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wäre auch sehr gerne ein Teil davon gewesen. Wieder einmal fühlte ich mich ausgeschlossen oder besser, ich schloss mich aufgrund meiner eingeschränkten bzw. fast nicht vorhandenen körperlichen Möglichkeiten eigentlich von selbst aus. Der Wunsch, eine Pilgerreise nach Mariazell zu unternehmen, blieb für die nächsten zwölf Jahre unerfüllt, aber im Frühjahr 2014 machten Peter und ich uns auf den Weg. Im beschau­lichen Puchberg, am Fuße des Schneebergs, starteten wir unseren dreitägigen Marsch zum wichtigsten Wallfahrtsort Österreichs. Andere schaffen das locker in zwei Tagen oder gehen in drei Tagen direkt von zu Hause aus los, aber ich wollte einmal langsam beginnen und gut war’s. Während sich die erste Etappe bis Schwarzau im Gebirge noch recht einfach bewältigen ließ, war der zweite Tag eine absolute Herausforderung. Schon damals trugen wir alles, was wir brauchten, am Rücken und die letzten Kilometer, die eigentlich nur mehr flach dahin gingen, zogen sich immens und mir tat alles weh. Jeder, der am Abend in die Nähe unseres Zimmers kam, wurde unweigerlich in eine Wolke aus Tigerbalsam und Thermo Lotion gehüllt; selbst den Weg zur Toilette vermied ich, solange es noch irgendwie vertretbar war. Ich erinnere mich noch gut daran, dass ich mich laufend fragte, wie in Herrgotts Namen ich am nächsten Tag nach Mariazell kommen sollte, doch das, was am Tag zuvor noch unverstellbar gewesen war, gelang am nächsten Morgen dann doch, ­indem wir uns einfach unsere Wanderschuhe anzogen und losmarschierten. Spätestens vor den Toren Mariazells wurde mir dann klar: Ich bin eine Weitwanderin. Gut, vielleicht war ich damals noch keine, aber ich wollte unbedingt eine werden.

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      Meine erste Mehrtageswanderung nach Mariazell.

      Alpannonia Weitwanderweg.

      Im Jahr darauf eroberten wir dann ­unseren nächsten offiziellen Fernwanderweg, den in sechs Etappen angelegten Al­pannonia, der zu den „Best Trails of Austria“ zählt. Ein grenzüberschreitendes Wegesystem ­verbindet Fischbach, den Semmering und Köszeg auf einem recht ein­fachen, 123 km langen Höhen- und Panoramatrail. Er führt von den letzten Gipfeln der Alpen bis in die pannonische Ebene und bietet jede Menge Abwechslung auf der Reise durch drei österrei­chische Bundesländer und bei der Überschreitung der Grenze nach ­Ungarn im Naturpark Geschriebenstein. Uns bot er gleich noch viel mehr Abwechslung, denn wir verliefen uns mehr als nur einmal und so erhöhten wir die zurückge­legten Wegkilometer deutlich. Rückblickend war dies wohl schon eine gute Vor­bereitung auf unsere Wanderung entlang des South West Coast Path (SWCP). Außerdem finden sich tatsächlich mehrere Parallelen, etwa großartige Aussichten oder das Wandern durch dichtes Gestrüpp. Doch während uns der SWCP teilweise durch Elfen­wälder führen würde, zeichnete sich der Alpannonia vor allem durch seine Streckenführung durch ein regelrechtes Schwammerlwun­derland aus. Noch nie hatte ich so viele Pilze – vor allem meinen Liebling, den ­Parasol – gesehen wie auf ­dieser Reise, und dass ich sie dort stehen lassen musste und nicht zu Hause zu einem wohlschmeckenden Pilz­gericht – zugegeben, eher hätte ich sie einfach nur paniert – verarbeiten konnte, tat mir in der Seele weh.

      Zu diesem Zeitpunkt hatte ich meine Ernährung bereits auf vegetarisch umgestellt, was anfangs für meinen Körper sehr schwierig gewesen und doch wieder einigen Kilos mehr die Gelegenheit geboten hatte, sich auf meinen Hüften festzusetzen. Als ich damals begann, mich intensiv mit ­Ernährung zu ­beschäftigen, wurde der Wunsch nach einem fleischlosen Leben immer stärker. Die Entscheidung traf ich vor allem aus moralischen und weniger aus gesundheitlichen Gründen. Die Frage, ob Fleisch an sich für den Menschen gesund ist oder nicht, mag in ernährungswissenschaftlichen Kreisen eine Streitfrage darstellen, doch in Bezug auf den größten Teil des heute verkauften Fleisches lässt sich die Frage unzweideutig be­antworten, wenn wir uns anschauen, was die Tiere und das Fleisch durchmachen müssen, bevor es – getarnt in schöner Verpackung – im ­Einkaufswagen der Menschen landet. Natürlich gibt es Ausnahmen in der Fleischproduktion, aber zum großen Teil entsteht Fleisch durch eine ethisch verwerfliche, tierquälerische und unhygienische Massentierhaltung, bei der ich nicht länger wegschauen wollte. Die Brutalität, denen Schlachttiere normalerweise ausgesetzt sind, verurteilte ich zutiefst, und immer öfter bekam ich ein schlechtes Gewissen beim Fleischverzehr. Tatsächlich wollte ich nicht, dass auch nur ein einziges Tier wegen mir getötet werden musste, was somit auch Fische einschloss. Die Wahrheit ist allerdings, dass ich mir lange nicht vorstellen konnte, tatsächlich auf Fleisch zu verzichten. Die Fastenzeit vor Ostern kam mir damals gerade recht und ich beschloss, mich während dieser Wochen rein vegetarisch zu ernähren und danach wieder in meine früheren Ernährungsgewohnheiten zurückzu­kehren – bis zum nächsten Osterfest. Überraschenderweise war es für mich aber derart einfach, diese fleischlose Ernährungsvariante aufrecht zu erhalten, dass ich am Ende der Fastenzeit beschloss, bis auf weiteres Vegetarierin zu bleiben – mit dem Zugeständnis an mich selbst, jederzeit wieder damit aufzuhören, wenn mich Heißhungerattacken oder Mangelerscheinungen quälen würden. Seit dieser Entscheidung vor vielen Jahren, die ich für eine der besten meines Lebens halte, vermisste ich Fleisch oder Fisch keine einzige Minute. Mittlerweile ist aus dem anfänglichen Versuch eine fixe Lebenseinstellung geworden. Doch Vegetarierin zu sein, heißt nicht nur, auf Fleisch, Fisch und Wurst zu verzichten, sondern auch auf die meisten Fruchtgummis, die Gelatine enthalten, und auf Käsesorten, die mittels tierischem Lab entstehen. Beides ist für Vegetarier tabu, denn das tierische Eiweiß Gelatine wird aus Knochen hergestellt und die benötigten Bestandteile von Lab werden aus Kälbermägen gewonnen. Glücklicherweise gibt es mittlerweile allerdings viele Alternativen, die Gelatine ersetzen und auch viele Käsereien, die auf mikrobielles Lab umgestellt haben, wodurch sich der tatsächliche Verzicht in Grenzen hält.

      Mit einer Nebenwirkung hatte ich allerdings tatsächlich zu kämpfen und das war ein akuter Eisenmangel. Anämie ist eine der häufigsten ­Mangelerkrankungen des Menschen und nicht automatisch der vegeta­rischen Ernährung zuzuschreiben, doch bei mir persönlich war es tat­sächlich so. Auch wenn es theoretisch möglich ist, die notwendigen Eisenanteile aus der pflanzlichen Nahrung zu beziehen, habe ich mich dennoch dafür entschieden, das Eisen von außen, sprich durch Tabletten, zu mir zu nehmen. Lange war mir der Eisenmangel gar nicht bewusst, denn ty­pische Symp­tome wie Kopfschmerzen, Müdigkeit oder Schwindel waren nicht klar ­erkennbar und meine Kurzatmigkeit konnte bestimmt nicht in erster Linie einem Mangel an Eisen zugeschrieben werden. Wie ausge- prägt die Anämie tatsächlich war, wurde erst festgestellt, als ich ein Blutbild für ­meine bevorstehenden Wiederherstellungsoperationen machen musste.

      Training für den SWCP.

      Der massive Gewichtsverlust von mittlerweile 56 kg hatte deutliche Spuren an meinem Körper hinterlassen. Mein extrem schwaches Binde­gewebe konnte trotz der Langsamkeit der Abnahme nicht Schritt halten und so waren nun zwar die Fettzellen kleiner, doch die überschüssige Haut war geblieben. Die Schürze rund um den Bauchbereich entzündete sich immer wieder, meine Brust hatte schon bessere Tage gesehen und die Oberarme gingen fast als Engelsflügel durch, so allumfassend war der ­Radius bei jeder einzelnen Bewegung. Als ich mir dann beim Zumba ­ständig mit den schwingenden Armen selbst ins Gesicht schlug, wusste ich, dass es genug war und dass ich mich nun doch mit der Operation, die ich eigentlich vermeiden wollte, auseinandersetzen musste. Dieser Schritt fiel mir am schwersten in den letzten Jahren. Ich hatte mich im Vorfeld bereits gegen eine bariatrische Operation, also eine Magenver­kleinerung, entschieden, weil ich mir sicher war, dass ich es auch so schaffen konnte; das klappte ja auch, aber nun war es an der Zeit, sich der Realität zu stellen und zu akzeptieren, dass sich die Haut nicht mehr zurückbilden würde. Schwer war für mich etwa die Tatsache, dass ich mich freiwillig unter Narkose setzen lassen sollte, und zwar für viele Stunden. Ich wusste zwar, dass der Anästhesist die Aufgabe hatte, gut auf mich zu schauen, aber ich tat mir trotzdem schwer, das für gut zu be­finden. ­Außerdem hatte ich tatsächlich auch Angst davor, wie das Umfeld rea­gieren ­würde. Eine Bauchdeckenstraffung fanden viele noch als ange­messen, aber dass ich auch gerne wieder eine schöne Brust haben wollte, das konnten viele nicht nachvollziehen, weil das als unnötige Schönheits­operation einge- stuft wurde. Mit dieser

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