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Aufstieg oberhalb des Leuchtturms des Foreland Points steht uns noch bevor. Im Moment beglückwünsche ich mich nicht gerade zu der Entscheidung, den SWCP wandern zu wollen, doch das behalte ich lieber für mich. Seit einiger Zeit merke ich nämlich, dass auch mein Mann zu ­kämpfen hat und nicht gerade vor Begeisterung sprüht. Im Moment ist alles einfach nur mühsam und wir schauen besser nicht auf unsere Durchschnittsgeschwindigkeit, die derzeit wohl kaum über 2 km/h liegt. Runtastic wird mir am Abend erzählen, dass wir es doch auf 2,76 km/h geschafft haben, mein Gefühl der Langsamkeit in diesem Bereich aber ­absolut richtig war.

      Schritt für Schritt und ohne viel zu sprechen, gehen wir hinab zur Talsohle von Foreland, als plötzlich das Wunder des Tages ganz überraschend an einer Weggabelung wartet. Ein Tisch, zwei Sessel und eine Kühltasche vollgefüllt mit kalten Getränken, Obst und Kuchen. Sogar an Kaffee und Tee wurde gedacht. Dieser Anblick verleiht mir Flügel, ich schwebe förmlich dorthin, schmeiße den Rucksack ins Gras und belege einen der Klappstühle. „Walkers´ Honesty Café – Please give what you can. Thank you.“ ist dort auf einem gelben A4-Schild zu lesen und selten habe ich ein größeres Glücksgefühl verspürt als genau in diesem Augenblick. Wir verspeisen genüsslich sowohl Bananen als auch ein Stück Kuchen und erfreuen uns an den kalten Getränken, als plötzlich ein älteres Ehepaar des Weges kommt. In ihrem Gesicht ist eine Grimmigkeit zu lesen, auf die ich nicht gefasst war, denn eigentlich hätte ich ein strahlendes Lächeln erwartet. Die Frau geht grußlos an uns vorbei, der Mann schaut etwas ratlos. Ich erkläre ihm begeistert das Konzept und tatsächlich entschließt er sich, eine Cola aus der Kühlbox zu nehmen. Dann kramt er 2 Pence hervor und schmeißt es mit den Worten „That’s fair enough“ in die Kühlbox. Mir bleibt fast die Banane im Hals stecken und ich schaue ihm ungläubig nach. 2 Pence entsprechen 2,2 Cent, wie kann man das auch nur annähernd für angemessen erachten? Ich schäme mich für den Mann und kann es immer noch nicht fassen. Im Gegensatz dazu entscheiden wir uns, ganze 10 Pfund in die Dose zu geben, denn für uns war diese „Trail Magic“ fast lebens­rettend. Trail Magic ist vor allem bei Weitwanderern ein bekannter, wenn auch weit gefasster Begriff. Er bezeichnet kleine Wunder am Weg, von ­angebotenen Getränken und Speisen bis hin zu Fahrtendiensten oder Übernachtungsmöglichkeiten. Es sind die Dinge, die den Wanderern das Rundherum ein wenig angenehmer machen.

      Nach der Stärkung machen wir uns auf, um die letzte Erhebung zu ­erobern. Der Turboboost hält aber leider nicht lange und oben ange­kommen sind wir ziemlich erledigt. Zwar sind wir nun dem dichten Wald entkommen und haben einen großartigen Blick über die Klippen des ­Exmoor Nationalparks, aber richtig genießen können wir es nicht. Ein deutsches Pärchen überholt uns, doch mehr als Grüßen ist im Moment nicht möglich. Während wir uns langsam weiterschleppen, machen die beiden, die noch verhältnismäßig entspannt aussehen, eine Gipfelrast. Von weitem können wir erstmals unser heutiges Etappenziel sehen und realisieren, dass wir völlig unbemerkt die Grafschaft Somerset hinter uns ­ge­lassen haben und nun bereits in North Devon, einem Distrikt der Grafschaft Devon, angekommen sind. Hier werden wir uns etwas mehr als eine Woche aufhalten und wenn das so weitergeht wie ­heute, dann werden das irrsinnig anstrengende sieben Tage werden.

      Trail Magic, kleine Wunder am Weg … … es geht auch einfach.

      Der Weg schlängelt sich nun in Serpentinen in Richtung Meeresspiegel und zieht sich unendlich. Ein kleiner Flying Fox vom Gipfel direkt in die Stadt würde diese letzten Kilometer weniger anstrengend machen. Da ich allerdings unter Höhenangst leide, bin ich mir gar nicht sicher, ob ich ­diese Chance ergreifen würde; vielleicht wäre doch eine Seilbahn die ­bessere Alternative. Aber da weder das eine noch das andere gerade jetzt verfügbar ist, quälen wir uns Richtung Stadt. Schritte von hinten signalisieren, dass weitere Wanderer im Anmarsch sind. Es ist das deutsche Pärchen, dem offensichtlich auffällt, dass ich am Ende meiner Kräfte bin, und das sich wohl dazu genötigt fühlt, mich zu motivieren und mir gut zuzureden. Ich versuche so etwas wie ein kleines Lächeln hervorzupressen, bezweifle aber, dass ich damit sehr erfolgreich bin. Schließlich laufen wir gemeinsam über eine Fußgängerbrücke in Richtung Strandpromenade. Dort gönne ich meinem geschundenen Körper eine Rast auf der ersten Bank, die wir finden. Peter geht zurück zu einem kleinen Kiosk und kauft Wasser. 40 Pence pro Flasche sind ein Geschenk und es wird auch das günstigste Wasser bleiben, das wir hier trinken werden. Als er zurückkommt, schmeißt er sich neben mich auf die Bank und meint: „Ist dir klar, dass wir diesen Scheiß noch 57 Mal machen müssen? Was haben wir uns bloß gedacht?“ Meine Ver­suche, das Ganze irgendwie schönzureden, finden keinen fruchtbaren ­Boden, was wohl daran liegen mag, dass die gleiche Frage schon den ganzen Tag über in meinen eigenen Gedanken herumkreist. Ich wusste schon irgendwie, dass es hart werden würde, aber so hart?

      Nun gut, jetzt sind wir aber hier und müssen noch zu unserer Unterkunft, die sich nicht in der kleinen Stadt Lynmouth direkt am Meer be­findet, sondern in Lynton, das oberhalb auf einer Felsklippe liegt. Plötzlich ist sie da, die Seilbahn, die ich mir vor einer Stunde noch gewünscht hatte. Sie bringt müde Wanderer unangestrengt nach Lynton. Wir igno­rie­ren die Treppen hinauf gekonnt und entscheiden uns für die weniger aufreibende Alternative. In unter einer Minute überwinden wir 100 Höhenmeter, meine Runtastic App wird sich freuen und gar nicht wissen, was jetzt los ist. Schnell kaufen wir noch Abendessen beim Costcutter und wandern dann die letzten Meter hinauf zu unserem B&B, das wir den ­ganzen Tag über nicht mehr verlassen werden. Ich bin fix und foxi und bete, dass die nächsten zwei Monate bitte ganz schnell vergehen mögen.

      „I’m walking on sunshine!“

      Katrina and the Waves

      Tag 3

      Strecke: Lynton nach Combe Martin

      21,4 km – 1.148 hm – 2,19 km/h

      am Pfad: 56,5 km

      Unterkunft: Poplars, £ 80,– → akzeptabel

      immer noch unfassbar heiß

      Puh, gibt es einen einzigen Knochen in meinem Körper, den ich nicht ­spüre? Ich versuche, mich langsam im Bett herumzudrehen, doch vom ­Nacken bis zu den Unterschenkeln spüre ich Muskeln, von denen ich bis jetzt noch nicht einmal wusste, dass ich sie habe. Aber schließlich habe ich schon zwei Wandertage hinter mir. Wenn man es richtig betrachtet, dann ist das für sich allein genommen ohnehin eine großartige Meisterleistung – immer nur eine Frage der Definition und des Blickwinkels. Aber so recht mag ich mich selbst nicht davon überzeugen können. Daher beschließe ich, heute mal präventiv eine kleine Wunderpille in Form von Naproxen einzunehmen. Ich habe ein ganzes Schmerzmittelarsenal in den Rucksack gepackt und damit man mich beim Zoll nicht als hoffnungslosen Junkie festnimmt, habe ich die Hälfte davon heimlich meinem Mann ins Gepäck geschmuggelt. Wenn sie uns schon hopsnehmen, dann können wir so ­wenigstens zusammenbleiben.

      Mit der Natur auf du und du.

      Unabsichtlicher Abstecher ins Hinterland.

      Nachdem diese kleinen blauen Pillen ihre großartige Wirkung entfal­teten – ich spreche immer noch von Naproxen – geht es mir deutlich ­ besser und ich binde meine Schuhe fast schon mit Vorfreude. Beim nahe gelegenen Costcutter versorgen wir uns mit viel Wasser und ein wenig Schokolade, denn es soll wieder ein heißer Tag werden.

      Los geht es in Richtung Valley of Rocks, einem der ganz großen landschaftlichen Sehenswürdigkeiten rund um Lynton. Doch obwohl die Gegend wirklich herrlich ist, begeistert uns etwas ganz anderes wesentlich mehr: die wilden Lynton Steinböcke. Der Weg zu ihnen ist noch dazu asphaltiert und schnürlgerade, somit starten wir heute mit vier herrlich einfachen Kilometern. Mir fällt eines meiner Lieblings­lieder der 80er ein und ich beginne lauthals zu singen: „I’m walking on sunshine, I’m walking on sunshine and don’t it feel good?“ Die Steinböcke nehmen trotz meiner Grammy-verdächtigen Performance nur unwesentlich Notiz von uns, aber natürlich sind sie Menschen gewöhnt

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