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dessen Basis die Neurowissenschaft erklärt, wie wir uns auf der Zell-Ebene verändern.

      Bei dem speziellen Forschungsprojekt nahmen vier Gruppen von Probanden an einer fünftägigen Studie teil: Ziel des Vorhabens war, zu messen, welche Veränderungen im Gehirn beim Klavierüben stattfinden. Die erste Gruppe lernte eine bestimmte, einhändig zu spielende Sequenz auf dem Klavier, die alle fünf Finger beanspruchte; diese sollte über einen Zeitraum von fünf Tagen täglich zwei Stunden physisch geübt werden. Die Mitglieder der zweiten Gruppe sollten in derselben Zeit einfach wahllos auf dem Klavier herumklimpern. Die dritte Gruppe kam nie einem Klavier nahe: Die Teilnehmer sollten beobachten, was der ersten Gruppe beigebracht wurde, bis sie die Sequenz auswendig konnten, und sie dann mental üben, indem sie sich vorstellten, sie fünf Tage lang täglich zwei Stunden auf dem Klavier zu wiederholen. Die vierte Gruppe diente ausschließlich als Kontrollgruppe und tat gar nichts; in dieser Phase der Studie trat sie nicht einmal in Erscheinung.

      Nach Ablauf der fünf Tage wurde bei allen Probanden mithilfe der sogenannten »transcranialen magnetischen Stimulation« und ein paar anderer technologisch hoch entwickelter Apparate gemessen, ob sich in ihrem Gehirn etwas verändert hatte. Zur allgemeinen Überraschung wiesen die Gehirne jener Gruppenteilnehmer, die rein mental geübt hatten, beinahe identische Veränderungen auf – die Erweiterung und Entwicklung neuronaler Netzwerke in dem gleichen Bereich des Gehirns –, wie die Gehirne derjenigen, die tatsächlich physisch Klavier geübt hatten. Die Gehirne der zweiten Gruppe, die nichts Spezifisches gelernt und geübt hatte, zeigten nur geringe Veränderungen: Ihre Übungen hatten aufgrund ihres Zufallscharakters nicht wiederholt dieselben Netzwerke stimuliert und deshalb keine bestimmten Nervenzellverbindungen gestärkt. Und bei der »untätigen« Kontrollgruppe hatte sich gar nichts verändert.

      Wie konnte es dazu kommen, dass die dritte Gruppe beinahe identische Veränderungen im Gehirn aufwies wie die erste, wobei doch die Teilnehmer nie eine Klaviertaste berührt hatten? Durch ihren mentalen Fokus hatten sie immer wieder bestimmte neuronale Netzwerke in spezifischen Bereichen des Gehirns feuern lassen. Das bewirkte, dass diese Nervenzellen stärkere Verbindungen untereinander entwickelten. In den Neurowissenschaften nennt man das »Hebb’sches Lernen«.7 Das Konzept ist simpel: »Neurons that fire together, wire together« (»Nervenzellen, die gemeinsam feuern, verschalten sich.«). Werden bestimmte Gruppen von Neuronen regelmäßig stimuliert, verstärken sie ihre Verbindungen zueinander.

      Demzufolge hatten die Probanden, die rein mental geübt hatten, ihr Gehirn genauso stark aktiviert wie jene, die tatsächlich Klavier gespielt hatten. Das wiederholte Feuern der Neuronen bildete in einem bestimmten Teil des Gehirns eine Neuronengruppe, die das bewusst gewählte Muster unterstützte. Die damit verbundenen Gedanken wurden dem Gehirn willentlich eingeprägt. Interessanterweise bildeten und verstärkten sich die neuen Netzwerke an genau der gleichen Stelle wie bei der Gruppe, die körperlich übte. Sie veränderten ihr Gehirn einfach durch ihr Denken. Wenn der Fokus stark genug ist, erkennt das Gehirn keinen Unterschied zwischen dem Vorgestellten und dem tatsächlich Ausgeführten.

      Sheilas Erfahrungen bei der Heilung ihrer Verdauungsprobleme illustrieren diesen Prozess der Neuerfindung: Sie hatte beschlossen, sich nicht mehr mit Erinnerungen an die Vergangenheit und ihrer damit verbundenen Opferhaltung plagen zu wollen. Sheila hatte die zur Gewohnheit gewordenen Gedankengänge erkannt, die sie loslassen wollte, und genug Aufmerksamkeit entwickelt, um ihren unbewussten Gedankenfluss unterbrechen zu können. Als Resultat feuerten nicht mehr dieselben alten neuronalen Netzwerke täglich in ihr. Nachdem Sheila die Oberhand über die alten Denkmuster gewonnen hatte, begann ihr Gehirn, diese nicht länger genutzten Kreisläufe allmählich aufzulösen. Das ist ein weiterer Aspekt des Hebb’schen Lernens, er lässt sich auf die knappe Formel bringen: Nervenzellen, die nicht mehr gemeinsam feuern, lösen sich voneinander. Hier gilt das alte Sprichwort: »Wer rastet, der rostet.« Dieses Prinzip kann bei der Veränderung unserer selbst wahre Wunder wirken.

      Im Lauf der Zeit legte Sheila immer mehr von der Last der hinderlichen alten Gedanken ab, die ihr Leben bis dahin geprägt hatten. Das erleichterte ihr, sich vorzustellen, was für eine Art von Mensch sie sein wollte. Nun gestand sie sich Möglichkeiten zu, die sie früher nicht einmal in Erwägung gezogen hatte. Wochenlang konzentrierte sie sich darauf, wie sie als diese neue, unbekannte Person denken und handeln würde. Sie übte dieses neue Bild von sich selbst ein, sooft es irgend ging, um sich immer wieder daran zu erinnern, wer sie sein würde. Schließlich wurde sie zu einem Menschen, der gesund und glücklich in die Zukunft blickte. Gleich den Klavierspielern hatte auch Sheila neue neuronale Schaltkreise errichtet.

      Interessanterweise berichtete der überwiegende Teil meiner Gesprächspartner, sie hätten sich bei diesen Übungen nie disziplinieren müssen. Sie hatten es geliebt, mental zu trainieren, wer sie werden wollten.

      Genau wie Sheila war es allen meinen Gesprächspartnern erfolgreich gelungen, sich selbst neu zu erfinden. Sie hielten an ihren neuen Idealen fest, bis diese ihnen »in Fleisch und Blut übergegangen« waren. Sie wurden zu neuen Menschen mit neuen Gewohnheiten. Sie brachen mit den alten Gewohnheiten, ihrem alten Selbst. Wie sie das fertig brachten, bringt uns zum vierten Credo, das alle, die körperliche Heilung erfuhren, gemeinsam haben.

      Koinzidenz Nr. 4: Wir sind in der Lage, uns so zu fokussieren, dass wir Zeit und Raum vergessen

      Da meine Interviewpartner wussten, dass schon andere vor ihnen sich selbst von Krankheiten geheilt hatten, glaubten sie daran, es sei auch ihnen möglich. Doch wollten sie ihre Heilung nicht dem Zufall überlassen. Einfach hoffen und wünschen würde wohl kaum ausreichen. Auch das bloße Wissen, was zu tun wäre, genügte nicht. Um das erwünschte Ergebnis zu erzielen, mussten diese ungewöhnlichen Menschen ihren Geist bewusst und dauerhaft verändern. Jeder Einzelne musste an den Punkt absoluter Entschlossenheit, Willenskraft, Leidenschaft und Konzentration gelangen. Wie Dean gesagt hatte: Man muss seinen Kopf klar kriegen.

      Dieser Ansatz erfordert große Anstrengungen. Bei allen bestand der erste Schritt darin, diesem Prozess den wichtigsten Platz in ihrem Leben einzuräumen. Das bedeutete, aus den gewohnten Zeitplänen, sozialen Aktivitäten, Fernsehgewohnheiten und so weiter auszusteigen. Wären sie weiter bei ihrer täglichen Routine geblieben, wären sie auch dieselben Personen geblieben, die ihre Krankheiten entwickelt hatten. Um sich zu verändern, um aufzuhören, ihr altes Selbst zu sein, mussten sie sich auch von ihren typischen Gewohnheiten trennen.

      Also setzten sich alle, aber jeder im Alleingang, Tag für Tag hin und unternahmen es, sich selbst neu zu erfinden. Da ihnen das wichtiger war als alles andere, widmeten sie diesem Prozess jede freie Minute. Alle übten sich zunächst darin, ihre gewohnten Gedanken zu beobachten und ließen sich durch nichts davon ablenken.

      Vielleicht sagen Sie jetzt: »Angesichts einer ernsthaften Erkrankung ist das ja auch nicht so schwer, aber bei mir steht schließlich nicht gerade das Leben auf dem Spiel.«

      Nun, haben wir nicht alle unter irgendwelchen Gebrechen zu leiden – seien sie körperlicher, emotionaler oder spiritueller Natur –, die unsere Lebensqualität einschränken? Verdienen diese Beschwerden nicht dieselbe Aufmerksamkeit?

      Natürlich hatten auch meine Gesprächspartner sich mit Zweifeln, widrigen Überzeugungen und Ängsten herumzuschlagen. Jeder musste sich sowohl seiner eigenen, altvertrauten inneren Stimme gegenüber taub stellen wie auch den Kommentaren von außen, von anderen Menschen, die ihm Sorgen einreden wollten und entgegenhielten, was ihn aus schulmedizinischer Sicht erwarte.

      Fast alle Betroffenen wiesen darauf hin, diese neue innere Haltung sei nicht so leicht zu erringen. Wie unendlich viel der untrainierte Geist vor sich hin plappert, war ihnen vorher nie klar gewesen. Zuerst fragten sie sich, ob sie wohl in ihre gewohnten Muster zurückfallen oder ob sie überhaupt stark genug sein würden, dem alten Modus Widerstand zu leisten. Würden sie es schaffen, sich den ganzen Tag über ihrer Gedanken bewusst zu sein? Wie sich im Lauf der Zeit jedoch herausstellte, merkten sie es rasch, wenn sie in alte Muster zurückfielen, und so konnten sie das Programm unterbrechen. Je mehr sie trainierten, auf ihre Gedanken zu achten, desto einfacher ging es und desto besser fühlten sie sich hinsichtlich ihrer Zukunft. Und aus diesem Gefühl

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