stadt – ja, so etwas gab es, und es war kein Vergleich mit den schmutzigen, elendigen Siechenhäusern in der alten Heimat. Hans hatte einmal einen Onkel ins Siechenhaus vor dem Sendlinger Tor begleitet und war von dem Schmutz und dem Elend der Kranken nachhaltig schockiert gewesen. Hier jedoch war alles sauber, es kümmerten sich türkische und jüdische Ärzte um die Verwundeten, die erstaunlich rasch wieder auf die Beine kamen.

      Seine Aynur war unerreichbar fern auf dem Weg nach Bursa. Hans versuchte, nicht dauernd an sie zu denken. Und genau dadurch dachte er erst recht ständig an sie. Ob und wie er sie in Bursa jemals wiedersehen würde, wusste er nicht. Dort würde der Harem von Wesir Memduh sicher deutlich besser bewacht sein. Er fürchtete, dass er ihr nie wieder so nahe kommen würde wie in den Nächten von Konya. Nie wieder. Bei dem Gedanken musste er einmal nachts heulen. Wenn er ehrlich zu sich war, was ab und zu vorkam, dann wusste er genau,

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