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ist, dass wir kein einziges Gatter selbst öffnen müssen, denn überall stehen junge Leute, die diese jedes Mal für die Biker öffnen, und sie tun es auch allesamt für uns. Teilweise ist der Weg aber derart schmal und die Radfahrer sind so schnell unterwegs, dass wir uns nur mehr mittels Hechtsprung in die Büsche retten können. Ganz schön was los hier. Die höchste Startnummer, die wir sehen, trägt die Aufschrift 3.544, dann allerdings trennen sich unsere Wege und wir marschieren in Richtung Bossington Hill, wo sich die beiden Routen des SWCP wieder treffen sollen. Hier begegnen wir noch einer Schulklasse, die sich auf einer Schnitzeljagd befindet. Die jungen Menschen scheinen allerdings wenig angetan zu sein von den Aufgaben, die ihnen zugeteilt wurden, denn allesamt ziehen sie eine Miene wie sieben Tage Regenwetter. Kaum habe ich den Gedanken fertig gedacht, ich sie auch schon, die ersten Regentropfen.

      Wir versuchen, so schnell wie möglich nach Bossington zu kommen, denn den steilen Abstieg ins Dorf möchte ich nicht so gerne im Regen überwinden. Es dauert ziemlich lange, bis wir wieder flachen Boden unter den Füßen haben, doch als wir uns gerade dazu entschlossen haben, eine kleine Pause am hiesigen Campingplatz einzulegen, beginnt es, wie aus Eimern zu schütten. Wir holen schnell unsere Regenkleidung aus ihrem Versteck und verschieben das Mittagessen auf später. Bei strömendem Regen wandern wir weiter durch die Salzwiesen von Porlock und kommen bereits um 14.00 Uhr in Porlock Weir an, nur eine halbe Stunden später als die Prognose gelautet hat. Hier in Porlock Weir ist großes Remmidemmi, denn das „Porlock Weir Real Ale Festival“, kurz Weir Fest, ist in vollem Gange. Die Leute sitzen unter großen Regenschirmen und lauschen der dargebotenen Musik. Die Kellnerin des Ship Inns, dem Veranstalter dieser Sause, meint zwar, dass dieses Fest jedes Jahr am ersten Juli-Wochenende stattfindet, ich bin aber eher geneigt zu glauben, dass Porlock Weir dies extra für meinen Geburtstag auf die Beine gestellt hat. Heute ist nämlich tatsächlich mein Geburtstag, der 42., und somit angeblich die beste Zeit, um etwas Neues zu beginnen. Angeblich wird ja jeder von uns alle sieben Jahre zu einem neuen Menschen und wie könnte man diesen Start in die nächsten sieben Jahre besser feiern als mit einer groß angelegten Wanderung und natürlich mit einem riesigen Bierfest zu meinen Ehren?

      Wir checken in unser B&B ein, dem frisch renovierten „Locanda“, und freuen uns über das Upgrade, das die netten Besitzer uns zukommen lassen. Von unserem Zimmer aus sehen wir nicht nur aufs Meer, sondern auch direkt auf die Bühne und können so die Musikgruppen im Trockenen beobachten. Die Qualität ist wirklich beachtlich und wir sind fasziniert von der Tatsache, dass das Wetter den Leuten hier so gar nichts auszumachen scheint, denn die Stimmung ist ausgelassen und fröhlich. Kurze Zeit später verdrängt die neugierige Sonne die grauen Gewitterwolken und lässt die vielen Regentropfen auf Bänken und Tischen verschwinden. So zieht es auch uns noch einmal auf die Straße, doch die Erkundungstour des kleinen Dörfchens Porlock Weir endet sehr schnell, denn es gibt nicht wirklich viel zu entdecken, ein kleiner Hafen und ein paar angeblich his­torische Cottages, dann ist man auch schon durch. Selbst im hiesigen Grocery Shop, der nicht einmal das Sortiment eines österreichischen Greißlers aufweisen kann, gibt es keine offiziellen Öffnungszeiten. Je nach Wetterlage und Laune sperrt er auf, erklärt uns der Verkäufer. Da uns das zu gefährlich ist für unseren Wasservorrat morgen, decken wir uns gleich heute mit dem Nötigsten ein; das Risiko, morgen vor verschlossenen Türen zu stehen, wollen wir lieber nicht eingehen. Damit unser Vermieter auch noch ein wenig Geschäft macht, bestellen wir uns eine Pizza aufs Zimmer und lassen den Tag noch einmal gemütlich Revue passieren. Wir sind uns einig: Das haben wir gut hinbekommen.

      „Ist dir klar, dass wir diesen Scheiß noch 57 Mal machen müssen?“

      Peter, Ehemann

      Tag 2

      Strecke: Porlock Weir nach Lynton

      19,8 km – 962 hm – 2,76 km/h

      am Pfad: 35,1 km

      Unterkunft: Rockvale, £ 90,–  empfehlenswert

      unfassbar heiß

      Heute weckt mich wirklich die Sonne, ein Blick durch das riesige Pano­ramafenster unseres Zimmers verspricht einen strahlend sonnigen Tag. Natürlich sind wir wieder viel zu früh wach. Die Zeitumstellung, auch wenn die Uhr nur eine Stunde zurückzustellen war, haben wir wohl noch nicht ganz verkraftet. Ich bin eine Verfechterin der Abschaffung der Zeitumstellung, ob man sich dafür auf Sommer- oder Winterzeit verständigt, ist für mich sekundär. In Großbritannien hätte uns das aber auch nichts genützt, denn auch hier machte sich im März die Zeit bereit für den Sommer. Im Laufe unserer Wanderung werden wir erfahren, dass ich nicht die einzige bin, die sich für eine Abschaffung der Zeitumstellung ausspricht, einer EU-Umfrage zufolge denken über 80 % ähnlich. Man darf gespannt sein, wie sich das entwickeln wird. Das Ziel, eine einheitliche Regelung für alle EU-Staaten zu finden, scheint mir ein schwieriges Unterfangen zu sein. Eines, das Großbritannien allerdings ohnehin nach dem Brexit nicht mehr tangieren wird.

      Wie bereits gestern sind wir die Allerersten beim Frühstück, doch ­niemand ist zu sehen. Cindy taucht erst nach zehn Minuten im Frühstücksraum auf und ist überrascht, dass sich schon jemand in dem geschmackvoll eingerichteten Zimmer eingefunden hat. Da die Mahlzeit auch noch frisch zubereitet wird, verzögert sich der Start unseres Tages ziemlich. Als es endlich losgeht, hat die Sonne bereits ihre heißen Strahlen ­ausgefahren und scheint lustig vor sich hin. Wir gehen vorbei am Anchor Hotel und folgen der Ausschilderung nach Culbone, wo sich eine hüb- sche, kleine Kirche befindet. Sie ist die kleinste Pfarrkirche Englands und dem walisischen Heiligen Beuno geweiht. Wanderer des SWCP kom- men in den Genuss, direkt an der unter Denkmalschutz stehenden Kirche ­vorbeizulaufen; ein Auto müsste man etwa eine Meile vor dem Gottes- haus ­abstellen.

      Oben ist die Sicht am besten.

      Von jetzt an verläuft der Weg die meiste Zeit durch bewaldetes Gebiet. Obwohl dadurch etwas Schatten geboten wird, merken wir schnell, dass es immer heißer wird, und mich beschleicht ­leise das Gefühl, dass wir uns mit unseren eineinhalb Litern Wasser möglicherweise etwas verspekuliert haben. Nachdem wir gestern nur etwas mehr als einen halben Liter getrunken hatten, schien für heute die dreifache Menge eine gute Entscheidung zu sein. Nach den ersten zwei Meilen, in denen bereits ein halber Liter getrunken ist, beschließen wir, uns den Wasservorrat nun gut einzuteilen, denn es gibt keine Pubs oder gar Supermärkte entlang der zehn Meilen, die noch vor uns liegen. Nun steht uns eine Umleitung über Yenworthy Woods bevor, denn die jüngsten Landrutsche haben den ursprünglichen Weg unpassierbar gemacht. Das nächste Highlight soll der „Sister’s Fountain“ sein, eine natürliche Quelle, umzingelt von hohen Bäumen, die den Wasserlauf bewachen. Nach zahllosen Auf- und Abstiegen, die aber zumindest an der durchschnittlichen Länge erträglich sind, kommen wir zu dieser angeblich so wunderbaren Quelle. Ehrlich gesagt hätten wir sie fast übersehen, so winzig war sie. Ein Steinkreuz lässt uns allerdings vermuten, dass sie doch hier in der Nähe sein muss, und nach einer groß ­angelegten Suchaktion finden wir sie dann auch. Die Quelle mag im Frühling wirklich eindrucksvoll sein, aber jetzt ist sie eher mit einem kleinen Rinnsal zu vergleichen. Wir überlegen kurz, ob wir uns trauen sollen, hier Wasser nachzufüllen, sind dann aber doch nicht so mutig wie Josef von Arimathäa, der sich der Legende nach hier auf seinem Weg nach Glastonbury stärkte. Josef von Arimathäa war laut Johannesevangelium ein heimlicher Jünger Jesu und so eine kleine Verbindung in Richtung Himmel ­hätten wir heute eigentlich gut gebrauchen können; aber diese Chance vergeben wir und wandern weiter zu den berühmten Wildschweinköpfen in der Nähe von Wingate Combe. Zum ersten Mal lernen wir von einem entgegenkommenden Wanderer, dass hier so gut wie nichts so gesprochen wird, wie es die Schreibweise vermuten lässt. Combe zum Beispiel wird hier in der Region „ku:m“ ausgesprochen und dieses „ku:m“ wird uns die nächste Woche beinahe täglich begegnen.

      Wir merken, dass es bereits weit nach Mittag ist, und entschließen uns zu einer Pause. Mittlerweile ist es irrsinnig heiß. Wir haben erst die Hälfte des Weges geschafft, sind allerdings bereits vier Stunden unterwegs. Das kann ja heiter werden … Die Pause halten wir lieber recht kurz, denn es liegt noch ein weiter Weg vor uns und wir wollen schließlich noch bei ­Tageslicht in Lynton ankommen. Es mag aber nicht so richtig

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