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den Siegelring an. Zuletzt sorgte er mit geübten Handbewegungen dafür, dass sein schulterlanges graues Haar hinten über den Hemdkragen wellte.

      Hedwig Zumboldt hatte mit schnellen Griffen die letzten Lockenwickler herausgezogen. »Ich muss nur noch mal schnell durchkämmen, dann bin ich schon fertig.«

      »Sollen wir das wirklich durchziehen?«, fragte Alois Zumboldt und zog seine Frau so nah an sich heran, wie es ihrer beider Leibesfülle gestattete.

      »Was, den Empfang im Tourismusamt?«

      »Schmarrn, Hedy, stell dich nicht so blöd. Ich meine das mit dem Buben.«

      »Ist das jetzt dein Ernst?« Sie sah ihn verwundert an.

      »Na ja. Er ist schließlich unser einziger Bub.«

      »Was ist denn los mit dir? Wir tun das Richtige, Loiserl.« Sie tätschelte ihrem Mann die mächtige Wampe.

      »Ich weiß. Aber der Herr Pfarrer hat doch auch gesagt …« Alois Zumboldt sah seiner Frau traurig in die Augen. Dann bebten seine Lippen, und er konnte den Blick nicht mehr ernsthaft halten. Seine Wangen begannen zu glühen, und er kicherte albern.

      »Ach, du! Fast wäre ich drauf reingefallen. Kindskopf.« Hedwig Zumboldt gab ihrem Mann einen spielerischen Klaps. Alois löste sich von ihr und verließ das Ankleidezimmer in Richtung Küche. Er schenkte sich einen Becher Kaffee ein, keine Milch, kein Zucker, und trank ihn hastig. »Gut, Weib. Dann schauen wir auf dem Weg nach unten schnell bei der Fiona vorbei.«

      »Von mir aus.« Sie verdrehte die Augen. »Dann versauen wir uns eben den Tag gleich von Anfang an und machen dem Flitscherl noch unsere Aufwartung.«

      »Reiß dich zamm, Weib!«

      »Wissen Sie, warum dieses Anwesen hier den schönen Namen Einstein-Tower trägt?«, plauderte Hartwig während sich die Lifttür geräuschlos schloss. Er hielt seinen Transponder an eine Metallplatte und tippte dann »11« ein.

      »Ich dachte, wir fahren in den zehnten Stock«, fragte Pfeffer verwundert.

      »Das tun wir auch«, antwortete Hartwig lächelnd. »Das ist etwas verwirrend. Aber die Bauherren hatten Angst, dass dreizehn Stockwerke mögliche Käufer abschrecken könnten. Sie wissen schon, Unglückszahl. Darum machen wir es wie die Amerikaner. Das Erdgeschoss zählt als eins, so haben wir vierzehn Etagen.«

      Der Lift schoss nach oben.

      »Und warum heißt es nun Einstein-Tower?«, fragte Pfeffer.

      »Hier stand früher mal das Gymnasium, auf das Albert Einstein gegangen ist. Das königliche Luitpold-Gymnasium. Ist das nicht faszinierend? Da zu leben, wo der Geist des größten Genies aller Zeiten geformt wurde? Das ist historischer Boden!«

      »Sie brauchen sich keine Mühe geben«, sagte Pfeffer lakonisch. »Ich möchte hier nichts kaufen.«

      »Ich …«, Hartwig begriff die Ironie verzögert. »Ach so.« Er lachte künstlich. »Da müsste ich Sie ohnehin enttäuschen. Längst alles verkauft. Ich kann Ihnen das ganze Anwesen zeigen, wenn Sie möchten.«

      »Darauf komme ich gerne zurück.«

      Die Lifttür öffnete sich. Pfeffer und Hartwig betraten den Flur, der mit zartgrauen italienischen Marmorplatten gekachelt war. Pfeffer sah nur zwei Türen, eine war offenbar die Wohnungstür, über der anderen leuchtete ein grünes Notausgangsschild, sie führte also zum Treppenhaus.

      »Lassen Sie bitte mich das regeln«, sagte der Objektmanager und trat vor die Gegensprechanlage links von der Wohnungstür. Er läutete und wartete. Er sah dabei ernst und direkt in die kleine Kamera oberhalb der Klingel, in der Erwartung, dass sich gleich jemand melden würde.

      »Da sind Sie ja«, sagte die Frau, die mit Schwung die Tür aufriss. Sie schob einen großen Koffer durch die Tür. Sie war eine attraktive Blondine in den Dreißigern, doch ihr Gesicht wirkte einen kleinen Hauch zu maskenhaft. »Den können Sie gleich schon mal mit runternehmen. Dann kommen Sie wieder rauf und holen den Rest. Bin gleich fertig.«

      »Äh, nein, Frau Zumboldt«, stotterte Hartwig. »Das ist nicht der Chauffeur …«

      »Pfeffer, Kripo München.« Max Pfeffer hielt seine Dienstmarke hoch. Die Frau stoppte irritiert in ihrer Betriebsamkeit, kniff die Augen zusammen und kam ganz nah. Offenkundig war sie zu eitel für eine Brille und hatte keine Kontaktlinsen drin.

      »Kripo?«, fragte sie abschätzig. Dann lächelte sie und musterte Pfeffer. Dass ihr gefiel, was sie sah, verbarg sie nicht. »Ich fürchte, Sie kommen nicht wegen mir, oder?« Sie warf ihren Kopf kokett nach hinten. Ihr streng nach hinten gebundener Pferdeschwanz wippte frech.

      »Sollte ich denn Ihretwegen kommen?«, fragte Pfeffer.

      Statt darauf zu antworten, machte sie eine einladende Geste und gab den Weg in die Wohnung frei. Pfeffer trat ein, und als Hartwig ihm folgen wollte, schenkte er ihm einen scharfen Blick. Hartwig stockte. Dann sagte Fiona Zumboldt: »Danke, Hartwig, wir kommen sicher alleine zurecht.«

      »Ich … ich verabschiede mich dann mal. Frau Zumboldt. Herr Pfeffer.« Objektmanager Jürgen Hartwig verbeugte sich leicht und zog sich zurück.

      »Was für eine schleimige Schwuchtel«, sagte Fiona Zumboldt und verlor damit sofort alle Sympathiepunkte bei Pfeffer, obwohl er sie auf den ersten Blick für durchaus sympathisch und trotz des zu heftigen Botoxeinsatzes für sehr attraktiv gehalten hatte. Dann schob sie ein »Entschuldigen Sie die Ausdrucksweise« hinterher, und Pfeffer war halbwegs versöhnt. Sie führte Pfeffer in den großzügigen Eingangsbereich des Lofts. Die bodentiefe Fensterfront genehmigte einen atemberaubenden Blick über Münchens Süden hinweg in die Weite. Wenn Föhn geherrscht hätte, hätte man die Alpen sehen können. So konnte man sie nur im blauen Dunst erahnen. Das Entree war spärlich, aber höchst erlesen möbliert.

      »Kann ich Ihnen etwas zu trinken anbieten, Herr Pfeffer? Und bitte nehmen Sie doch Platz.« Sie deutete auf eine kleine, massive Eichenholzbank, die so schlicht aussah, dass sie ein Vermögen gekostet haben musste.

      »Danke.«

      »Danke ja oder danke nein.«

      »Danke nein. Ich bleibe auch lieber stehen. Sie verreisen?«, fragte Pfeffer und deutete auf die gepackten Koffer.

      »Ich? Nein. Bestimmt nicht. Mein Mann verreist. Auch wenn er das noch nicht weiß. Irgendwann reicht es.«

      »Ich verstehe«, sagte Pfeffer langsam.

      »Nein, das glaube ich nicht. Keiner versteht meinen Mann. Ich schon mal gleich gar nicht.« Sie lehnte sich mit verschränkten Armen gegen eine Kommode, die ebenso schlicht und streng gestaltet war wie die Holzbank. Über dem Möbel hing eine alte afrikanische Maske. »Sie wollten mit mir über meinen Mann sprechen, Herr Pfeffer?«

      »Richtig.« Max Pfeffer kam nicht weiter. Es läutete an der Tür.

      »Herrschaftszeiten«, stöhnte Fiona Zumboldt und ging mit großen Schritten zum Eingang. Sie riss die Tür mit einem unfreundlichen »Ist der Chauffeur endlich da?« auf und prallte mit einem Seufzer zurück. Vor der Tür stand ein dralles Trachtlerpaar. Sie im nachtblauen Dirndl mit hellblauer Schürze, er in einem dunklen Lodenanzug mit besticktem Gilet und Filzhut mit prächtigem Gamsbart. Er trug eine alte Aktentasche in der linken Hand. Beide lächelten ebenso zuckersüß wie falsch. Jeder, der auch nur gelegentlich einen Blick in eine Münchner Zeitung warf, erkannte das prominente Wirtspaar Hedwig und Alois Zumboldt sofort – Großgastronomen, Wiesnwirte, Münchner Institutionen.

      »Mei, Fiona.« Die dicke Trachtlerin rauschte herein und drückte die Hausherrin kurz an ihren mächtigen Busen. »Gut schaust du aus. Bisschen blass, na, das liegt wahrscheinlich nur an dem grünen Dings, das du da trägst. Grün ist einfach nicht deine Farbe, Schatz.«

      »Freu mich auch, dich zu sehen, Hedwig.« Fiona Zumboldt ertrug mit stoischem Blick auch das Bussi-Bussi des dicken alten Manns.

      »Wir wollen nicht lange stören«, sagte Alois Zumboldt und schob sich in die Wohnung. »Termine, Termine, Termine und dann müssen

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