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mit den Schmugglern abverlangt wurden.63 »Der Körper der Zöllner muss gegen Schweiß und Witterung geschützt werden. Um ihn abzuhärten, ist das Waschen im kalten Brunnenwasser allmorgendlich sehr zu empfehlen«, hieß es in den Handbüchern. Auch der mäßige Genuss von Branntwein sei der Abhärtung zuträglich: »Durch die imponierende Uniform, durch seine Haltung, seinen Gang, seinen freien und durchdringenden Blick sowie durch sein determiniertes Auftreten kann der Zöllner den Leuten Furcht vor ungesetzlichen Handlungen einflößen und in entscheidenden Augenblicken einem Widerstand vorbeugen«, empfahlen die Dienstvorschriften. Dieses Respekt gebietende Gehabe musste auch außerhalb der Dienstzeit zur Schau gestellt werden.64

      Die »Schwärzer«, so benannt nach der schwarzen Farbe, die sie sich ins Gesicht schmierten, um sich unkenntlich zu machen, suchten die Dunkelheit der Wälder und fanden in abgelegenen Häusern und Almhütten Unterschlupf. Solch verwegene Burschen trafen auf ebenso raue Grenzwächter. Man brauchte Männer, die Strapazen gewohnt waren. Denn Verfolgungsjagden zwischen den organisierten Schmugglerbanden und den kontrollierenden Grenzorganen konnten zu regelrechten Feuergefechten ausarten. Immer wieder gab es Tote. Schmuggler und Zöllner, Wildschützen und Jäger, Räuber und Gendarmen waren die Helden der ländlichen Widerstands- und Rebellengeschichten. Manche Schmuggler hatten es zu regionaler Berühmtheit gebracht. Aber auch die Zöllner hatten ihre Helden und Erfolge. Alois zeigte noch viel später voll Stolz manche Trophäen, die er erjagt hatte. Die Moritaten der Bänkelsänger erzählen von wilden Verfolgungsjagden, hochnotpeinlichen Razzien, tödlichen Schüssen und hinterhältigen Messerstichen:

       Doch plötzlich kracht Musketen Knall Dem Schmugglervolk entgegen. »Ergebet Euch!« so ruft es her – doch nein – man greift zur Gegenwehr …« 65

      Die romantische Rede von den Sozialrebellen ist aber nur die eine Seite der Medaille. Denn das Alltagsgeschäft an der Grenze bestand in penibler und bürokratischer Kontrolle. Kontrolliert wurden nicht nur die Kaufleute, die wenigen Touristen und der tägliche kleine Grenzverkehr, sondern vor allem viel fahrendes Volk: »Zigeuner«, Wanderhändler und Hausierer, unter denen sich auch Juden befanden oder zumindest vermutet wurden. Man fahndete nach Kriminellen und Revolutionären, nach Betrügern und Staatsfeinden und nach aufrührerischen, kirchenkritischen Büchern und Pornografie. Das erklärt auch, warum sich im Zoll eine spezifische Subkultur herausbildete, in der die Abneigung gegen Randgruppen, Minderheiten und Juden besonders groß wurde. Antisemitismus hatte im Zoll eine besondere Tradition. Das war auf der Führungsebene beim Leiter der Wiener Zollbehörde Franz Holzer, der sich von ganz unten hinaufgedient hatte, nicht anders als bei den untergeordneten Chargen. Man muss daher auch bei Alois Hitler, obwohl das nie ausgesprochen wurde, mit einer entsprechenden antisemitischen und minderheitenfeindlichen Grundhaltung rechnen.

      Alois kam von ganz unten, wie seine Gegner, die Schmuggler. Wohin sollte er seine Sympathien wenden? Im Staatsdienst fragte man nicht viel. Er hatte Disziplin gelernt, ohne viel zu hinterfragen: Alois selbst umschrieb die Diensterfordernisse in einem Brief als unbedingten Gehorsam, als Willen, viel zu lernen, und schließlich als Bereitschaft, bei jedem Wetter Dienst zu tun, bei Tag und bei Nacht. Trinker, Spieler, Schuldner und andere Nichtstuer hätten hier nichts verloren. An eine Verwandte schrieb er 1876 bei einer Erbschaftsangelegenheit: Onkel Franz habe zu viel getrunken und viel zu viel Zeit in den Gasthäusern verbracht. »Wie ein Mann lebt, so stirbt er.« Er habe daher auch nichts hinterlassen, war Alois Resümee.66

      Alois stieg rasch auf und machte viele Erfahrungen, immer an der bewegten Grenze zwischen Österreich und Bayern, im Salzburger Pinzgau und im oberösterreichischen Innviertel. Die fünfziger und sechziger Jahre waren politisch umstrittene Zeiten: Neoabsolutismus, Krimkrieg, Kämpfe in Italien, Konflikte um die deutsche Einigung und um die Vorherrschaft im Deutschen Bund, Krieg Preußens und Österreichs gegen Dänemark, Krieg Österreichs gegen Preußen und Italien, zuletzt Krieg Preußens gegen Frankreich. Das militarisierte die Gesellschaft. Auch die Bedeutung der Zollwache hatte zugenommen, weil die Überwachung immer mehr an die Außengrenzen verlegt und die Schutzzollbewegung immer stärker wurde.

      Für Alois Hitler war 1864 ein wichtiges Jahr. Obwohl nur mit Volksschulabschluss und ohne höhere Bildung, hatte er im Zolldienst rasch Karriere gemacht: Nach dem Eintritt in die k.k. Finanzwache im Jahr 1855 war er 1860 bereits Finanzwache-Oberaufseher in Wels.67 In einem Brief aus 1862 nennt er als seine Adresse den Salzburger Zollgrenzbezirk Saalfelden. 1864 hatte er mit der Ernennung zum »provisorischen Amtsassistenen« der 11. Dienstklasse und mit der Übernahme in den Beamtenstatus sein wichtigstes Ziel erreicht: eine pragmatisierte Position als Staatsbeamter im Zolldienst, den er im Nebenzollamt Mariahilf in der Gemeinde Schardenberg im »Finanz-Inspektoratsbezirk Wels« antrat.68 Elf Tage nach dieser Beförderung heiratete er zum ersten Mal, und zwar ein Mädchen aus seinem Vorgesetzten- oder Kollegenkreis: Anna Glassl-Hörer, angeblich die Adoptivtochter des Zolleinnehmers Josef oder Johann Hörer in Radstadt und laut Taufschein Tochter des Steuerbeamten Josef Glassl in Theresienfeld bei Wiener Neustadt. Ein Matrikeneintrag für diese Hochzeit konnte bis heute nicht gefunden werden, weil man den Ort der Heirat nicht kennt. Aber man darf dem deklarierten Antifaschisten und ersten seriösen Hitler-Biografen Konrad Heiden, der dieses Datum nach Einschau in die damals noch vorhandenen Personalakten erfahren haben will und in seinem 1936 erschienenen Buch Hitler. Das Zeitalter der Verantwortungslosigkeit publizierte, sicher mehr trauen als den notorisch unverlässlichen Braunauer Zeitzeugen, die im Jahr 1938 diese Eheschließung auf 1873 datierten.69 Heiden erwähnte auch den inzwischen nicht mehr vorhandenen Scheidungsakt aus 1880, dem zufolge diese Ehe nach sechzehnjähriger Dauer am 7. November 1880 durch das Bezirksgericht Braunau geschieden bzw. von Tisch und Bett getrennt worden sei. Die Adoptiveltern der Braut seien wohlhabend gewesen. Sie hätten Alois den Luxus von Büchern und Reisen und ein gewisses gesellschaftliches Auftreten ermöglicht.

      Dass alle späteren Hitler-Biografen nicht 1864, sondern 1873 als Jahr dieser ersten Eheschließung angaben, geht auf die Braunauer Schuldirektorin Maria Pernstein zurück, die von 1913 bis 1933 in Braunau tätig war und 1955 in Salzburg 80-jährig verstarb. Sie hatte 1938 vom Hörensagen Aufzeichnungen zu Alois Hitlers Braunauer Zeit zusammengetragen, von denen schon Jetzinger feststellte, dass sie von Fehlern nur so wimmeln würden, was ihn aber nicht hinderte, sie dennoch zu übernehmen. So auch das Datum der Hochzeit mit Anna Glassl: »Die Eheschließung soll nach Angabe der Lehrerin Pernstein am 31. Oktober 1873 stattgefunden haben«, allerdings mit der schon von Jetzinger hinzugefügten Anmerkung, dass »Frau Pernstein eben jeden Tratsch kritiklos niedergeschrieben« habe.70 Dass Jetzinger, obwohl er Konrad Heidens Buch gekannt hat, die von ihm gelieferten Personaldaten negierte, muss daran liegen, dass er offensichtlich die Erstauflage benutzte, in der das Heiratsjahr noch nicht enthalten war, während Heiden noch im Jahr 1936 in den später gedruckten Exemplaren seine Darstellung um neu gefundene Informationen ergänzt hatte. Alle späteren Autoren sind aber Jetzinger gefolgt und haben Heidens Buch offenbar nie oder nur in der Erstausgabe nachgelesen.

      Dass sich in den Braunauer Matriken aus dem Jahr 1873 oder auch aus früheren oder späteren Jahren keinerlei Hinweise auf diese Eheschließung finden, darf nicht überraschen. Sie war eben früher und an einem anderen Ort erfolgt. Fakt ist: Anna Glassl oder später Glassl-Hörer war am 26. März 1823 als Tochter des k.k. Tabak- und Stempelgefällsaufsehers, also Steuerbeamten Joseph Glassl und der Elisabeth Pfindt, Tochter des Johann Pfindt, Leichenträger in Wien, in Theresienfeld bei Wiener Neustadt geboren worden. Väterlicherseits bestand eine lange Zollamtstradition. Schon der Großvater war königlich-ungarischer Dreißigst-Aufseher und Zolleinnehmer an der bis 1848 bestehenden österreichisch-ungarischen Steuergrenze gewesen.71 Getauft wurde sie am 27. März 1823 in Theresienfeld. Die Taufpatin war Anna Bekerer, die Gattin eines Wiener Neustädter Seidenfärbers. Sonderlich begütert war die Familie also wohl nicht. Doch was bedeutet der von Konrad Heiden erwähnte Doppelname Glassl-Hörer? War sie adoptiert worden oder eine wohlhabende Witwe? Und wer war Josef oder Johann Hörer? War er der k.k. Steueramts-Cassa-Adjunkt Josef Hörer, der in den Wiener Adressbüchern bis 1864 als Hausbesitzer in Oberdöbling Nr. 272 aufscheint? Oder war er irgendein nicht näher bezeichneter Beamter irgendwo im Land Salzburg,

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