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      Keime pflegen.

      Die Welt im 21. Jahrhundert

      Hatten Sie auch schon einmal das Gefühl, dass etwas nicht stimmt damit, wie der Mensch auf der Erde lebt? Dass es nicht mehr lange gut gehen kann? Das es zur Katastrophe kommen wird, wenn sich nichts ändert?

      Dass es Möglichkeiten geben sollte, glücklicher zu leben?

      Frithjof Bergmann vergleicht dieses Gefühl mit dem der Insassen eines führerlosen Zuges, der seine Fahrt höchstwahrscheinlich anders beenden wird, als es Züge normalerweise tun.

      Die Passagiere haben das Gefühl, dass der Zug nicht bremsen und im Zielbahnhof anhalten, sondern diesen deutlich verfehlen wird.

       „Wir fühlen uns ohnmächtig, im Lauf der Dinge gefangen als Fahrgäste im Zug unseres Erdendaseins. Wir sehen eine Geschichte sich entfalten, der wir nicht entrinnen können. Die Situation ist unheilschwanger und wird immer erschreckender. Und was alles noch furchtbarer macht: Wir haben nicht die allerleiseste Ahnung, wie diese Fahrt anzuhalten oder umzukehren wäre. Natürlich laufen Leute gestikulierend und laut rufend durch die Waggons, aber jeder weiß mit schreckensstarrer Überzeugung, dass das nur ein Ablenkungsmanöver ist. Was früher oder später unausweichlich geschehen wird, geschehen muss, ist inzwischen allen klar geworden: Der Zug wird entgleisen, gegen eine Felswand prallen oder auf eine Brücke kippen und in die Tiefe stürzen.“

      Mit anderen Worten: die Menschheit steuert ihrem Untergang entgegen. Gründe für apokalyptische Gefühle gibt es so viele wie Indizien, dass das Ende der Fahrt schneller kommen könnte, als man denkt. Für den Klimawandel gibt es deutliche Anzeichen. Möglicherweise werden Städte im Meer versinken, Stürme mit ungekannter Stärke über die Erde fegen, der Golfstrom wird den Wärmetod sterben und in Europa wird es kein gemäßigtes Klima mehr geben. Könnte aber auch sein, dass der Menschheit vorher das Öl ausgeht oder der Krieg ums Öl die Völker endgültig ins Unglück stürzt.

      Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die Teilung der Menschheit in Arme und Reiche die Erde mit Hass und Gewalt überzieht. Möglicherweise macht der weltweite Terrorismus das Leben aber zuvor schon wenig lebenswert.

      Auch wenn ein von materiellen Sorgen relativ freies Leben noch eine Weile möglich sein sollte, verliert die westliche Zivilisation nach und nach ihre Werte, kommt eine über Jahrhunderte gewachsene Kultur an ihr Ende.

      Der Kultur und der Wissenschaft gehen das Geld aus. Sie scheinen so wenig wert zu sein, dass sie immer weniger gefördert werden. Universitäten, Theater, Museen und Bibliotheken stehen reihenweise vor der Schließung. Der Einfluss von Künstlern und Intellektuellen als Vordenker gesellschaftlicher Entwicklungen schwindet. Stattdessen greift die Verdummung durch das Fernsehen, die Bestechlichkeit des Journalismus und die Prostitution der Politik gegenüber der Wirtschaft um sich.

      Und auch die Manager in den Führungsetagen haben Angst. Ihre Angst ist nicht die vor der Katastrophe, davor, dass der Zug möglicherweise von der Brücke fällt oder gegen eine Felswand rast. Ihre Angst besteht darin, dass dem Zug der Antrieb fehlt, dass er einfach stehen bleibt. Die Angst vor dem Stillstand, vor dem Ende des Wachstums, vor dem unaufhaltsamen Niedergang der Marktwirtschaft führt dazu, dass sie versuchen, den Zug mit immer aberwitzigeren Methoden zu beschleunigen. Was am Ausgang der Fahrt überhaupt nichts ändert.

      Noch mehr ins Grübeln kommen lässt einen der Umstand, dass es die absolute Mehrheit der Menschheit ist, die das Gefühl hat, so wie es läuft, läuft es verkehrt. Frithjof Bergmann stellt die verzweifelte Frage, warum all diese vielen Menschen nicht die Energie aufbringen, die Richtung zu ändern.

      Ist die schweigende, tatenlose Mehrheit, die in einer somnambulen, komatösen Opposition lebt, nicht eine Beleidigung für den letzten Rest des uns verbliebenen gesunden Menschenverstands?

      Gibt es denn überhaupt noch jemanden, der daran glaubt, dass wir als Gesamtzivilisation auf dem richtigen Weg sind? Dass es möglich und sinnvoll sein soll, dieses moderne, weiße industrielle Superunternehmen so weiterzuführen wie bisher.

      Denkt man diese Problemlage zu Ende, kommt man unweigerlich zu der Frage, was uns in diese Situation gebracht hat, wo die Gründe für dieses tatenlose Abwarten zu suchen sind.

      Ende des Sozialismus = Ende der Hoffnung?

      Frithjof Bergmann geht davon aus, dass das Ende des real existierenden Sozialismus nicht nur das Ende eines Systems war, das in der praktischen Umsetzung so viele Fehler gemacht hat, dass sein Scheitern fast unvermeidlich war. Vielmehr ist mit der Erkenntnis der praktischen Unrealisierbarkeit dieser Idee eine Lücke im utopischen Denken entstanden, derer man sich in den letzten fünfzehn Jahren weder vollständig bewusst geworden ist, noch hat jemand über die Konsequenzen dieses utopischen Defizits nachgedacht.

      Auf der theoretischen Ebene ist der Sozialismus für mehrere Generationen die Hoffnung auf ein dem Menschen gemäßes Leben schlechthin gewesen. Millionen haben an diese Idee geglaubt und für ihre Realisierung gelitten und gekämpft.

      Angesichts dieser Tatsache ist es nur äußerst schwer nachvollziehbar, dass diese Idee so sang- und klanglos untergegangen ist. Nicht nur der wahre Kern des Sozialismus – dass die Welt gerechter wäre, wenn es weniger Privateigentum gäbe, und der Reichtum der Erde an alle verteilt werden sollte – ist untergegangen. Auch die milderen, verdünnten, verwässerten Formen des Sozialismus, die nicht dafür plädierten, dem Treiben des Kapitalismus sofort per Revolution ein Ende zu setzen, sind seit 1989 schal und lahm geworden. All jene kaum noch links, allenfalls blassrosa zu nennenden Parteien mit sozialdemokratischem, liberalem, sozialem Anspruch haben ihre Identität und Zielsetzung verloren.

      Allem, was eine ferne Verwandtschaft mit dem sozialistischen System hatte, haftet das Versagen und die Niederlage an.

      Licht am Ende des Tunnels: die andere Kultur

      Obwohl Frithjof Bergmann keine gesellschaftliche Kraft sieht, die für einen ähnlich radikalen Neuentwurf des Zusammenlebens kämpft, wie es der Sozialismus gewesen ist, sieht er doch Tendenzen, die Grund zur Hoffnung geben.

      Viele Menschen in der westlichen Welt lehnen den hemmungslosen Konsum ab, suchen nach neuen Formen des Zusammenlebens, sind offen für spirituelle Erfahrungen, haben ein ökologisches Bewusstsein ebenso wie eine starke Abneigung gegen Hierarchien und Autoritäten. Sie glauben, dass Krieg auf keinen Fall ein Mittel der Politik sein sollte.

      Bergmann nennt das „die andere Kultur“.

      Diese andere Kultur ist in jedem Erdteil und jedem Land zu finden. Ihre Mitglieder erkennen sich meist wortlos. Es sind Menschen, die glauben, dass Wirtschaftswachstum um jeden Preis nicht alles sein kann und der daraus abgeleitete Konsumzwang nicht notwendigerweise glücklich macht. Menschen, die darüber nachdenken, wie der Mensch leben soll, und ihre Haltungen mehr oder weniger konsequent in ihr individuelles Leben integrieren.

      Der Geist dieser anderen Kultur lebt in Büchern, Philosophien und im Theater, in Bildern und in Musik ebenso wie in Universitäten und Selbsthilfegruppen und Vereinen. Aber eben leider nicht in Parlamenten und ähnlichen gesetzgebenden Versammlungen. Dieser Geist fehlt meist in Wahlkämpfen und auf Gewerkschaftskongressen, in allen Bereichen der offiziellen Kultur.

      Apathie oder Auf-der-Lauer-Liegen?

      Die ernüchternde Anfangsdiagnose von den Menschen im Zug, den Lemmingen, die nichts dagegen unternehmen, dass sie von einer unbekannten Kraft in den Abgrund gezogen werden, überdenkt Frithjof Bergmann noch einmal. Bei dem Versuch, die Schwingungen der gesellschaftlichen Befindlichkeiten genauer zu erspüren, kommt er zu dem Schluss, dass vielleicht doch nicht Apathie und Verzweiflung der Grund für die weit verbreitete politische Gleichgültigkeit

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