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gewonnen sind, sind höchst problematisch.89 Solche Überlegungen stehen natürlich in einer gewissen Spannung zur volkstümlichen Gebetspraxis, wie sie sich z.B. auf Votivtafeln dokumentiert. Diese Spannung ist aber, wie schon angedeutet, nicht aufzulösen, drückt sich doch darin immer auch das grundsätzliche menschliche Bedürfnis aus, das Heilige an bestimmten Handlungen quasi „festzumachen“, d.h. zu konkretisieren, zu materialisieren. Aber selbst der einfache Gläubige wird sich der Paradoxie der Erhörungsproblematik bewusst sein, wenn er den Satz im Vater-unser „Dein Wille geschehe“ ernst nimmt. Diese Einsicht leitet auch schon zu meinem letzten Aspekt über.

      5. Die mystische Überhöhung des Gebets

      In seinem Traktat „Von Abgeschiedenheit“, aus dem ich schon oben zitiert habe, kommt Meister Eckhart im Rahmen seiner weiteren Überlegungen auf die Frage zu sprechen: „Was ist des abgeschiedenen Herzens Gebet?“ Und er antwortet darauf: „Abgeschiedene Lauterkeit kann nicht beten, denn wer betet, der begehrt etwas von Gott, das ihm zuteil werden solle, oder aber begehrt, daß ihm Gott etwas abnehme. Nun begehrt das abgeschiedene Herz gar nichts, es hat auch gar nichts, dessen es gerne ledig wäre. Deshalb steht es ledig allen Gebets, und sein Gebet ist nichts anderes als einförmig zu sein mit Gott. Das macht sein ganzes Gebet aus.“90 Gegen Ende dieses Traktates findet sich dann noch das folgende Wort Meister Eckharts: „Das schnellste Tier, das euch zu dieser Vollkommenheit trägt, ist das Leiden.“ Und: „Das festeste Fundament, worauf diese Vollkommenheit stehen kann, ist die Demut, denn wessen Natur hier in der tiefsten Niedrigkeit kriecht, dessen Geist fliegt empor in das Höchste der Gottheit, denn Liebe bringt Leid, und Leid bringt Liebe.“91

      In seinem bekannten, nur wenige Monate vor seinem Tode geschriebenen „Abschiedswort“ an seine Studierenden hat der christliche Existenzphilosophen Peter Wust (1884-1940) Ähnliches zum Ausdruck gebracht wie Meister Eckhart, wenn es hier gegen Ende heißt: „Und wenn Sie mich nun noch fragen sollten, bevor ich jetzt gehe und endgültig gehe, ob ich nicht einen Zauberschlüssel kenne, der einem das letzte Tor zur Weisheit des Lebens erschließen könne, dann würde ich Ihnen antworten: ‚Jawohl‘. – Und zwar ist dieser Zauberschlüssel nicht die Reflexion, wie Sie es von einem Philosophen vielleicht erwarten möchten, sondern das Gebet. Das Gebet, als letzte Hingabe gefaßt, macht still, macht kindlich, macht objektiv. Ein Mensch wächst für mich in dem Maße immer tiefer hinein in den Raum der Humanität (– nicht des Humanismus –), wie er zu beten imstande ist, wofern nur das rechte Beten gemeint ist. Gebet kennzeichnet alle letzte ‚humilitas‘ des Geistes. Die großen Dinge des Daseins werden nur den betenden Geistern geschenkt. Beten lernen aber kann man am besten im Leiden.“92 Und nur wenige Wochen vor seinem Tod schreibt er in einem Brief an seine Tochter Else vom Krankenbett aus: „Alles wie Gott es will. Man muß so weit in der Gelassenheit kommen, daß man, wie der hl. Franz von Sales, der berühmte Bischof von Genf, es formuliert, weder etwas Angenehmes wünscht, noch etwas Unangenehmes abweist.“93

      Mit diesen Sätzen will Wust nicht einem unversöhnlichen Gegensatz von Glauben und Denken das Wort reden.94 Es handelt sich hier einfach um das Selbstzeugnis des Menschen Peter Wust, für den im Angesicht des Todes nicht die Reflexion, sondern das Gebet – „als letzte Hingabe gefaßt“ – das Entscheidende ist.

      Wer aber mit einer solchen, wie auch immer verstandenen Form von Leidensmystik, in der ohne Zweifel ein Körnchen Wahrheit steckt, nun doch seine Schwierigkeiten hat, weil eine solche vielleicht doch mehr Probleme mit sich bringen mag, als sie zu lösen vorgibt und weil sie auch nicht vor Missverständnissen und Missbräuchen gefeit ist,95 dessen Blick möchte ich in diesem Zusammenhang noch einmal auf Paul Tillich lenken, der Mystik nicht so sehr als ein besonderes Verhältnis zum Seinsgrund deutet, sondern als ein Element in jedem derartigen Verhältnis. In diesem Sinne fehlt das mystische Element nach Tillich in keiner religiösen Erfahrung,96 wobei dieses mystische Element der Religion auf der Seite der religiösen Selbstkritik steht, wie sie auch in der prophetische Kritik zum Ausdruck kommt.

      Auf die Gebetsproblematik angewandt, heißt das für Tillich, dass die Tatsache, dass wir in der Wirklichkeit einen Gegensatz vorfinden zwischen einer religiösen Kultur, Religion genannt, und einer weltlichen Kultur, letztlich auf die Entfremdung des Menschen von seinem wahren Wesen hinweist. Denn stünde der Mensch in seinem Wesen, so gäbe es keinen kulturellen Akt, der nicht gleichzeitig ein religiöser wäre. In Bezug auf das Gebet würde das implizieren, dass es eigentlich keiner besonderen Worte des Betens bedürfte, sondern dass alle unsere Worte immer auch schon Gebet wären. Aber ein solcher Zustand, in dem das Wesen der Religion realisiert wäre, wäre nach Tillich das Reich Gottes, denn dieses ist „der Ort, an dem jedes Ding völlig transparent ist, damit das Göttliche durchscheinen kann. In seinem erfüllten Reich ist Gott alles in allem.“97

      Die geschichtliche Wirklichkeit sieht aber anders aus. Hier stehen Religion und Kultur nebeneinander oder gar gegeneinander. Daraus folgt, dass wir notgedrungen unterscheiden müssen, um erleben zu können. Das heißt, in der Wirklichkeit finden wir immer „einen Tempel neben einem Rathaus, das Abendmahl des Herrn neben einem täglichen Abendessen, das Gebet neben der Arbeit, Meditation neben Forschung, caritas neben eros“.98 Und trotzdem sollte die Überwindung der menschlichen Selbstentfremdung als Ziel niemals aus den Augen verloren werden; Tillich spricht in diesem Zusammenhang vom Telos der Theonomie.99 Im biblischen Wort, dass es im himmlischen Jerusalem keinen Tempel mehr gibt,100 finden diese Überlegungen ihre Entsprechung.

      6. Resümee

      Mit dieser mystischen Überhöhung des Gebets ist jede Mittel-Zweck-Relation in Bezug auf die Gebetsproblematik vollends überwunden. Aber es muss hier natürlich auch kritisch angemerkt werden, dass damit gleichzeitig auch das konkrete Element in den Hintergrund gerät, haben doch mystische Erfahrungen immer nur punktuelle Präsenz. Demgegenüber sind die „Materialisierungen“ des Bittgebets, in denen die konkrete Situation des Menschen in seiner Not an Gott herangetragen wird, mit der Hoffnung auf Erhörung im ganz vordergründigen Sinne, immer auch schon gerechtfertigt, wenn sie im Geiste des zitierten Vater-unser-Wortes „Dein Wille geschehe“ erfolgen.

      Wenn ein Betender in der ganz konkreten Erhörung seiner Bitte die Erfüllung des Gebets sieht, so spricht sich hier religiöse Erfahrung aus, die man keinem absprechen sollte. Aber der Beter sollte sich auch der Tatsache bewusst sein, dass es sich hierbei um eine religiöse Deutungskategorie handelt und Ungläubige oder Unbetroffene eventuell andere Erklärungsmuster heranziehen würden, Wissenschaftler wohl darauf verweisen würden, dass es solche Phänomene nicht nur im religiösen Bereich gibt und es zum gegenwärtigen Stand der Forschung einfach noch nicht möglich sei, diese Dinge „wissenschaftlich“ zu erklären, was aber nicht unbedingt eine prinzipielle Grenze impliziert, wir es also hier nicht notwendig mit „Unerklärlichem“ zu tun haben. Das heißt nun aber nicht, dass sich die Deutung des Beters nur auf der Seite der Subjektivität abspielte, wobei mit einem Verweis auf die Objektivität eines solchen Geschehens – wie dargelegt – kaum etwas gewonnen wäre. Wenn eine Gebetserhörung aber keine historische oder empirische Angelegenheit ist, was ist sie dann?

      Ich würde sagen, dass solche Ereignisse weder allein der subjektiven Seite, noch allein der objektiven Seite zuzurechnen sind, sondern dort anzusiedeln sind, was Martin Buber im Zusammenhang seiner personalistischen Philosophie als den Bereich des „Zwischen“ oder Karl Jaspers als die „Unlösbarkeit von Subjektivität und Objektivität“ bezeichnet hat.101 Ein Vergleich mit der Liebe, auf den ich oben im Zusammenhang mit der Gottes-Rede schon einmal eingegangen bin, kann auch hier verdeutlichen, was gemeint ist: Die Liebe haftet ja nicht dem Ich an, als ob sie das Du „nur zum ‚Inhalt‘, zum Gegenstand hätte“ sondern „sie ist zwischen Ich und Du“.102

      Damit ist immer auch schon ein weiterer Aspekt verbunden: dass nämlich Glaube und Zweifel prinzipiell zusammengehören und nicht zu trennen sind.103 Wenn wir das bedenken, dann wird sich so manches Problem als „Scheinproblem“ entlarven. Auf unser Problem angewandt heißt dies, dass ich nie zweifelsfrei erkennen oder wissen kann, ob mein Beten geholfen hat,

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